Die Stadt wurde in Angst und Schrecken gehalten. Was sollten sie bloß tun? Vor ihren Toren war ein Monster und keiner wusste, wie sie es besänftigen sollten.
Verlangte es nach Gold?
Verlangte es nach ihrer Ernte?
Verlangte es nach kostbaren Waren?
Verlangte es nach einem Opfer?
Schließlich beschlossen sie, dem Monster alles vier zu opfern.
Sie brachten eine Kiste voller Gold und Schmuck und Edelsteine, einen Karren voller Früchte und Getreide, voller Brot und Fleisch und einen Wagen voller Stoffe und Kräuter und Gewürze vor die Tore der Stadt.
Und dann brachten sie, gewaltsam, ein junges Mädchen, in Fesseln gelegt und in kostbare Stoffe gekleidet, aus der Stadt. Sie kämpfte, doch gegen ein dutzend Wächter konnte sie nichts ausrichten.
Zitternd stand sie an einem Baum gebunden da. Ihre Augen blieben trocken, sie weigerte sich, Tränen zu vergießen. Es mag nicht ihre Entscheidung gewesen sein, doch sie wollte ihrem Ende so entgegen treten, wie sie ihr Leben gelebt hatte.
Der Wind strich ihr um die Beine, während im Wald vor ihr die Vögel zwitscherten.
Es war als die Dämmerung einbrach, dass die Vögel verstummten.
Sie schreckte hoch aus ihrem Halbschlaf. Ihr Kopf schnellte herum auf der Suche nach dem Monster. Es kam immer am Anfang der Nacht. Sie konnten es hören, in der Stadt, wie der Wald schlagartig leise wurde.
Ein Schatten löste sich aus dem Wald. Nur ein Flackern in ihren Augenwinkeln.
Erschrocken atmete sie ein und presste ihre Augen zusammen.
Bitte, bitte, bitte...
Sie konnte keine Schritte hören, doch plötzlich spürte sie den warmen Atem des Monsters auf ihrem Hals.
Ihr Herz schien stehen zu bleiben.
Oh Mond, bitte, bitte, bitte nicht!
Etwas Nasses bewegte sich von ihren Knien zu ihrem Kopf.
Ihre Augen flogen auf. War das?!
Vor ihr saß eine Schattenkatze. Eine sehr große Schattenkatze. Ihr Kopf war schief gelegt, ihre Augen neugierig.
Sie atmete tief durch und nahm ihren ganzen Mut zusammen.
„Hey“, flüsterte sie. „Friss mich bitte nicht?“
Dieses Mal sah sie, wie die Katze sie abschleckte.
„Ich bin bestimmt nicht lecker.“
Mit einem leisen Rascheln fielen die Seile, die sie an den Baum gebunden hatten. Wann hatte die Schattenkatze die Seile zerfetzt?
Zähne verhakten sich in ihrer Kleidung, während sie abgelenkt war, und hoben sie hoch.
„Oh Mond! Ich bin nicht zum Essen!“
Es war ein harter Winter, doch die Stadt hatte seit einem halben Jahr keine Spur vom Monster gefunden. Ihr Opfer, sie konnten am nächsten Morgen das Gold und die Stoffe und die Ernte wieder in die Stadt holen, hatte ihnen ihre Freiheit gekauft. Doch nun litten sie an zu wenigen Händlern, die sich durch den Wald des Monsters trauten.
Eine Gestalt löste sich aus den Schatten des Waldes.
„Das Monster!“ Laut schallten die Schreie durch die Stadt. Hatten sie nicht genug hergegeben?
Doch die Wachen auf der Mauer sahen das erste Mal das Monster bei Tageslicht.
Eine mächtige Schattenkatze trat aus dem Wald und, zu ihrem Entsetzen, in einem Sattel auf ihrem Rücken saß das Mädchen, das sie zuvor in ihren Tod schickten.
Mit großen Augen und blassen Gesichtern konnten sie nur zusehen, als das Monster vor ihren Toren stehen blieb.
In der ganzen Stadt konnte man hören, als sie anfing zu sprechen.
„Ihr dachtet, mein Leben wäre weniger wert, als die euren. Nun, ihr habt euch eure Leben erkauft.
Auf ewig sollt ihr in eurer Stadt gefangen sein.
Auf ewig sollt ihr die Tore verschlossen halten.
Auf ewig sollt ihr keinen Tag älter werden.
Ihr habt eure Leben. Ich behalte eure Tode.“
Mit diesen Worten ritt Gurdula auf ihrer Schattenkatze davon. Sie hatte ihre Rache geübt, der Fluch war gesprochen.
Karlsson, die Schattenkatze unter ihr, genoss die Freude seiner Gefährtin. Das war es wert gewesen, einen Sattel zu tragen.
Aber nie wieder. Das Ding war unbequem.