Der Mann rührte sich noch immer nicht, starrte jedoch auf ihre Hand. Fast meinte sie, eine Mischung von Verärgerung und Verwirrung zu erkennen.
Wie sie selbst hatte er wohl etwas anderes erwartet.
Strenggenommen konnte sie es ihm nicht verübeln. Sie und Mann mit einem Stock im A…, das konnte nicht gutgehen.
Verlegen senkte sie ihre Hand wieder und betrachtete unsicher sein Gesicht.
Seine kurzen blonden Haare waren perfekt frisiert und mit etwas Gel in Form gelegt. Passend zu seiner spießigen Optik.
Trotzdem sah er gut aus, wenn sie es auch nie zugeben würde. Schade nur, dass er seine Lippen so fest aufeinandergepresst hatte – andererseits besaß er schon ein markantes Gesicht und dies wurde durch sein grimmiges Verhalten perfekt in Szene gesetzt.
Seine Nichtreaktion irritierte sie jedoch. War er wütend auf sie? Sie konnte doch nichts dafür, dass sie nicht seinen Erwartungen entsprach. Schließlich ging es ihr nicht anders.
„Ähm.. entschuldige bitte, Aiden, du hast natürlich recht, das passt irgendwie nicht. Da hat die Agentur bei unserem Blinddate wohl ein Fehler gemacht.“
Der Anzugträger regte sich noch immer nicht. Stattdessen blickte er in ihr Gesicht, ohne dass sie etwas darin deuten konnte.
„Nichts für ungut,“, nuschelte sie, „ich geh dann mal wieder. Ich ähh… kenne ja dem Weg. Also dann … tschüss.“
Mit hochrotem Kopf wandte sie sich ab, um fluchtartig diesen Ort zu verlassen. Peinlich genug war es auf alle Fälle.
Endlich regte sich Aiden. „Warte!“, rief er mit fester Stimme.
Erschrocken zuckte sie zusammen.
„Komm rein!“ Mehr erklärte er nicht, sondern drehte sich um und kehrte ins Innere des Gebäudes zurück. Die Türe ließ er offen stehen.
‚Kein Mann großer Worte‘, schlussfolgerte sie in Gedanken.
War es klug, diese unterkühlte Einladung anzunehmen?
Andererseits sagte man nicht umsonst, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und chaotisch und spontan, wie Jo nun mal war, gab es zugegeben auch nur eine mögliche Reaktion auf sein Verhalten. Schließlich war sie viel zu neugierig, was sie wohl erwarten würde.
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, betrat sie die Villa und schloss die Türe hinter sich.
Ihre Schritte hallten unnatürlich laut über die großen terracottafarbenen Fließen. Eigentlich kein Wunder– was wollte sie bei den hochhackigen Schuhen anderes erwarten? Dazu kam, dass sich im Flur keine Möbelstücke befanden, nicht einmal ein Spiegel oder gar eine Garderobe. Das fiel umso mehr auf, da die Wände offenbar frisch gestrichen worden waren. Und die einzelne Glühbirne in der Fassung an der Decke statt einer Deckenlampe trug auch nicht gerade zum Gemütlichkeitsfaktor bei.
Vielleicht wäre es doch klüger, einfach umzudrehen und das Weite zu suchen?
Und wohin war der Spießer verschwunden?
Als hätte er ihre Gedanken erraten, hörte sie ihn plötzlich rufen: „Ich bin hier, im Wohnzimmer!“
Er schien sich rechts von ihr aufzuhalten.
Suchend sah sie sich um und entdeckte eine entsprechende Türe, die halb angelehnt war. Hier war ihr Ziel, wie es schien.
Vorsichtig nahm sie die Klinke in die Hand. Die Türe war massiv und gab nur widerwillig nach – fast so, als hätte sie einen eigenen Willen.
Diese Villa war seltsam und so war es eigentlich nicht überraschend, dass die Einrichtung des Wohnzimmers wiederum selbst überraschend war.
Das erste, was ihr auffiel, war die altmodische Tapete, die vergilbt an den Wänden hing. Das Motiv vom röhrenden Hirsch wechselte sich mit einer Flinte ab – dazwischen waren zu allem Kitsch auch noch Eicheln mit Blättern dargestellt.
Was sollte das denn bitteschön?
Auch ansonsten fühlte sie sich in eine vergangene Zeit versetzt – die alte und etwas vergilbte Couch – die Schränke und Sideboards, die allem Anschein nach nicht auf antik gemacht, sondern tatsächlich so alt waren. Der graue Teppich, der langweilig und öde den Boden bedeckte. Auch der gläserne Couchtisch passte da perfekt mit rein, vor allem angesichts der Tatsache, dass er halb von einem gehäkeltem Deckchen bedeckt war.
Das hier war an Altertümlichkeit nicht zu überbieten und hätte perfekt in ein Freilichtmuseum gepasst. Nur was hatte all dies in ihrem Treffen zu suchen?
Mit gutem Gewissen konnte man diesen Anblick als spießig bezeichnen – und trotzdem passte der Anzugträger nicht hinein. Wie die berühmte Faust auf dem Auge saß er auf der Couch, wirkte deplatziert mit seinem edlen Sakko und akkuratem, gebügelten Hemd.
Genauso unpassend wie Jo selbst.
Wo waren die Designermöbel, die sie bei Aiden eigentlich erwartet hätte?
Während sie unschlüssig im Türrahmen verharrte, forderte der Mann sie durch eine Handbewegung ungeduldig auf, näherzukommen. Energisch deutete er auf den Platz neben sich.
„Reden wir!“