Die Gruselgeschichte, die Beate nicht erzählen wollte
Die Sonne ging schon früh unter, eigentlich hatte sie nicht richtig geschienen. Der zweite Weihnachtsfeiertag ging nahtlos vorbei, die Nacht zog ihre dunklen Schatten in das kleine Bergtal und die drei Hütten, die zu drei Höfen gehörten, waren weit verteilt. Ein dunkler Mischwald grenzte bis an ihre Hütte heran, gab den Augen eine dunkle Atmosphäre, die selbst den mutigsten Gesellen eine Gänsehaut verursachte. Zwei Schwestern wohnten in der Hütte, die ein ärmliches, karges Leben führen mussten. Die Eltern waren vermisst, verschleppt von Wölfen, die viel größer waren als normale Wölfe. Der Anführer der Wölfe war ein richtiges Ungeheuer, ein Ungetüm und stammte wohl aus der Hölle.
Jäger, die ins Tal kamen, wurden selten wiedergesehen, sie waren spurlos verschwunden und manchmal fand man noch Reste von ihnen, die von ihrem grausamen Tod kündeten. Nachts machten sie die Wälder, um das Tal unsicher, ihre Todesrufe waren weit hinzuhören. Am Tag konnte man durch den Wald gehen, ohne Gefahr zur nächsten Stadt auf den Markt zu gehen, um Geschäften nachzugehen. Wehe aber, die Dämmerung setzte ein, dann sollte man sich ein Unterschlupf suchen, oder gar nicht erst den Rückweg antreten. An jenem Abend zwickte die Kälte an der alten Hütte und die beiden Schwestern hatten es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht. Zwei Schwestern, die eine blond und außerordentlich hübsch, ihre Hände zauberten am Webstuhl die schönsten Stoffe. Auf dem Markt erzeugte sie die unumschränkte Aufmerksamkeit aller jungen Männer. Die Stoffe, die sie gewebt hatte, verzauberten alle Frauen und an ihrem Stand herrscht immer Gedränge. Schwarzhaarig dagegen war ihre Schwester, die von Neid und Missgunst viel aß und an die Schönheit ihrer umschwärmten Schwester nicht herankam.
Als die Eltern noch da waren, fing Luna an, eifersüchtig zu werden, weil Klärchen immer bevorzugt wurde. Klärchen hatte außer ihrem langen blonden Haare, auch lustige kleine Sommersprossen im Gesicht. Ihre Augen strahlten Freude aus, als ob die Sonne aus ihnen blicken würde. Den ganzen Tag lief sie froh gelaunt umher, nahm der Mutter gern die Arbeit ab und durch das ganze Haus drang Klärchen’s Lachen. Luna jedoch war still, saß oft in der Ecke und ihr Gesicht sah ernst und traurig aus. Eifersüchtig sah Luna Klärchen nach und im Innersten wünschte sie sich, es würde keine Schwester geben, dann wäre sie die Lieblingstochter. Dabei hatten sich doch die Eltern, nach der Geburt von Luna, riesig gefreut. Wie der Papa die Neugeborene in seinen Armen wiegte, hatte er in die Welt gerufen;
„Was für ein schönes Kind es ist und in ihren schwarzen Haaren wird sich der Mond silbern widerspiegeln! - wir nennen sie Luna, nach dem Mond!“
Eine Stunde später wurde noch ein Kind geboren, wieder wiegte der Papa das neugeborene Kind in seinen Armen und er hatte in die Welt gerufen;
„Was für ein schönes Kind es ist und ihre blonden Haare zeigen die Sonne, wie sie den Menschen Freude bereitet! – wir nennen sie Klärchen, nach der Sonne!“
Als Kleinkinder waren Luna und Klärchen fast nicht zu trennen, sie standen am frühen Morgen zusammen auf, spielten den ganzen Tag, teilten sich alles und gingen am Abend zusammen ins gleiche Bett. Doch immer öfter grenzte sich Luna von Klärchen ab, ja sie fing sogar an Klärchen zu meiden. Klärchen fühlte sich, als habe man etwas aus ihr herausgerissen, als hätte man ihr ein Teil von sich gestohlen. Doch Klärchen gab nie auf, es war ihre Zwillingsschwester und sie würde es auch bleiben, also versuchte sie mit ihrer gewinnenden Art, Luna für sich zurückzugewinnen. Aber umso mehr sie sich um Luna kümmerte, umso mehr grenzte sie sich ab, als ob etwas da wäre, dass sie verändert, sie gegen alle aufbringt.
Eines Tages, Luna saß in einer Ecke des Wohnzimmers, beobachtete Klärchen, wie Luna sich unterhielt. Es war mehr ein Flüstern, so als ob Luna aufpasste, damit keiner es merkt, es schien ein Geheimnis zu sein. Klärchen verhielt sich ganz still, beobachtete Luna, was sie hörte und sah, es ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Aber mit wem unterhielt sie sich, Klärchen strengte ihre Augen an, sah aber nichts? Hält sie Selbstgespräche, war ihr erster Gedanke, doch wie sie Luna weiter beobachtete, merkte sie, wie Luna auch zuhörte. Mit großen Augen hörte sie interessiert zu und Klärchen sah sogar, wie Lunas Augen anfingen zu leuchten, als ob ein Feuer in ihnen lodern würde. Das Leuchten war so groß und es wirkte auf Klärchen wie eine Bedrohung, die nur aus der Unterwelt stammen konnten. Hören tat Klärchen nichts, es wird wohl so sein, dass nur Luna es verstehen konnte und auch das machte Klärchen Angst, weil es unerklärlich ist, einfach nichts Gutes zu bedeuten hatte. Leise zog sie sich zurück, denn eines wollte sie auch nicht;
„Luna durfte es nicht wissen, dass sie belauscht wurde!“
Still zog sich Klärchen zurück, überlegte fieberhaft, was sie nun unternehmen musste, vor allem wie sie Luna helfen konnte. Schon die Zeit war schlimm gewesen, als sich Luna plötzlich in sich zurückzog, kein gutes Wort mehr übrig hatte, herumlief wie ein Geist, der nicht mehr zu verstehen scheint, warum er auf Erden weilen musste. Jetzt wurde ihr so manches klar, es musste ein Dämon sein, er versucht Luna für sich zu gewinnen, er wird sie brauchen, damit er sein schändliches Werk ausführen kann. Was hat dieser Dämon wohl vor? - möchte er vielleicht mit Lunas Hilfe in die reale Welt überwechseln? Es gefiel Klärchen überhaupt nicht, weil, wenn es so sein sollte, dann ist auch Lunas Leben in Gefahr! Da war doch noch etwas, etwas, das ich schon vergessen hatte, ich hatte es als unwichtig abgetan, weil es auch ein Zufall hätte sein können. Jedoch zweifelte Klärchen aber daran, es war bestimmt kein Zufall gewesen. Die Zusammenhänge verstand sie nicht, lagen für Klärchen nicht offen da.
Letzte Woche war es gewesen, die Dämmerung hatte eingesetzt und wie jeden Abend, wenn die Dämmerung einsetzte, dann war das Heulen der Wölfe in den angrenzenden Wäldern zu hören. Auch an dem Abend heulten die Wölfe, ihren abscheulichen Gesang, der andeutete, dass sie zur Jagt bereit waren. Diese blutrünstigen Kreaturen lauern dann auf ihre Opfer, die sie im grenzenlosen Rausch zerfleischen, in den niedergemachten Körpern badeten sie dann und feierten so ihre Blutorgie.
Jedenfalls den Abend heulten wie gewohnt die Wölfe und der Leitwolf heulte am lautesten. Obwohl es schon sehr kalt gewesen war und Vater es uns auch verboten hatte, trat Luna vor die Haustür. Es dauerte nur wenige Sekunden, da herrscht absolute Stille, kein Wolfsgeheul war mehr zu hören, aber auch kein anderes Geräusch, es herrschte absolute Stille. Lunas Haare flatterten im Wind, die dunkle Kleidung, die sie trug, ließen ihren Anblick gespenstig wirken.
Was war da geschehen? –fragte sich nun Klärchen und ein wenig hoffte sie doch innerlich, es könnte ein Zufall gewesen sein. Bei dem Gedanken schüttelte sie gleich den Kopf,
Luna musste etwas damit zu tun haben. Noch nie hatten die Wölfe ihren abendlichen Mordgesang unterbrochen, es wäre doch ein sehr großer Zufall gewesen, wo gerade Luna vor die Tür gegangen war. Erst jetzt, wo sie Luna heimlich beobachtet hatte, sah Klärchen einen Zusammenhang. Kurz danach waren Vater und Mutter verschwunden, sie kamen nicht mehr wieder, als ob sie der Boden verschlungen hatte und Luna zeigte keine Gefühlsregung, fast so, als ob es ihr egal gewesen war. Klärchen hingegen zerbrach fast, ihr Herz schmerzte und sie fühlte, es musste etwas geschehen sein und sie würden nie wieder kommen. Am selben Abend redete sie es sich noch ein, weil sie es nicht akzeptieren konnte, es durfte ihnen nichts geschehen sein. Am nächsten Tag kamen sie auch nicht und den darauf folgenden Tag war nichts von ihnen zu sehen. Nie hätte ihr Vater sie so lange allein gelassen und auch Mutter hätte das unmögliche unternommen, nur um zu ihren beiden Mädchen zu kommen. Die Sonne ging am frühen Morgen wie immer auf, so als, ob nichts geschehen war. Der Schnee lag immer noch auf dem Boden, genau wie die anderen Tage zuvor auch, nur die Fußabdrücke der Eltern waren nicht zu finden. Als ob nichts geschehen war, lag das Tal noch immer so da, wie schon seit ewigen Zeiten, eingerahmt und geschützt vom Wald, abgeschottet von der äußeren Welt. Was konnte Klärchen nun unternehmen, gegen das was ihre Schwester beeinflusst. Ich muss meine Schwester beobachten, damit ich weiß, womit ich es hier zu tun habe, wogegen ich ankämpfen muss.
Luna hatte sich verändert, jeden Tag nur ein wenig, doch die Tage vergingen und aus Luna war eine Gehilfin des Bösen geworden. Am Anfang war sie nur mit sich selbst unzufrieden, weil sie nicht so hübsch war wie ihre Schwester, weil ihr die Arbeit nicht so gelang, wie bei ihrer Schwester Klärchen. Sie fühlte sich zurückgesetzt, weil Vater immer nur Klärchen lobte und wenn er zärtlich ihr goldblondes Haar streichelte, wünschte sie sich genauso zu sein wie sie. Alles, was sie anfasste, ging schief, zerbrach, oder ging ihr einfach nicht von der Hand, dass sie schnell die Lust daran verlor und lieber nichts mehr machte. Luna neidete die schöne Figur ihrer Schwester, stopfte sich aber im nächsten Moment irgendetwas in den Mund, um ihren Frust zu betäuben. Danach konnte sie sich selbst nicht mehr leiden, weil ihr der Magen weh tat und schlecht war ihr auch noch. Ihr Leben fing an sich im Kreis zu drehen, wenn sie Klärchen besonders egoistisch gegenüber stand, hoffte sie sogar;
„Die Wolfsbande da draußen könnte ruhig kommen, sich Klärchen schnappen und dann einfach mit ihr verschwinden!“
Wie oft hatte sie es sich schon gewünscht, ohne Schwester aufgewachsen zu sein, ein Einzelkind zu sein. Vater und Mutter würden nur ihr einziges Mädchen lieben und sie mit ihrer Zuwendung reichlich überschütten. Doch dann wachte Luna morgens auf und alles war wie am Vortag, ihre Schwester war immer noch da und tat dann noch so, als würde sie ihr helfen wollen. Dabei spürte sie es ganz deutlich, es war alles nur falsches Getue, um sich immer mehr bei Vater und Mutter ein zu kratzen. Es war ja so eklig, wie sie sich anbiederte, mit ihrem falschen Lächeln, mit ihrer falschen Zuvorkommenheit. Schon wenn sie Klärchen sah, wurde ihr irgendwie schlecht, dann verlor sie sogar den Appetit und das Brot blieb ihr manchmal sogar im Hals stecken, dann machte sie ebenfalls ihre Schwester dafür verantwortlich. Luna wurde regelrecht unausstehlich, war mit sich selbst nicht mehr im Reinen, schimpfte über jede Kleinigkeit und fing sogar an, das Wetter zu hassen. Schien die Sonne, schien sie ihr zu warm, regnete es – regnete es zu stark. Den Wind hasste sie, weil ihr ständig etwas in die Augen wehte und der Schnee war ihr einfach zu kalt.
Vater und Mutter waren nur Gehilfen ihrer bösen Schwester und sie musste sie beeinflusst haben, es musste einfach so sein, anders war es auch nicht zu erklären. Jeden Frust, den sie gegen ihre Schwester entwickelte, hielt sie tief in sich versteckt, versuchte trotzdem gute Miene zum bösen Spiel zu machen und verbarg ihr wahres Gesicht hinter einer lächelnden Maske, die nach innen schmerzhaft ausstrahlte.
Schwarze Rabenvögel flogen wie Streifen im angrenzenden Wald umher, nahmen alles in sich auf und speicherten Ereignisse, die Menschen betrafen, in ihren kleinen Gehirnen. Nervös flatterten sie im Wald umher, seit einigen Monaten fingen sie ungewöhnliche Signale auf, Signale, die ihnen Freude machten, weil sie ihren inneren Kern widerspiegelten. Es waren böse Gedanken, die durchwoben waren von Neid und Missgunst, von Eifersucht und Geltungswillen. Böse, hasserfüllte Herzenswünsche, die ihrem eigenen Naturell voll entsprachen. Noch nie hatten sie außerhalb ihrer eigenen Art, so viel Liebe ausstrahlen sehen.
Eine Liebe, die der dunklen Welt untergeordnet war und ihr Anführer war Wolfus, eine Kreatur aus den finstersten Höhlen eines dunklen Fürsten verbannt. Wolfus sah aus wie ein Wolf, doch an Größe und Kraft war er jedem Wolf mehrfach überlegen. Am Tag lag er meistens müde und faul in einem finsteren Erdloch, schnarchte sein Lied des Todes, die Erlebnisse der Nacht auskostend. In der Nacht mutierte Wolfus zu einer noch schrecklicheren Gestalt, die an Kraft und Gier noch gewaltiger ausartete. Sowie der Mond den Lauf der Sonne übernommen hatte, setzt die Veränderung ein, dann erhebt er sich, stehend auf seine Hinterläufe, die Glieder ziehen und reißen sich auseinander, es entstehen riesige Hände, mit langen, scharfen Klauen bestückt. Der Kopf behält in etwa seine Form, nur aus dem Rachen ragen dolchartige Reißzähne hinaus, die Ihre Beute mit einem Biss in mehrere Teile zerfleischen können. Gnadenlos durchstreift Wolfus in der Nacht den Wald, selbst seine Mordgesellen, die Wölfe mieden ihn dann, er lauert, jeder Muskel seines Körpers ist auf erwartungsfrohes Zerfleischen angespannt. Aus seinem Maul tropft ein stinkendes, giftiges Sekret und es hinterließ auf dem Untergrund, auf dem es tropft, einen ätzenden Abdruck.
Da ist etwas Verwandtes, erahnen die Rabenvögel, ihre kleinen Herzen klopfen sogar schneller, die Harmonie der Schwingungen erreichen ihre kleinen Körper, die darauf fröhlich höher fliegen, um den Ursprung zu lokalisieren. Es sammeln sich immer mehr Rabenvögel, die aus allen Richtungen angeflattert kommen, nur um den lieblichen Schwingungen nahe zu sein. Doch kein Rabenvogel wagte es über die unsichtbare Grenze, zu nahe sich Wolfus anzunähern. Kein Rabenvogel wusste warum, doch alle hielten Abstand, keiner überflog die Grenze, keiner wollte das ungeschriebene Gesetz überschreiten. Der Ursprung der Köstlichkeit, die so wohltat, war trotzdem gefunden, eingraviert in ihre kleinen Gehirne. Voller Freude flogen sie im Kreis, bildete über den Baumwipfeln ein Ring, der sich an seinem Rand schwarz zu drehen schien.
Der Flug der Rabenvögel wurde immer schneller, in der Mitte des Ringes bildete sich ein Sog, der am Anfang leicht rötlich war, sich dann blutrot verfärbte. Noch immer erhöhte sich die Geschwindigkeit der Rabenvögel und nun wirkte der Kreis wie eine blutrote Scheibe, die am Kreisrand schwarz abgesetzt war. Langsam bildete sich aus der Mitte der -blutrunden Scheibe, die am Rand schwarz war, ein Wirbel, der sich stetig dem Erdboden näherte. Wie von Geisterhand gesteuert, änderte der blutrote Wirbel seine Richtung und näherte sich dem Haus, auf dem Luna auf der Veranda stand.
Über dem Haus war der Himmel ohne eine Wolke, der Mond schickte sein silbernes Licht ungehindert zur Erde.
Doch es war zu spüren, wie sich die Kälte wohlfühlte und selbst die Glasscheiben der kleinen Fenster mit einem filigranen Muster an Eisblumen füllte. Luna stand auf der Veranda, ohne Schuhe, mit nackten Füßen und der Körper war nur mit einem langen dünnen Wollhemd geschützt. Obwohl kein Lüftchen wehte, wurden ihre Haare wild umhergewirbelt und ein Außenstehender, der dem Anblick unvermittelt begegnen würde, könnte in Gefahr geraten, durch einen Schock das Bewusstsein zu verlieren. Es hatte etwas Mystisches an sich, wie die Luft sich mit Energie auffüllte, die Spannung ins Unerträgliche gestiegen war, ein Finale, ein greifbares Ende ankündigt. –und wie ein Finale sah es aus, als das Ende des Wirbels, die dünne Seite des Trichters, sich langsam auf Luna zubewegte. Luna hatte den Kopf nach oben geneigt, die Augen waren aufgerissen, das Weiß der Augäpfel hob sich leuchtend vom ganzen Gesicht ab und in ihrer vergrößerten Iris, leuchtete es Blutrot, welches aus dem rotierenden Ring strahlte, als kleines Spiegelbild wieder.