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Nach dem Promt "Schneegestöber" vom 09.12.2020 aus den Sixty-Minutes.
- Start: 10.12.2020 - 16:59 Uhr
- Ende: 10.12.2020 - 17:23 Uhr
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Der Wind heulte wie ein verletztes Tier. Langsam schob sich das große Segel aus dem Schneegestöber, in Fetzen flatternd, die verletzte Schwinge eines einst mächtigen Drachen. Der Kiel schrammte über Gestein, als das Langschiff auf Grund ging.
Tosend brachen sich die Wellen am Ufer. Mit aller Wut rollten die Wellen gegen das Land, als trachteten sie, die Insel zu verrückten; doch Vyeghoullead hielt hoheitlich und stark dagegen.
Das gestrandete Schiff erschien leer. Wasser schwappte im Bug, die Ruderbänke waren verwaist. Ein Geisterschiff vielleicht, dessen Besatzung eine Seeschlange gefressen haben musste.
Doch dann rührte sich etwas im Inneren. Stöhnend und knurrend richtete sich ein großes Wesen auf, entstieg einem Meer von Tauen, als wäre der vergessene Unrat im Stauraum lebendig geworden.
weißes Fell kam unter den Tauen zum Vorschein, zottig und schwer vom salzigen Wasser, dreckig, von Blut verklebt. Mit schweren Schritten mühte sich das vierbeinige Wesen vom Schiff. Jede Bewegung erschien, als lastete das Gewicht eines Berges auf den gebeugten Schultern, die hoch vom weißen Rücken abstanden. Beine in dichten, weißen Fellstiefeln schlotterten.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Bär vor dem Bug auf den kiesigen Strand. Sein Atem ging langsam und gequält, während der Sturm ihn unentwegt prügelte. Eiskörner hagelten auf den dichten Pelz.
Zitternd hob der Bär eine Pranke vor die Schnauze - und dort! Statt einer Tatze war es eine Hand, die aus dem Fell ragte, Finger krümmten sich wie unter Schmerzen. Unaufhaltsam kroch das Fell über Haut, verschlang sie, wie der Schnee im Winter jedes Zeichen des Sommers schluckt.
Aus allzu blauen Augen sah der Bär auf seine Hand, im Blick eine Mischung aus Furcht und Flehen, wissend, dass der Fluch ihn ersticken würde. Es gab keine Umkehr, keine Rückkehr aus dem Pelz, an den er nun für alle Zeit gebunden war.
Sein Fehler hatte ihn verdammt. Mit einem Seufzen im kalten Wind schloss er die Augen.
Einst war er ein Elf gewesen, ein Herse seines Clans, der beste Freund des Jarls. Sie waren einander wie Brüder gewesen, ob auf der gemeinsamen Jagd oder in der erleuchteten Halle beim Fest. Nahezu unzertrennlich waren sie gewesen, vielleicht waren sie es sogar jetzt noch, da der Jarl hinauf zu den leitenden Sternen gezogen war und sein Blut die Klinge seines Freundes für alle Zeit besudelte.
Ja, ganz sicher waren sie noch immer Herz und Seele, Pech und Schwefel, Freunde und Brüder.
Was sie trennte, war der Fluch des Jarls, der Dämon der Gier, der in seinem Herzen nistete. Zu viel hatte er gewollt. Sein Freund hatte ihn gedrängt, die Geheimnisse der Anderswelt fahren zu lassen. Nichts Gutes konnte aus dem Reich der Dhaoine herüberkommen, dieses hatte der Herse deutlich gesehen. Doch sein bester Freund hatte nicht hören wollen.
Es war eine Tat für den Clan gewesen, gegen sein eigenes Herz. Niemand dankte ihm dafür, nicht sein Freund, nicht der Clan, nicht er selbst. Er floh noch in derselben Nacht, doch die Macht der Thosta holte ihn auf den stürmischen Wellen ein.
Nun öffnete er die Augen, blau wie Eis. Die Verwandlung war vollbracht und der Elf verschwunden, für alle Zeiten verborgen im dichten Pelz des Bären. Doch auch der Fluch würde seinen Häschern nicht reichen. Er hatte ihren Jarl getötet, sie würden ihn jagen, bis sein Blut dem seines Freundes in die Tiefe folgte.
Schwerfällig stand er auf. Noch immer tobte der Sturm. Die Wellen hatten das Schiff am Land zerbrochen, nun holten sie sich Planken und Segel zurück, ein Opfer für Gaard, den Gott der Stürme.
Seine Schritte führten den Bären landeinwärts, fort von der sturmumtosten See, hin zu den Bergen, die sich mächtig und schweigend erhoben, wie weiße Zähne, die sich in den dunkelbewölkten Himmel bohrten.
Dort oben hob der Bär den Kopf in den Himmel. Blitze schienen das Blau seiner Pupillen zu zerschneiden, seinen Blick in Trauer und Schmerz zu brechen. Er öffnete das Maul und stieß ein Brüllen aus, donnernd wie die Wurzeln der Erde selbst. Da setzte sich der Schnee in Bewegung. Mit der Gewalt der Steine donnerten Lawinen ins Tal und verschütteten den Weg, die Bergflanke, die Spur der großen Tatzen.
Der Bär senkte den Kopf. Weiß stieg sein Atem auf, mischte sich in den Wind, wurde davongerissen wie das Leben der Sterblichen von der Zeit.
Weit unten traf die Lawine auf Grund und weiße Wolken verschlangen das Tal und die winzigen Lichter einer Siedlung. Weit unten trieb es den Schnee bis in die schwarzen Fluten des Meeres, ehe ein dichter Schleier aus Flocken dem Blick dieses Bild verwehrte.
Der Bär wandte sich ab und trat auf die Felsen zu, hinein in die Höhlen des Berges, wo Wasser tropfte und der Wind zu einem klagenden Heulen verkam. Nur begleitet von ihm, diesem Wind, dem Bhaidor, der dem Bären einen Sang seiner Schande vorspielte, trat der stille Wanderer in die Dunkelheit. Der Wind sang von Trauer und Schuld, von Rache und Schicksal, das gewebt schien von Ikvar dem Trickreichen.