Rating: P12
Nach dem Prompt „Spitzmorchel [Pilzige Radiergummigeschichten]“ der Gruppe „Crikey!“
------------------------------------------------
Es war immer wie eine Heimkehr für Xinaba. Sie grinste, als sie in die zugige Halle trat. Die Konferenz fand dieses Jahr wieder in Akijama statt, sodass sie teilnehmen konnte. Längere Reisen zu anderen Orten verhinderte ihre Erkrankung leider, und auch jetzt spürte sie die Kälte des schlecht isolierten Raumes in den Knien. Das Zimmer lag hoch im wandelbaren Palast, einer der vielen Räume, die kaum noch genutzt wurden, erfüllt von Staub und dem eisigen Bergwind, der um die Türme zischte.
Einige der anderen Wissenschaftler trugen Sauerstoffmasken oder Atemzauber. Forscher aus dem Tiefland, aus allen Winkeln der Eisenwelt.
Die verschiedenen Biologen begrüßten einander herzlich. Da gab es Umarmungen, Verneigungen oder Knickse, ein Verhaltensforscher hätte an der Konferenz sicher seine helle Freude gehabt. Rasch füllte sich das sonst so leere Zimmer mit einem Gewirr verschiedener Sprachen, übersetzt durch Dolmetscher oder Schinar-Zauber. Xinaba erzählte von ihrer Familie, davon, was in den letzten Jahren in Gai-Shitori vorgefallen war, und erfuhr von den Erlebnissen ihrer Freunde.
Doch leider gab es einen Zeitplan, so musste der Austausch auf die erste Pause warten. Heute saß Furutaxa der Konferenz vor. Er kündigte den ersten Redner an, einen jungen Burschen, der neu in ihrer bunten Runde war. Ein junger Zwerg namens Camillo, der jedoch in einigen Jahren ebenso ein Mitglied ihrer Gelehrtenfamilie sein würde, da war sich Xinaba sicher. Jedenfalls für eine Weile ... Sie hatte schon einige sterbliche Forscher kommen und gehen sehen. Viele davon vermisste sie noch heute. Doch in ihren Forschungen blieben sie lebendig, für immer ein Teil ihrer Runde, die auf diesen neuen Erkenntnissen aufbaute.
Furutaxa stellte Camillo in einer kurzen Einführung vor. Er war ein Student aus Celyvar, der dort zunächst bei einem Historiker gelernt hatte, jedoch mit der Zeit mehr und mehr Interesse an der Biologie entwickelt hatte. Das klang, als würde er ihnen eine erfrischende neue Sicht auf alte Themen bieten können. Xinaba hatte ein Stück Pergament vor sich liegen und setzte Camillos Namen in akijamischen Zeichen darauf. Sobald Furutaxa seine Einleitung beendet hatte, betrat Camillo für seinen Vortrag die Bühne.
Im Laufe dieses Vortrag holte Xinaba schließlich den Radiergummi hervor und löschte die Kohlenstriche von ihrem Blatt. Die Zeichen verwandelten sich in einige dunklere Striche. Verstohlen sah sie zu ihren Freunden, die alle ähnlich irritiert aussahen. Furchen zogen sich über die gelehrten Stirnen der Elfen, Menschen und Zwerge im Raum.
Furutaxa war ein guter Vorsitzender, doch hier hatte er sich offenbar vertan. Während Camillo über die Spitzmorchel referierte, einen der typischen und häufigsten Speisepilze in Celyvar, streckten sich die zwanzig Minuten des Vortrags in eine förmliche Unendlichkeit.
Es waren vollkommen gewöhnliche Pilze. Camillo besaß nicht einmal neue Erkenntnisse. Xinaba fragte sich, wie sicher jeder im Raum, warum Furutaxa Camillo einen der wenigen Zeiträume für Vorträge überlassen hatte. Nicht jeder der hier Versammelten würde heute seine Forschungen vorstellen können, dafür aber Camillo! Und Xinaba hätte lieber etwas von den Forschungen im Bereich der Gegengifte oder zur Wiederansiedlung der Steppenadler oder dem Rätsel der Aalpopulationen gehört, als durch die Auflistung der Pilzeigenschaften zu sitzen, die sie bereits kannte.
Kleinere Pilze mit einem recht auffälligen Schirm. Sie wuchsen vor allem in der Nähe von Siedlungen, ernährten sich von totem Pflanzenmaterial, waren essbar, wenn man sie vorher kochte oder trocknete, da sie leichte Toxine enthielten. Dennoch waren sie ein beliebter und teurer Speisepilz.
Das war keine Forschung. Das war eine Wiederholung! Noch dazu von allgemein Bekanntem.
Als Camillo schließlich endete, hatte sie dennoch Mitleid mit ihm. An den Vortrag schloss sich die Fragerunde an, doch der Raum blieb still. Die Forscher hatten nicht weiter zugehört, nun hatte niemand Fragen an den Redner. Die größte Schande einer solchen Konferenz, dabei war der Zwerg sichtlich bemüht gewesen.
Hegte Furutaxa Groll gegen Camillo, dass er ihn so vorführte? Langsam richteten sich die Blicke auf den Vorsitzenden. Er musste nicht nur die Redner vorstellen und darauf achten, dass sie sich an die Zeit hielten, sondern auch in solchen Fällen die wohl wichtigste, die erste Frage stellen.
Heute schien das eine unmögliche Aufgabe zu sein. Hoffentlich würde der Rest des Treffens besser laufen!
Furutaxa drehte sich auf seinem Kissen und sah über die Schulter, ließ den Blick über die Menge gleiten.
"Nun, wenn niemand direkt eine Frage hat, würde ich gerne den Anfang machen."
Camillo nickte. Er umklammerte die Papiere, drückte sie vor die Brust. Er war sichtlich nervös, sodass Xinaba ihm nicht böse sein konnte.
"Also, du sagtest, die Spitzmorchel wächst insbesondere in der Umgebung von Siedlungen, nämlich dort, wo Wälder und andere Lebensräume gerodet wurden."
Camillo nickte.
"Welche Implikationen", sprach Furutaxa ruhig, "hat nun der Verkauf von Spitzmorcheln für die Übersicht über gesunde Wildflächen? Ich glaube, diesen Punkt hast du etwas übersprungen."
Xinaba hörte auf. Wie bitte? Implikationen für ...?
"Oh, Verzeihung, ich dachte, das wäre selbsterklärend", murmelte der Zwerg hastig. Er blätterte zurück. "Spitzmorcheln wachsen besonders gut in Gebieten, die kürzlich zwecks erdvölkischer Nutzung gerodet wurden. Da Spitzmorcheln unter Naturschutz stehen, gibt es strenge Pflückauflagen und bereits etablierte Funktionen, die deren Einhaltung überwachen und dokumentieren. Spitzmorcheln sind damit aber auch eine Zeigerart, die uns viel darüber verrät, wie viele Flächen freier Natur in einem Jahr zerstört wurden. Mit anderen Worten, wer einen Überblick über den Verkauf der Spitzmorcheln hat, hat einen Überblick über die landschaftliche Entwicklung in Celyvar, Lirhajn, Meleris ... wo immer Spitzmorcheln eben wachsen. Wie erwähnt, es gibt Arten in allen bekannten Kontinenten ..."
Und dieser Überblick war etwas, das Naturschützer seit Jahren suchten. Ein Indikator, der für möglichst viele Biome galt und sich bestenfalls noch in die Vergangenheit rückverfolgen ließ, sodass sie Entwicklungen abschätzen, vergleichen und notfalls Schutzmaßnahmen ergreifen könnten - all das war bisher Patchwork gewesen, ein weites Mienenfeld verschiedener Zeigerarten, inselartiger Naturschutzgebiete, Einzelprojekte kleiner Gruppen.
Wer hätte ahnen können, dass die Lösung ihrer Probleme sich ausgerechnet in der Kulinarik fand? Xinaba und viele andere Forscher kritzelten neue Notizen auf ihre Blätter. Fragen flogen nun durch den Raum. Diese Diskussionsrunde würde länger dauern als eingeplant, doch niemand grollte, dass die anderen Vorträge verschoben wurden.
Furutaxa hatte ihnen eine wertvolle Lektion in Aufgeschlossenheit erteilt. Ein siegessicheres Lächeln lag auf den schmalen Lippen des Elbs. Und die Forschungen der Biologen wurden völlig auf den Kopf gestellt.
Ja - so musste eine Konferenz ablaufen.