Sirius Black
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Hogwarts hatte sich kein Stück verändert. Das Schloss thronte über dem Schwarzen See auf einem Hügel die höchsten Türme kratzten die niedrighängenden Wolken und aus den eintausend kleinen Fenster strahlte gelbliches Licht, voller Wärme und flackerndem Flammenschein. Die raue, steinerne Fassade sah in der Nacht fast schwarz aus und der Verbotene Wald, der sich sanft im Septemberwind wiegte, strahlte eine ganze eigene, mysteriöse Aura aus. Die Baumspitzen schienen nach ihnen zu rufen.
„Dieses Jahr gehen wir in diesen Wald“, flüsterte Sirius inmitten der Schülerschaft Hogwarts‘, die gemeinsam den Innenhof überquerte, um zur Großen Halle zu gelangen. „Ich weiß es einfach.“
„Im Wald ist es aber ziemlich gefährlich“, erwiderte Peter zweifelhaft klingend. „Ich hab“, er schluckte kurz, „ich hab gehört, da soll es Werwölfe geben!“
„Was!?“ Remus war stehen geblieben und blickte Peter mit blassem, panischem Gesichtsausdruck an. Der Junge fing schwer und schnell an zu atmen. „Das – das kann doch gar nicht stimmen, o-oder?“
James schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Nein, das ist nur ein dummes Gerücht“, sagte er beruhigend. „Keine Sorge, Remus, im Wald leben keine Werwölfe, die sich nachts in unseren Gemeinschaftsraum schleichen, um deine Schokolade zu klauen.“
Sie alle wussten, es sollte ein dummer Witz sein, um die Stimmung zu lockern, aber in Remus löste es das genaue Gegenteil aus. Sein panischer Atem wurde nur noch schneller und der Rest Farbe verabschiedete sich aus seinem Gesicht. Er sah so aus, als würde er jeden Moment ohnmächtig werden. Sirius stellte sich rasch neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Das war nur ein Witz, Remus. Ein Witz und ein dummes Gerücht. Werwölfe gibt es nicht in Hogwarts.“ Er warf Peter über Remus‘ Kopf hinweg einen giftigen Blick zu, dann geleitete er den Jungen vorsichtig weiter nach vorne. „Komm schon, meinst du nicht, Dumbledore hätte uns davor gewarnt? Außerdem sind Werwölfe ja nur an Vollmond gefährlich und bisher ist noch nie irgendwas passiert. Das haben sich bestimmt ein paar Siebtklässler einfallen lassen, um die dummen Erstklässler zu erschrecken, die sowas auch noch glauben.“ Wieder ein vernichtender Blick in Peters Richtung, der schuldbewusst auf seiner Lippe kaute.
„Okay“, murmelte Remus. „Ich – danke. Tut mir leid.“ Sein farbloses Gesicht nahm im Bruchteil einer Sekunde einen sehr hellen Rotton an. „Das war echt dumm.“
„Schon gut. Kein Grund, sich zu schämen, Remus“, sagte James lächelnd. „Welches Kind wurde denn nicht mit Geschichten über blutrünstige Werwölfe großgezogen? Ich finde die auch echt gruselig.“
Das schien Remus nur mäßig zu beruhigen. Er spannte die Schultern an und wand sich dann aus Sirius‘ Arm. „Danke, geht wieder. Ich – schon gut. Danke.“ Remus presste die Lippen aufeinander und sah stur geradeaus.
Sirius fing James‘ Blick auf, aber andere Junge zuckte lediglich mit den Schultern – keiner von ihnen war sonderlich schlau aus Remus in den letzten Monaten geworden. Es gab Tage, an denen war er ein energiegeladener Junge, der mit Ideen für Streiche zu ihnen kam und seine Hausaufgaben in Windeseile erledigte, dann wiederrum gab es Tage, an denen er es kaum aus dem Bett schaffte und mit blassem Gesicht und tiefen Schatten unter den Augen durch den Tag wankte. Mindestens einmal im Monat wurde Remus krank und musste für ein paar Tage im Krankenflügel bleiben, wo niemand ihn besuchen durfte, oder musste seine Mutter besuchen, die sehr krank zuhause war. Remus Lupin war für niemanden ein offenes Buch. Er war ein Junge voller Geheimnisse und Ausflüchte und Sirius wusste, dass Remus oft genug lügte, wenn es darum ging, wo er war oder was er gemacht hatte.
Und dann waren da die Narben, die seinen gesamten Körper zu bedecken schienen. Die in seinem Gesicht waren am besten zu sehen, drei silbrige Schnitte, die tief von seiner Stirn über seine linke Wange bis hin zum Nacken reichten. Andere Narben lugten manchmal unter seinen Ärmeln hervor oder waren für ein paar Sekunden zu sehen, wenn Remus sich streckte und sein Hosenbein verrutschte. Er hatte ihnen noch nie gesagt, woher diese Narben kamen und es hatte auch noch keiner den ersten Schritt gewagt, zu fragen. Sirius wusste, dass es etwas damit zu tun hatte, dass Remus sehr oft krank wurde, aber er konnte einfach nicht den Finger drauf legen, was es genau war. Sirius schlimmste Vermutung? Remus wurde in seinem Elternhaus noch schlimmer behandelt, als Sirius selbst und deswegen tauchte er manchmal mit neuen Narben auf oder war schreckhaft, wenn man ihn ansprach.
Er wollte nicht glauben, dass das wahr sein könnte. Es war schon schlimm genug, dass Sirius kein Zuhause hatte, auf dass er sich in den Ferien freuen konnte, aber er wollte nicht, dass einer seiner besten Freunde ein ähnliches Schicksal litt. Wurde Remus vielleicht von seinem Vater misshandelt, wann immer er mitten im Schuljahr nach Hause fuhr, um seine Mutter zu besuchen? War sie deshalb so krank? Brachte sein Vater ihn deshalb nie zum Gleis? Remus würde nicht über seine Familie reden, wenn man ihn nicht fragte und wenn das Thema doch aufkam, dann erzählte er kurze Geschichten über seine Mutter und wechselte dann schnell die Frage. Sirius wusste nicht, was er schlimmer an der ganzen Sache fand: Dass er glaubte, sein bester Freund würde von seinem eigenen Vater geschlagen werden, oder dass es vielleicht sogar wahr sein könnte.
Sirius schüttelte den Kopf und damit die unschönen Gedanken davon. Heute Abend wollte er nicht daran denken, was alles falsch lief und was alles falsch sein könnte. Er drückte die Schultern durch und folgte seinen Freunden zum Gryffindortisch. Die Große Halle war gefüllt mit aufgeregtem Geschnatter, grummelnden Mägen und dem Schein von eintausend schwebenden Kerzen. Der Himmel über ihnen war in ein sanftes, nachtblaues Tuch gehüllt. Ein paar Sterne glitzerten zwischen den weiß-blauen Wolken hindurch.
„Ich verhungere“, murmelte Peter ihm gegenüber. „Ich hoffe, die beeilen sich.“
„Du hast grade erst den halben Süßigkeitenwagen leergefuttert, Pete“, sagte James. „Wie kannst du schon wieder Hunger haben?“
„Ich bin ein Junge, der im Wachstum ist, da ist das vollkommen normal“, erwiderte er.
„Na klar“, schnaubte Sirius. „Im Wachstum, wahrscheinlich erzählt dir das Mum, nicht? Du musst ganz viel essen, Peter, damit du groß und stark wirst“, imitierte er eine unausstehliche Frauenstimme.
Peter wurde knallrot im Gesicht und setzte zu einer Erwiderung an, aber wurde von Remus unterbrochen.
„Shh, sie kommen“, sagte der blasse Gryffindor, obwohl die Tore zur Große Halle noch geschlossen waren. Mit aufmerksamem Blick betrachtete er das Holz.
„Aber – oh.“ Kaum hatte James den Mund geöffnet, waren die Türen aufgegangen und Professor McGonagall kam mit den neuen Erstklässlern hereingelaufen.
Die strenge Hexe trug einen edel aussehenden, smaragdgründen Umhang und blieb vor dem Lehrertisch stehen, wo sie den kleinen Erstklässlern bedeutete, ebenfalls zu warten. Neben ihr eilte Professor Flitwick herbei, der den Sprechenden Hut und den dreibeinigen Hocker dabeihatte, auf dem Sirius erst ein Jahr zuvor selbst gesessen hatte. Professor McGonagall erklärte den neuen Schülern gerade, wie die Einteilung ablaufen würde, aber Sirius hörte ihr nicht zu. Seine Augen hatten endlich den schwarzhaarigen Hinterkopf seines Bruders ausgemacht.
Regulus hatte ihn nicht gesehen und schien sein intensives Starren auch nicht zu bemerken, jedenfalls drehte sich der jüngere der beiden Black-Brüder nicht um, um Sirius anzusehen.
„Beruhig dich mal, Kumpel“, murmelte James neben ihm und deutete mit einem Kopfnicken auf Sirius‘ Bein, dass er die ganze Zeit unbewusst auf und ab bewegt und dabei wohl James gestreift hatte. „Wird schon gut gehen, hm?“
„Schätze schon“, erwiderte Sirius. Er zwang sich zu einem tiefen, beruhigenden Atemzug, bevor er den Rücken wieder durchdrückte. Ein Black sollte immer mit erhobenem Kopf und einem geraden Rücken sitzen, hatte seine Mutter ihm beigebracht. Es zeugte von Würde, Klasse und Überlegenheit. Wenn seine Mutter eines verstand, dann wenigstens das.
Professor McGonagall las die ersten Namen vor und mit jedem wurde Sirius ein wenig nervöser. Es waren kaum fünf Schüler dran gewesen, da räusperte sich die Hexe und sagte: „Black, Regulus.“
Mit einem ebenso durchgedrückten Rücken wie Sirius, ging Regulus mit strammen, mutigen Schritten auf den Hut zu. Als er sich umdrehte, um den Sprechenden Hut aufzusetzen, war Sirius sich sicher, dass sich ihre Blicke für diesen Bruchteil einer Sekunde getroffen hatten, doch dann wurden Regulus‘ Augen von der Hutkrempe verdeckt.
Sirius presste die Hände in seinem Schoß zusammen und schloss die Augen. Er zählte die Sekunden, die wie langsame Sandkörner in einem Stundenglas davon rieselten. Mit jeder Sekunden, die verging, hörte Sirius das Blut in seinen Ohren immer deutlicher Raschen. Sein eigener Herzschlag pochte wie das Donnern einer Trommel in seinem Körper und er knotete und wand seine Finger ineinander, dass jemand außenstehendes Sorge haben musste, er würde sie sich selbst vor Aufregung brechen.
„Slytherin!“
Aufregung wurde im Bruchteil eines Momentes mit Enttäuschung getauscht. Während die Halle – allen voran der Slytherintisch – in Applaus ausbrach, fühlte Sirius sich wie mit einem schweren Gewicht beladen. Er beobachtete, wie sein Bruder den Hut absetzte und dann mit einer grazilen Eleganz, die ihrer Mutter sicher gefallen hätte, zu seinem neuen Haus lief. Regulus setzte sich neben Severus Snape und wurde mit einem Handschlag und einem Lächeln begrüßt. Eine blonde Schülerin, die Sirius als Narzissa erkannte, klopfte Regulus beinahe schon mütterlich auf die Schulter. Sein Bruder lächelte, offenbar sehr stolz mit sich selbst.
Sirius wollte sich übergeben.
„Alles gut?“, fragte James leise, aber Sirius konnte nicht antworten. Er schüttelte lediglich den Kopf und wurde mit einem bemitleidenswertem Blick belohnt. James tätschelte seinen Oberarm, aber wandte sich dann wieder nach vorne.
Über die Halle hinweg versuchte Sirius Regulus‘ Blick aufzufangen, aber es schien, als würde der jüngere Black-Bruder alles tun, nur nicht in seine Richtung gucken. Stattdessen trafen sich Sirius und Snapes Blicke in der Luft und der Slytherin-Schüler grinste ihn schief an, eine hässliche Grimasse auf dem Gesicht Snapes, die genug aussagte, damit Sirius die Hände zu Fäusten ballte. Er wollte aufspringen und die Große Halle durchqueren, wollte Snape vor allen Schülern und Lehrerin eine reinhauen, wollte seinen Bruder schütteln und ihn anschreien, wollte eine Neueinteilung verlangen –
„Sirius?“ Remus hatte sich über den Tisch gebeugt und eine Hand nach ihm ausgestreckt, die nun kurz vorm Kragen seines Umhangs in der Luft hing. „Geht’s dir nicht gut?“
Mit zusammengebissenen Zähnen schüttelte er den Kopf, sagte dann aber: „Alles bestens.“
„Hör auf zu lügen“, verlangte Remus leise. „Das ist wegen deinem Bruder, ja?“
„Natürlich ist es wegen Reggie“, knurrte Sirius mit etwas zu viel Wut in der Stimme. Er fühlte sich schlecht, dass er seine Freunde schlecht behandelte, aber sie würden nie verstehen können, was er gerade fühlte. Er verstand ja selbst nicht einmal, was er fühlte.
„Das ist nicht deine Schuld.“
„Wieso sollte es meine Schuld sein!?“, fragte Sirius etwas zu laut, sodass sich empörte Blicke zu ihm herumdrehten. McGonagall räusperte sich lauthals und schickte einen lautlosen, aber sehr bedrohlichen Blick zu ihm herüber. Sirius schnaubte. „Wenn Reggie – ich meine, wenn Regulus lieber ein Slytherin sein will, schön. Soll er doch. Mir vollkommen egal.“
„Es ist dir nicht egal“, sagte Remus.
„Können wir bitten nicht darüber reden?“, verlangte der andere Junge. „Ich – ich weiß noch nicht, was ich denken soll, ok?“
„Natürlich.“ Remus nickte und sah ihn viel zu verständnisvoll an, ein sanfter Schleier auf seinem vernarbten Gesicht. Er lächelte kaum merklich und im Kerzenschein sah er gesünder aus als zuvor. „Du kannst mit uns reden, wenn du es brauchst.“
Sirius erwiderte das Nicken, biss die Zähne zusammen und forcierte seinen Blick wieder nach vorn. Die letzten Erstklässler standen zitternd und nervös vor dem Lehrertisch und Professor McGonagall las einen nach dem anderen von ihrer Liste vor, bis schließlich alle neuen Schüler eingeteilt wurden. Flitwick und McGonagall eilten mit dem Hut und dem Hocker aus der Halle und erst, als sie sich an ihre Plätze begeben hatten und das Getuschel und Gemurmel in der Halle erstarb, erhob sich Professor Dumbledore von seinem goldenen Sitz. Er breitete die Arme aus, als wollte er jeden einzelnen Schüler in eine große Umarmung ziehen.
Von der Rede des Schulleiters bekam Sirius nicht viel mit. Er hörte lediglich mit halbem Ohr zu, wie Dumbledore von neuen Abenteuern und alten Gefahren und neuen Gefährten und alten Verbündeten sprach, als würde er die Zusammenfassung eines spannendes Abenteuerromans vorlesen. Sirius war kaum angetan davon, als der Schulleiter sich hinsetzte und das Festessen erschien, auch nicht, als James seinen Teller mit seinen Lieblingssachen füllte.
„Komm schon, Kumpel, du musst was essen“, sagte sein bester Freund. „Oder willst du jetzt eine große Szene veranstalten und rüber zum Slytherintisch rennen? Du kannst nach dem Essen mit deinem Bruder reden.“
„James hat Recht“, fügte Peter an, der seinen Teller bereits zur Hälfte geleert hatte. „Und wenn das, was du über Regulus erzählt hast, alles stimmt, dann wird euch das wohl kaum zu Fremden machen, nur weil ihr in unterschiedlichen Häusern seid. Sieh dir mich und meine Schwester an, wir verstehen uns immer noch prächtig.“
„Du hast keine Ahnung, wovon du redest, Pettigrew“, sagte Sirius säuerlich, stach mit seiner Gabel ein wenig zu fest auf seinen Teller und ließ damit ein lautes, quietschenden Geräusch ertönen. „Du kommst immerhin nicht aus einer blutfanatischen Familie, die dich dafür bestraft, mit den falschen Leuten zu reden, oder?“
„Nein“, antwortete Peter kleinlich, hielt aber seinen Blick stand. „Trotzdem ist er dein Bruder und ihr zwei habt trotz eurer Familie eine gute Bindung. Die wird nicht sofort zerbrechen. Sie wird allerdings zerbrechen“, fügte Peter an und deutete mit seiner Gabel auf Sirius, „wenn du dich ihm gegenüber genauso verhältst, wie du dich uns gerade gegenüber verhältst.“
„Wir wollen dir nur helfen, Sirius“, sagte James sanft und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Wenn du unsere Hilfe nicht willst, ist das okay, aber dann sag das und behandle uns nicht so, als würden wir versuchen, dich zu verhexen. Wir sind deine Freunde, nicht deine Feinde.“
„Der Feind sitzt da hinten und versucht deinen Bruder mit seinen öligen Haaren einzuschleimen“, brummte Remus. „Snape konnte es wohl kaum erwarten.“
Die anderen folgten Remus‘ Blick. Wenn Sirius zuvor schon sauer gewesen war, als er Snape nur neben Regulus hatte sitzen sehen, so war er jetzt vollkommen außer sich, als er beobachten musste, wie der schmierige Slytherin sich mit seinem Bruder unterhielt, als wären sie die dicksten Freunde, wie sie gemeinsam lachten. Das sollte Sirius an Regulus‘ Seite sein und nicht dieser schleimige Wicht Snape. „Ich werde Schniefelus umbringen“, murmelte er. „Wenn er nur eine Hand an meinen Bruder legt, dann werde ich ihn –“
„Sirius“, zischte James zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Beruhige dich, Mann. Mach dir um Snape keine Gedanken. Wenn Regulus auch nur halb so schlau wie du ist, dann wird er schon wissen, dass er sich von Abschaum wie Schniefelus fernhalten muss. Außerdem haben wir doch unsere eigenen Methoden, wie wir mit ihm fertig werden, nicht wahr?“
„Darauf kannst du dich verlassen“, erwiderte Sirius. Seine Nägel bohrten sich tief in seine Handinnenflächen und er fügte an: „Snape wird den Tag bereuen, an dem er geboren wurde.“
„Ihr werdet ihm nicht wehtun, kapiert?“, sagte Remus mit einer strengen Imitation von McGonagall. „Ihr wisst, dass ihr dann in unglaubliche Schwierigkeiten geratet.“
„Keine Sorge, Lupin.“ Ein schiefes, beinahe düsteres Grinsen hatte sich auf Sirius‘ Lippen gelegt.
„Ich meine es ernst, Sirius. Wenn du etwas tust, dass Snape in Gefahr bringt, verletzt zu werden, dann werde ich nicht zögern, zu McGonagall zu gehen. Ich unterstütze euch gerne dabei, wenn ihr harmlose Streiche spielt, aber ich weigere mich zuzusehen, wir ihr plant, jemanden zu verletzen, nur weil ihr ihn nicht leiden könnt.“
Sirius starrte den blassen Jungen verblüfft an. Der harte Ausdruck in seinem Gesicht und das entschlossenen Glänzen in Remus‘ Augen ließ ganz klar verstehen, dass er keinen Witz machte. Sirius war bereits drauf und dran, ihm zu sagen, dass er sich aus diesen Sachen raushalten sollte, als James zuerst das Wort ergriff.
„Er hat Recht, Sirius“, meinte sein bester Freund langsam. „Jemandem etwas antun, weil du nicht mit ihm übereinstimmst, ihn in Gefahr bringen… kommt mir das nicht ein wenig zu vertraut vor?“
James hätte ihn genauso gut in den Schwarzen See stoßen können. Ein eiskalter Schwall ergoss sich über Sirius‘ Kopf und er riss die Augen auf, als die Realisation ihn traf. Scham wallte in ihm auf. Daran hatte er nicht gedacht.
„Du bist besser als das“, sagte James mit fast schon nebensächlicher Stimme. „Außerdem haben wir genügend Sprengstoff für das ganze Jahr, um Snape ein wenig leiden zu lassen, ohne dass ihm irgendwas passiert. Was meinst du?“
Sirius biss sich auf die Zunge und schmeckte Blut. Er nickte, dankbar, dass seine Freunde da waren, um ihn aus den düsteren Gedanken zu ziehen, in die er sich verfangen hatte. „Remus, ich –“
„Schon okay“, erwiderte dieser ruhig. „Ich will dir nur helfen. Ich meine, das wollen wir alle.“ Ein beinahe verschmitztes Grinsen erschien auf Remus‘ Lippen. „Aber wenn ihr Snape so richtig zeigen wollt, dass er sich beim falschen eingeschleimt hat, dann habe ich sogar schon eine nette Idee dafür.“
„Remus John Lupin!“, sagte James mit dem größten Grinsen auf den Lippen, dass irgendjemand jemals bei ihm gesehen hatte. „Du weißt gar nicht, wie stolz du mich machst! Mein kleiner Unheilstifter!“ Er wollte mit einer Hand über den Tisch fassen und Remus in die Wange kneifen, aber der andere Junge wich ihm lachend aus.
„Lass das, James.“
„Wie kommt es, dass keiner sich so über mich freut?“, fragte Peter mit der Gabel im Mund. „Ich finde, ich mache auch sehr gute Fortschritte, was Unheilstiften angeht.“
„Selbstverständlich, Peter, wir sind alle sehr stolz auf dich“, sagte James. „Aber du warst schon vorher ein bisschen verdorben und Remus war unser kleiner, goldener Junge, der nie auch nur eine Regel gebrochen hat. Und guck ihn dir an! Bald wird er fluchen wie die Piraten.“ James seufzte leise. „Sie werden so schnell erwachsen.“
„Sollen wir euch allein lassen?“, fragte Sirius bellend.
„Oh, sei du bloß ruhig, Black“, sagte James grinsend. „Du bist ja neidisch, weil Remus und ich so eine innige Beziehung führen.“
„Ganz klar, das wird es sein.“
„Bitte was führen wir?“
Die Jungs brachen in stummes Gelächter aus. Sirius wusste, dass James das nur getan hatte, damit es ihm besser ging und er sich nicht mehr mit der Regulus-Situation befassen musste und er war seinem besten Freund mehr als dankbar dafür. Die letzten Monate hatte er versucht, seinen Bruder auf seine Seite zu ziehen, hatte versucht ihm klarzumachen, dass es tatsächlich gut für die Zukunft der gesamten Familie Black wäre, wenn er ebenfalls in Gryffindor landen würde, aber wie es schien, war all seine Überzeugungskunst auf taube Ohren gestoßen.
Ein düsterer Gedanke erschien ihm – vielleicht wollte Regulus nach Slytherin! Vielleicht hatte die Gehirnwäsche ihrer Eltern bereits vollen Erfolg gehabt und Regulus war der Überzeugung, dass er alles für die Black-Familie tun müsste. Nach Slytherin gehen wäre nur der erste Schritt und Sirius war sich sicher, dass Reggie nur allzu bereit wäre, all die Pflichten zu übernehmen, die eigentlich zu Sirius gehörten, sobald seine Mutter sich dazu entschied, dass sie lieber ihren jüngsten Sohn als Erben hatte.
Aber dann – ging das überhaupt? Sirius wusste nicht, ob seine Eltern sich einfach dazu entscheiden konnten, wer ihr Erbe war und wer nicht. War es nicht altes Zauberergesetz, dass das erstgeborene Kind die Pflichten eines Erben tragen musste? Bellatrix war es für Zweigfamilie, Sirius für den Hauptzweig. Walburga und Orion waren sicherlich genauso wenig erfreut darüber, dass Sirius die Familie weiterführen musste, wie Sirius selbst es war.
Er schüttelte den Kopf. Von all den Gedanken über Erbschaft und Gesetzen innerhalb der Reinblutfamilien wurde ihm ganz schlecht. Er verstand nur die Hälfte von dem, was hinter den Kulissen vor sich ging und er war sich sicher, dass er die andere Hälfte überhaupt nicht wissen wollte. Er hatte eine Mission, auf die er sich fokussieren musste und alles andere zählte jetzt nicht.