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Nach dem Prompt „Japanischer Dachs [Tierische Geschichten mit Laubfärbung]“ der Gruppe „Crikey!“
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Ein Spaziergang durch den PuuRu hatte sie schon immer beruhigt. In Ximoras Kindheit war der kleine Wald bei Otacotl ihr Rückzugsort gewesen, wenn ihr alles zu viel wurde. Zwischen Zypressen, Lärchen und Zedern fühlte sie sich geborgen, der beruhigende Duft der Nadelbäume konnte sie erden, bevor ihr alles über den Kopf wuchs.
Als junge Elfe hatte sie das als selbstverständlich erachtet. Erst während ihres Studiums in Akijama hatte sie gemerkt, wie sehr sie den 'Kleinen Wald' vermisst hatte. Umso mehr, als ausgerechnet der PuuRu in einem Seminar über Nachhaltigkeit aufgetaucht war wie ein alter Freund.
Als Kind hatte Ximora nie gewusst, welche Geschichte der Wald hatte. Sie erinnerte sich nur an die Spiele, an Burgen aus alten Ästen und Zweigen, an Stunden, die sie im Geäst einer niedrigen Tanne verbracht hatte, um Dachse zu beobachten. Natürlich waren die braunen Tiere erst in der Dämmerung herausgekommen, sodass sie in der Kälte hatte ausharren müssen. Mehr als einmal hatte sie Ärger bekommen, weil sie so spät nach Hause gekommen war, kleine Zweige und Nadeln im Haar, Kleidung und Haut mit Harz verschmiert, manchmal begleitet von einem Schwarm Glühwürmchen.
Nun fühlte sich der Weg durch den Wald intensiver an als je zuvor. Die alten Pfade waren immer noch vertraut, obwohl so viele Jahre verstrichen waren. Die Luft war in diesem Herbst erfüllt vom Duft der Zedern. Nur wenige Laubbäume mischten sich in den Wald, der hauptsächlich die berühmten Rottannen lieferte, deren Holz nach ganz Gai-Shitori geliefert wurde. Die Blätter dieser Bäume trugen ein Kleid aus tiefem Orange, das mit dem Glühen des Sonnenuntergangs konkurrierte. Laub und braune Nadeln mischten sich auf der Erde. Das dunkle Grün der Tannen, unbeeindruckt vom Verstreichen der Zeit, wurde ab und zu vom Lila oder Gelb einer Steppenkerze durchbrochen.
Nur noch wenige Insekten schwirrten in der Luft, die aromatisch nach Holz roch. Ximora hielt an, legte den Kopf in den Nacken und atmete den Geruch tief ein.
Es war der Geruch der Heimat. Jede Faser ihres Seins wusste, dass sie an diesen Ort gehörte, in den PuuRu.
Der Wald war ein kleines Wunder, wie sie nun wusste. Im Unterricht hatten sie darüber gesprochen. Als der Shoji-Baustil aufgekommen war und das rote Holz immer begehrter wurde, hatten die Elfen von Otacotl den Wald beinahe abgeholzt. Gerade noch rechtzeitig hatten sie erkannt, dass ein ganzer Lebensraum verschwinden würde, wenn sie in ihrer Gier weiter Holz schlugen. Der wirtschaftliche Schlag aus dem damaligen Exportstop war sogar heute noch spürbar. Nun, da Ximora mit neuem Wissen heimgekehrt war, sah sie es an jeder Ecke der Stadt. Alte Waagen aus der Zeit, da man jeden Krümel Brot in Rai hatte aufwiegen müssen. Maßbänder für die Rai-Schnüre, auf denen die Steinmünzen mit dem Loch in der Mitte aufgereiht worden waren. Diebstahlsicherungen, damit die ärmere, hungernde Bevölkerung nicht stahl. Und natürlich trug auch der Wald diese Spuren. Die Bäume standen in regelmäßigen Reihen, da die Setzlinge so gepflanzt worden waren. Ein Zaun hatte das Gelände einst vor illegalem Holzschlag geschützt, doch nun standen die Tore wieder offen. Es gab noch immer Waldbereiche, die reihum abgeholzt wurden, und dazwischen Grünstreifen, in denen der Wald verwildern durfte. Die Linien zwischen jungen Tannen, reifen Bäumen und Wildnis waren klar zu sehen, doch hatte Ximora als Kind nie darüber nachgedacht.
Etwas raschelte im Gebüsch in der Nähe. Sie hielt inne, erstarrte und lauschte. Es war ein brauner Dachs, der sich nach einer Weile aus dem dichten Unterholz eines verwilderten Gebietes wagte, um zwischen den niedrigeren Rottannen auf die Jagd zu gehen.
Wie auch die junge Ximora vor einigen Jahren gehörte er zu jenen Wesen, die von der gemeinsamen Anstrengung Vieler profitierten, ohne darum zu wissen, wie wertvoll ihre Heimat hier war. Ximora, die nun zu schätzen wusste, dass ihre unbeschwerte Kindheit keine Selbstverständlichkeit gewesen war, sah dem Dachs mit einem Lächeln nach ohne sich zu rühren, bis er schließlich außer Sicht war.
Nur, weil die Elfen ihren Wald wie einen Garten pflegten und schützten, konnte der Dachs hier unbesorgt Nahrung suchen und seine Junge aufziehen. Und Ximora würde sich den Anstrengungen nun anschließen, damit noch viele Generationen von Kindern in diesem Wald Dachse beobachten konnten.