Das hier wird, für meine Verhältnisse, recht lang werden. Ich habe es versucht, kürzer bekomme ich es nicht. (ich wurschtel schon seit März dran rum.)
Oma hatte Geburtstag, ja genau, sie ist 74 geworden.
Oma hat seit über 50 Jahren eine Freundin, nennen wir sie Lieselotte.
Lieselotte wohnt seit November letzten Jahres in einer der Eigentumswohnungen die direkt gegenüber meines Mietblocks gebaut wurden. Besagte Wohnungen wurden von Lottes Sohn hochgezogen.
Vorher wohnte sie in einem Haus mit Grundstück. Daran mussten wir immer vorbei wenn wir in den Garten wollten.
Als Lotte noch in dem Haus wohnte, hielt ich mein Kind immer dazu an, nen Zahn zu zulegen. Es half selten. Schon stand Lotte auf der Terrasse und rief zu uns rüber: "Maxiiii komm mal, ich hab was für den Kleenen." Brav und höflich und weil es sonst noch Ärger von Oma geben könnte, wackelten wir rüber. Das Kind nimmt zögerlich den Süßkram entgegen, den er nicht isst. Lieselotte hat da kein gutes Händchen. Aus Erfahrung weiß mein Kleener aber, das er es trotzdem bekommt. Der Lotte ist das wurscht, ob der Kleene die Prinzenrolle isst, Hauptsache sie ist es los. Ihre Enkelkinder sieht sie ja so selten.
Nach einem Small Talk, den ich stets versuche kurz zu halten, momentan mehr als den je, dürfen wir wieder unseres Weges ziehen. Lieselotte unter dessen, geht dann immer zurück in ihr Haus und ruft Oma an, um zu erzählen das sie uns gesehen hat und wie artig und niedlich der Kleene ist.
Woher ich das weiß? Weil am Abend das Telefon klingelt und Oma mir erzählt das Lotte ihr erzählt hätte das...
"Du Oma" frage ich eines Tages "woher weiß die denn immer, wann wir da lang gehen? Sitz die Lotte vorm Fenster?"
"Nee, ach, die ihr Fernseher steht doch so das se och ausn Fenster gaffen kann. Die hat doch och nüscht mehr zu tun seit die ihr Mann gestorben ist und die kann och nicht mehr so, weeste."
"Aha."
"Gut."
"Ach, kannst du mir bitte ne Packung..." tuuut tuuut tuuut.... Oma hat aufgelegt.
So lief das vorher, ab und zu bekamen wir Süßkram aufgedrängelt oder erledigten Botengänge für Oma, ansonsten hatten wir nicht viel mit Lieselotte zu tun.
Jetzt habe ich Angst aus dem Haus zu gehen. Denn anscheinend kann Lotte aus ihrer neuen Wohnung heraus genau meinen Hauseingang beobachten. Ob sie sich den Fernseher wieder dementsprechend hin gestellt hat?
Steht sie stundenlang vor dem Fenster und lauert?
Nun mittlerweile müsste sie ja unsere Gewohnheiten kennen. Da braucht sie nicht mehr ewig lauern.
Zurück zu Omas Geburtstag. Auf den letzten Drücker lasse ich mir von meiner Schwester Pralinen (für Oma) vorbei bringen, der Laden ist direkt neben ihrem Arbeitsplatz und wenn sie das Essen ausfährt kommt sie auch bei mir vorbei. Passt also.
Sie schickt mir ne SMS, ich solle runter kommen. Ich schlüpfe in meine Schuhe und flitze im schönsten Home Dress nach unten. Schlabberlook Deluxe. Es regnet.
Da stehe ich vor der Tür und obwohl der Regen prasselt kann ich es über die Straße schallen hören: "Maaaaaaxiiiiiii!!!"
Ich unterdrücke einen Fluchtreflex und drehe meinen Kopf langsam in die Richtung der Geräuschquelle. Recht abenteuerlich hängt sie sich aus dem Fenster, die Lieselotte.
"Holst du jetzt den Kleenen ab?"
Ich verkneife mir jegliche schnippische Antwort, schon allein weil ich nicht so lange so laut brüllen kann, das sie mich verstehen würde.
Statt dessen schreie ich: "NEIN, ICH WARTE"
Lotte nickt und zieht ihren Kopf wieder ein.
(Ich merke, ich rede immer noch drum rum, irgendwie ist es schwer, hier auf den Punkt zu kommen. Schauen wir mal ob ich den Dreher noch kriege X-D)
Warum interessiert es Lieselotte ob und wann ich mein Kind aus der Kita abhole?
Weil, an dem Tag Omas Geburtstag war. Wir, also das Kind und ich, wollten mit dem Bus hinfahren, Lotte wollte uns begleiten.
(Zuerst wollte sie sich, zusammen mit uns, in das kleine Auto meiner Mutter quetschen. 3 Haushalte, Oh. Mein. Gott. Aber Muttern arbeitete lange)
Also fuhren wir mit Bus. Lotte wollte mit. Oma überraschen.
Corona? Scheißegal. Was'n das überhaupt?
Die ganze Unterhaltung fand auf der Straße statt. Also ich stand auf der Straße, Lieselotte hing aus dem Fenster.
Nun ja, was tun? Seit das ganze Gedöns mit Corona anfing schwanke ich zwischen neurotischer Panik und dem Versuch das ganze zu ignorieren. Wie so viele, weiß ich also auch nicht was zu tun ist. Schon gar nicht, wenn Lieselotte Oma besuchen will.
Also habe ich getan, was jeder erwachsene Mensch in solch einer Lage tut: ich habe meiner Mutter geschrieben und sie gefragt was ich machen soll.
Die Antwort war: Oma anrufen. Nix mit Überraschungsbesuch.
Ich rufe Oma an: "Herrje, die sollte doch Vormittag kommen! Ich ruf se mal an. Warte." - aufgelegt.
Ich warte.
Das Telefon klingelt: "Bring se doch mit Bus mit. Die traut sich alleine nicht mehr, is doch nur die Lotte."
"Aber Oma, was ist mit...." tuuut, tuuuut. -.-
Ich schreibe meiner Mutter die aktuelle Lage des Sachverhaltes. Ihre Reaktion ist ähnlich. Zumindest konnte ich abwimmeln, das Lotte zurück zu mit uns im Auto fährt. Ich hätte wohl einen hypochondrischen Atemstillstand erleidet.
Um die Sache abzuschließen: wir kommen da an und in der Küche sitzt bereits eine Frau, die ich nicht kenne. Eine weitere kommt hinter uns rein. Wir sind umzingelt.
Hier drinnen ist es ziemlich warm, war die Luft vorhin auch schon so stickig? Kann hier mal einer das Fenster.... arg.
Ich schnappe mein Kind und zerre es nach draußen, in der Laube ziehen wir uns an. Das war echt zu viel. Das Kind ist nicht traurig darüber. Er hüpft eh viel lieber auf dem Trampolin, als den Alten zu zu hören, wie sie sich über ihre Gebrechen und wer neuerdings tot ist unterhalten, trotz Nieselregen.
Die Damen bleiben nicht lange, selbst die Lotte findet ihren Weg nach Hause. Eine der anderen nimmt sie mit.
Geplant war das so nicht, sagt Oma. Die eine sollte auch Vormittag kommen, von der anderen wusste sie nix. Und raus schmeißen konnte sie die ja nicht, das gehört sich nicht.
Ob wir jetzt auch ein Stück Kuchen wollen?
Ja, klar, aber bitte lüfte doch vorher. "Hach je. Ihr mit euren Befindlichkeiten."