Vater, Mutter und ihr schreckliches Ende
Was halfen noch die Erinnerungen, wer dieses Untier war, er hatte es mit einem Monster zu tun, und es würde ihm und seine Frau töten, jetzt, gerade in diesem Augenblick. Mit einem gewagten Seitensprung, landete er genau im letzten Moment, dicht neben einem Baumstumpf. Weniger als ein Augenzwinkern hatte es gedauert, er konnte dem riesigen Maul der Bestie ausweichen, deren heißer Atem schon in seinem Nacken zu spüren war.
Viel Zeit zum Nachdenken war ihm nicht vergönnt, weil das große Untier schon wieder einen neuen Angriff startete. Doch diesmal änderte es seine Angriffsrichtung, konzentrierte sich auf Maria. Maria hatte sich hinter dem Karren versteckt und zitterte am ganzen Körper.
Erst als Karl laut gebrüllt hatte, entdeckte sie die Absicht des Untieres, und da hatte sie erst registriert, dass beider Leben in Gefahr war. Als Karl dem Untier ausgewichen war, hatte Maria sich sofort hinter dem Karren versteckt. Doch nun sah sie den riesigen Wolf, der ohne Mühe gewaltige Sprünge ausführen konnte, und sie sah, wie sich für einen kurzen Moment die gierigen Augen auf ihr gerichtet hatten. Ohne den geringsten Ansatz veränderte der Wolf die Sprungrichtung, hatte mit einem kurzen Sprung schon die Hälfte der Distanz überwunden. Für Maria überschlugen sich plötzlich die Ereignisse, die wie einzelne Bilder vor ihren Augen auftauchten, und über die Mordgier des Wesens keine Zweifel offen ließen. Da war die geöffnete Schnauze, die ihr extrem groß erschien, mit Lefzen, deren Wutfalten über die gesamte Schnauze reichten. Schneeweiße Reißzähne stachen daraus hervor, die sich schon zitternd wünschten, endlich in das warme Fleisch eindringen zu können, es dann zu zerfleischen, um sich mit dem Köstlichsten zu verbinden, um weiter dem eigenen Blutrausch zu frönen. Jede Sekunde erwartete Maria ihr Ende, die Bilder, die sich in ihr festgesetzt hatten, sprachen eine eindeutige Wahrheit, daran konnte es keinen Zweifel mehr geben, und schon spürte sie auch den heißen Atem, der mit einem widerwärtigen Gestank einherging. Sie war wie in einem Mantel eingehüllt, der sich in ihre Nasenöffnungen einnistete, freigesetzt aus einer Kloake, gegoren aus den Leibern seiner unzähligen Opfer, deren Seelen tief in seinem Inneren in Höllenqualen gefangen waren.
Am Hals fühlte sie eine feuchte Wärme, die sich in allen Richtungen auszubreiten schien.
Es war nicht nur eine feuchte Wärme, es fühlte sich zusätzlich klebrig an, wie der labbrige Geifer, den sie aus der Schnauze des riesigen Wolfes hat tropfen sehen.
Oder war es schon mein eigenes Blut, – dachte Maria, das in impulsartigen Schüben aus meiner Halsschlagader strömte.
Doch dann sah sie für einen kurzen Moment etwas, das sie noch nie in ihren Leben gesehen hatte.
Maria sah sich selbst fallen, dabei sah sie ihren eigenen Körper, der losgelöst von ihr noch aufrecht stand. Nach einem harten Rütteln hörte die Bewegung auf und ihre Augen sahen die silberne Scheibe des Mondes, den sie gerade bei der Geburt ihrer Tochter Luna so geliebt hatte. Für einen letzten Moment, erschien in der silbernen Scheibe des Mondes, das Antlitz ihrer geliebten Tochter Luna, und sie schickte Maria ein Lächeln, dabei strahlten ihre Augen, wie sie schon lange nicht mehr gestrahlt hatten. Nun zogen dunkle Wolken vorbei, verdeckten die silberne Scheibe des Mondes, lösten ihren letzten Blick auf, bis alles nur noch schwarz war, und in der letzten Dunkelheit blitzte noch ein letzter Gedanke auf, gab ihren neuen Weg einen letzten Gruß;
„Wie glücklich doch Luna aussieht!“
Für Karl war noch nicht mal ein Augenblick vergangen, da lag seine Frau Maria auch schon leblos hinter dem Karren, kopflos, wie man so sagt, doch das konnte er nicht sehen.
Zu schnell kam für ihn der Überfall, mit dem er auch nicht gerechnet hatte. Zeit ist im Ablauf immer gleich, sie fließt dahin, im gleichmäßigem Rhythmus, wie Wasser in einem ebenen Flussbett, erst wenn sich das Flussbett verjüngt, oder sich die Neigung zu seiner Fließrichtung verändert, fließt auch das Wasser schneller. So kam sich Karl auch vor, als würde die Zeit eine andere Geschwindigkeit annehmen, sie verging plötzlich viel schneller, so rasant vor seinem inneren Empfinden, die Eindrücke, die sein Gehirn verarbeiten mussten, schienen sich zu verzehnfachen. Die veränderte Aufnahme der Fließgeschwindigkeit, einer einzelnen Sekunde, verursachte den Todeskampf, der urplötzlich in Form der Bestie über ihm gekommen war. Aber auch die Angst um seine geliebte Frau ließen ihm verzweifeln.
Da waren noch seine Töchter, Luna und Klärchen, die bestimmt schon auf der Veranda standen und auf die Heimkehr ihrer Eltern warteten, was sollte aus ihnen werden? - wenn sie ohne Eltern weiter leben mussten.
Doch solche Gedanken konnte er sich nicht mehr leisten, jetzt zählte nur noch eines, – Überleben, den nächsten Angriff abwehren und er musste es schaffen Maria zu beschützen.
Es steckte in ihm, in jedem Muskel seines Körpers, in seinen Armen, in seinen Händen, es war die Liebe, die er in sich trug, die Liebe braucht keine Gedanken, damit er handelte.
Er musste kämpfen, nicht nur um sein Leben, sondern auch um der Liebe willen, die seine Triebfeder war. Angst ist ein Gegner, der unberechenbar ist, und wenn die Angst alles zu verlieren, die Sinne bis zum Äußersten in Anspannung versetzt, wird auch ein scheinbar schwacher Gegner gefährlich.
Karl hatte es nicht bemerkt, was gerade eben hinter dem Karren geschehen war, er sah nur das Monster, wie es sich neu in Position brachte, die Hinterläufe zum Sprung vorbereitete, seine angsteinflößenden Augen waren starr auf ihm gerichtet. Was plant das Untier? - dachte Karl noch und jeden Moment musste sein Gegner losspringen.
Wenn, er nicht schnell genug reagieren würde. Hatte er gegen die dolchartigen Zähne, die wie eine Drohung aus seinem mit Geifer tropfendem Maul ragten, keine Chance.
Warum sprang er nicht?
Damit er endlich irgendwie zu Maria kam oder zumindest an den Karren, um an das Messer zu gelangen, das irgendwo dort liegen musste.
Ohne Waffe würde er nie eine Chance haben, gegen das riesige, Wolfsungetüm war er unterlegen.
Jetzt hatte sich ein wenig der Blickwinkel, zum Karren verändert, da sah er etwas Rotes, an einem Seitenbrett, es funkelte im Licht der silbernen Mondscheibe dunkel.
Der Fleck schimmerte regelrecht, es ging eine unheimliche Aura von ihm aus – warum fürchte ich mich nur so davor? –weil er vorher noch nicht dagewesen war! - er musste gerade erst entstanden sein! Wenn er erst eben entstanden war, musste er von Maria stammen, wenn er von Maria war – was war dann mit Maria geschehen?
Es waren keine Wörter oder auch Sätze, die er dachte, es war nur das Wissen;
„Um Maria steht es nicht gut!“
Die Erkenntnis stach in sein Fleisch, durchdrang die oberste Hautschicht völlig mühelos, der Schmerz endete in seinem Herz, langanhaltend, für die Ewigkeit entstanden. Eine Art Schwindel versetzte seine Beine in Bewegungslosigkeit, sie verloren völlig das Gefühl, obwohl sie doch jeden Moment gebraucht wurden, gebraucht um den drohenden Angriff auszuweichen. Immer weiter wurde für ihn die Entfernung den Karren zu erreichen, für Maria da zu sein, das rettende Messer in seine Hände zu bekommen. Ohne das Messer würde es keine Zukunft mehr geben, ohne das Messer kann er sich nicht mehr verteidigen, und wenn Maria nur verwundet war, konnte er ihr Leben nicht retten.
Luna und Klärchen verlieren ihre Eltern, stehen plötzlich als Weisen in dieser harten Welt. Karl spannte mit letzter Kraft seine Muskeln, die Arme festigten sich, und die Anspannung zog sich durch seine gesamte Muskulatur.
Wie ein Befehl durchströmte sein Wille alle Blutgefäße, ließen die Hautoberfläche hart werden, und mit der Härte erlangte er wieder die Oberhand, seine Beine gehorchten ihm wieder. Ein Funke Hoffnung beflügelte ihm, gab ihm neuen Mut, aus der hoffnungslosesten Lage zu kommen, die er je in seinem Leben bewältigen musste, um Maria zu retten, den Kindern die Mutter zu erhalten. Nichts anderes zählte mehr, es gab kein anderes Ziel mehr, denn sein Leben war nichts wert, ohne seine Frau, ohne seine Familie. Jedes Geräusch vernahm er doppelt, wie ein Blinder der sein ganzes Leben ohne seine Augen auskommen musste, alle Sinne waren bis aufs äußerste fixiert, weil jedes ungewöhnliche Geräusch unweigerlich den Tod bringen konnte. Doch die Geräusche waren verschwunden, als ob alles um ihn herum die Luft angehalten hatte, jede lebende Kreatur beobachtete, wie der ungleiche Kampf ausgehen wird.
Oder war allgemeine Angst vor dem Untier die Triebfeder, für das plötzliche Ausbleiben jedes Geräusches, das noch vor dem Angriff, in all seinen Schattierungen den Wald erfüllt hatte?
Nun erinnerte sich Karl daran, wie lustig die Vögel ihre Schnäbel in die Höhe gerichtet hatten, nur um lauter als der Nachbar singen zu können. Fliegen und Mücken surrten ständig vor seinem Gesicht, er hatte ständig seine Hand einsetzen müssen, um sie zu verjagen. Auch der Gesang der Grillen war verschwunden, es hatte sich eine todbringende Stille durchgesetzt, die nur unterbrochen wurde, durch seine eigenen Füße. Die Stille kam plötzlich und unerwartet, war einfach da. Seine Augäpfel drehten sich nach oben und da sah er eine große, dunkle Wolke, die die Sonne verdeckt hatte. Er hatte sie nicht gleich bemerkt, wie furchterregend sie am Himmel schwebte, alles unter einem großen Leichentuch verstecken wollte. Ein markanter Geruch erreichte seine Nase, er kannte den Geruch, wenn er eines seiner Schafe geschlachtet hatte, und er das Tier zum Ausbluten aufgehängt hatte. Da roch es ganz genau so, mit seinem typisch, metallisch, untersetztem Geruch. Die Wolke wirkte nur dunkel und nun wusste es Karl, es war dunkelrot, aus den tiefsten Abgründen menschlicher Angst geboren. Haben wir selbst die Wolke mit unserer Angst erschaffen, ihr geholfen sich zu manifestieren? –wurde erst da das Untier zu dem, was es jetzt ist, ein mordendes Monster, und es hatte nur eine Absicht, alles zu vernichten, was ihm in die Quere kommt. Leider nützt mir die Erkenntnis nichts, – dachte Karl, es will uns einfach nur umbringen!
Ein kleines Geräusch ertönte, nur ganz leise, fast nicht zu vernehmen für das menschliche Ohr. Es wurde erzeugt von einem Lufthauch, doch das kleine Geräusch setzte alle Alarmglocken in Karl frei, es musste ein neuer Angriff sein. Ohne dass Karl seine Muskeln einen Befehl gegeben hatte, sprang er auf die linke Seite, drehte sich dabei um seine eigene Achse, und rollte auf seine Schulter nach vorn. Keine Sekunde zu spät, eine kleine Berührung an seiner rechten Schuhspitze sagte ihm, er hatte im letzten Moment reagiert, sein Gegner hatte ihm verfehlt. Etwas Boden hatte er durch den Sprung gut gemacht, der Karren war in greifbare Nähe gerückt. Hoffnung keimte in ihm auf, er musste es schaffen, es gab nur noch; „er oder wir!“
„Wo ist Maria?“ – ich kann sie einfach nicht sehen. Wieder fiel sein Blick auf den Fleck am Karren, er leuchtete ihm an, schrie ihm eine Wahrheit entgegen, die er einfach nicht akzeptieren wollte, nicht akzeptieren konnte.
Durch den Raumgewinn sah er den Fleck noch genauer, – es war eindeutig kein normaler Schmutzfleck, den er nur übersehen hatte. Es war Blut und das Blut verriet ihm eine grausige Wahrheit, die Karl fast wahnsinnig werden ließ. Außerdem bemerkte er kein Lebenszeichen –verdammt, wo ist sie nur? Jetzt veränderte sich wieder alles, von einem Moment auf den nächsten. Die riesige, Wolfsbestie, riss ihr Maul auf, dabei hielt es den Kopf in die Höhe, und fing an zu schreien. Nein, es war kein schreien im herkömmlichen Sinn, es war auch kein Singen, so wie es Wölfe taten. Es war ein Ruf, ein Ruf, der ihn als Herren auswies, als Herren dieses Waldes, und er war gewillt, den Status, den er innehatte, zu verteidigen. Es war ein Vorspiel seiner Macht und es war an der Zeit, dem Spiel ein Ende zu bereiten.
Melisto war im ersten Moment verblüfft, als er den Sprung angesetzt hatte, dem Widerstreben seiner Beute ein Ende zu bereiten. Doch als er ihm schon sicher in seinen Fängen währte, sprang er im letzten Moment zur Seite, und so aus seinem Zugriff. Seine Krallen hatten noch einen kurzen Kontakt gefühlt, aber die Spitzen seiner Krallen hatten keinen Halt gefunden, ihn wenigstens zu verletzen. Noch nie hatte er sein Opfer verfehlt, es war eine ganz neue Erfahrung, die er erst noch verdauen musste. So bösartig wie sein Ansinnen war, keine Gnade walten zu lassen, seine Aufgabe zu erfüllen, die ihm zugedacht worden war, kam doch so etwas wie Bewunderung in ihm auf. So klein und winzig, wie das menschliche Wesen auf ihm wirkte, musste er doch Anerkennung zollen. Melisto fühlte die Verzweiflung und die Angst, die der Winzling ausstrahlte, er kämpfte für seine Familie, seine Frau, seine beiden Töchter, die er Mutterseelen alleine in der armseligen Hütte sah. Davor hatte er Respekt, auch wenn ihm selbst solche Empfindungen vollkommen fremd waren. Wie sollte das kleine Kämpferherz auch wissen, dass er, Melisto, schon Verbindung mit einer seiner beiden Töchter aufgenommen hatte. Es war die kleine Dunkelhaarige, mit den silbernen Strähnen, und aus ihren Augen leuchtete ein Schimmern, so als, ob sie eine Tochter des Mondes war, den er nachts so liebte, der ihm zu dem machte, der er war. Er spürte es ganz deutlich, sie war, mit ihm verwand, sie würde bald seine Gefährtin werden. Durch den Wald streifen und über ihrer beider Köpfe schien dann der Mond, mit seinem Lächeln gab er beiden die Kraft, die sie unbesiegbar werden lassen wird. Mit einem Ruck wurde er wieder in die Realität zurückversetzt, da ertönte ein jämmerliches Geschrei, von dem kleinen Mann, der gerade noch im gekonnten Sprung vor ihm ausgewichen war. Durch seine scharf blickenden Augen erkannte Melisto sofort, was geschehen war. Durch den gekonnten Ausweichsprung konnte er hinter den Karren blicken und was er da hatte sehen müssen, war Melisto sofort klar.
Seine tote Gefährtin lag dahinter, fast noch genau dort, wo sie sich versteckt hatte. Nur lebte sie jetzt nicht mehr, der Kopf lag abgetrennt vom Körper, und in ihren aufgerissenen Augen, war noch immer die Verblüffung zu sehen, als sie den warmen Atem Melisto gespürt hatte. Noch immer hatte Melisto den Geschmack ihres Blutes auf seiner Zunge und noch immer war seine Gier nach mehr Blut nicht gestillt. Da war ja noch der Gefährte, der im Moment alle Vorsicht um sein Überleben vergessen hatte, sich vor den Kopf seiner leblosen Gefährtin niedergekniet hatte, und mit zitternden Händen ihr mit Blut durchtränkte Haar berührte. Melisto beobachtete ihm, wie er seiner Trauer nachhing, alles um sich vergaß, auch ihm Melisto hatte er vergessen, und Melisto nahm mit seinen schleichendem, fast lautlosen Gang auch die Gelegenheit war, sich ihm zu nähern. Mit jedem Meter, den sich Melisto seinem potenziellen Opfer näherte, wurden die Schwingungen der tiefen Trauer deutlicher.
Fast wähnte sich Melisto, die Trauer, die dieser Mensch ausstrahlte, selbst so tief zu empfinden. Doch die Empfindungen streiften nur das Herz von Melisto, er war eine Kreatur aus den Tiefen der Dunkelheit, und das wahrlich Böse kennt kein Mitleid, es nutzt sie aus, um Vorteile zu gewinnen. Wie schnell sein Gegner reagiert hatte, hatte ihm verblüfft, hatte ihm aber auch zur Vorsicht gemahnt, denn Übermut kann den Untergang bedeuten. Es war nicht das Wissen, dass auch er verletzlich war, sondern erst seine Vorsicht machte ihm zu einem unüberwindbaren Geschöpf, und die Unüberwindlichkeit war in seinem Wesen eingraviert, selbst mit dem schärfsten Messer war es nicht zu entfernen. Noch immer hockte sein Gegner vor dem Kopf seiner Gefährtin. Melisto hatte sich schon so dicht an ihm herangeschlichen, so dicht, dass er einfach nur noch zubeißen brauchte.
Wie in Zeitlupe öffnete er seine riesige Schnauze, um gnadenlos vorzupreschen, von oben sein Kopf zu erfassen, und mit seinem Kopf alle Empfindungen, alle Hoffnungen, Sehnsüchte, aber auch seine Ängste, mit sich zu reißen.
Vor allem aber hoffte er seine Seele unbeschadet in sich aufzunehmen, ohne auch nur den geringsten Anteil davon zu verlieren. Immer wenn er ein Gegner getötet hatte, floss die Seele in schubartigen Stößen aus dem Kopf, verteilte sich, wirbelte über den Getöteten, als ob sie sich sicher sein wollte, ob auch wirklich das gesamte Leben entwichen war. Erst dann schoss die Seele wie ein Blitz in die Höhe, um durch den Himmel in die Unendlichkeit zu verschwinden. Diesmal wollte es Melisto verhindern, bevor die Seele aus seinem Körper trat, wollte er den größten Teil des Körpers in sein riesiges Maul haben, bevor er den tödlichen Biss ausführt. Immer wieder war es geschehen, da floss ein Teil der Seele ungehindert durch seine Reißzähne, und dann war der größte Teil für immer verloren. Er war gierig und verfressen und er wollte alles, alles auf einmal.
Eine Seele ist für einen Menschen nicht zu sehen, sie ist nur für den Mitmenschen zu fühlen, und jeder spürt sie auch, ob ein Mensch gut oder böse ist. Melisto dagegen konnte sie sehen, obwohl er selbst keine Seele besaß, denn in einem dunklen Kerker befindet sich keine Seele. Aber sehen konnte er sie, wenn sie aus dem leblosen Körper entweicht, als kleine funkelnde Wolke, in die Milliarden von blitzenden Sternchen, in schnellem Tempo kreisen.
Für ein Wesen ohne Seele, ist schon der Gedanke eine Seele in sich einzuverleiben, mit einem betörendem Glücksgefühl verbunden.
Schon im Vorfeld läuft ihnen der Geifer aus dem Maul, das sich wie eine ätzende, übelriechende Substanz auf den Boden ergießt, alles Gesunde mit in die Tiefe reißt.
Deshalb ist alles Getier, das zufällig mit der Substanz in Verbindung gerät, um das doppelte mutiert, auch zu gefährlichen, kleinen Monstern geformt worden.
Die wieder ihr gefährliches Gift weiter transportieren, und somit den Wald um das kleine Tal noch böser machten. Genau wie ihr Herr, krochen sie aus ihren Löchern, sowie die Sonne untergegangen ist, wenn der Mond die Vorherrschaft übernommen hatte, der ihre Triebfeder geworden war.
Dann gingen sie auf Beutezug und dienten der dunklen Seite.
Karl kniete vor dem Kopf seiner geliebten Frau, es war wie ein Hammerschlag, der ihm zwar nicht zu Boden geschlagen hatte, aber das war auch schon alles. Der Hammer hatte viel mehr angerichtet, er hatte sein Herz aus seinem noch lebenden Körper gerissen, und obwohl er nicht schrie, schrie doch sein Innerstes auf, wollte einfach nicht enden. Eine Schmerzwelle zog durch seinen ganzen Körper, ließ ihm schier unendliche Schmerzen verspüren. Mit allem hatte er gerechnet, auch mit ihrem Tod, doch mit einem losgelösten Kopf, und ekliges Getier, so wie er es an Größe noch nicht gesehen hatte, das sich an die freiliegenden Fleischteile genüsslich hielten, damit hatte er nicht gerechnet. Schon der Anblick des Blutes, die Flecke an dem Karren, hatte ihm das schlimmste vermuten lassen.
Aber er hatte noch gehofft, sie würde nur verletzt sein, denn die Hoffnung wollte er nicht aufgeben, weil dann auch sein Leben zu Ende sein würde. Nun brach um ihn herum alles zusammen, er vergaß die Bestie, die er noch vor kurzem mit einem Sprung ausgewichen war. Er vergaß die Gefahr, selbst sein Kopf zu verlieren, er hatte sogar seine Töchter vergessen, so ungeheuerlich war für ihn der Anblick. Selbst die Bisse der mutierten Kriechtiere, die sich noch vor kurzem am noch warmen Blut seiner geliebten Frau ihre Gelüste stillten, spürte er nicht, körperlicher Schmerz lag hinter, einem Berg verborgen, und der Berg hatte einen Namen;
„Maria“
Wie lange konnte der Zustand noch andauern, da nichts geschieht, oder vergingen die Sekunden für Karl einfach länger, zogen sich ins Unermessliche. Nein, die Gefahr war offensichtlich, genau über ihm, über seinem Kopf lauerte das Monstrum, und es würde jeden Moment zuschlagen, sich das holen, weswegen es aus dem finsteren, Katakomben, der Dunkelheit in die Welt geschickt wurde.
Karls Nackenhaare stellten sich plötzlich hoch, er spürte einen warmen, wie Feuer lodernder Luftzug, genau über ihm, auf seine Kopfhaare tropfte etwas, und dieses Etwas brannte wie die Pest.
Zusätzlich war er mit einem üblen Gestank konfrontiert, der schien über allzu sein. Er war mitten drin, in dem fürchterlichsten Gestank, den er jemals wahrgenommen hatte. Es war der gesammelte Geruch, von unzähligen Leichen, die tagelang, ungehindert der Sonne ausgesetzt waren.
Ja, das war der richtige Vergleich, und nun hob er seinen Kopf, blickte fort vom Haupt seiner geliebten Frau. Der Gestank hatte ihm fortgerissen, fortgerissen aus der Starre, die durch den Verlust seiner Frau über ihm eingebrochen war. Doch was seine Augen jetzt sahen, war ein Schlund, der direkt in die Hölle zu führen schien. Jetzt wusste Karl, woher der wie Feuer lodernde Luftzug herkam, und vor allem der fürchterliche Gestank seinen Ursprung hatte. Angst verspürte er trotzdem nicht, es war für ihn einfach gleichgültig geworden, wie und auf welche Weise er umkommen wird. Als er den Schlund zur Hölle wahrgenommen hatte, hatte er sofort gewusst, jetzt war er dran, es gab wohl kein entrinnen mehr. Maria fühlte kein Schmerz mehr und er glaubte, der Tod, der über ihm lauerte, ist schnell und schmerzlos, auch wenn der Teufel persönlich sein Leben rauben würde, seine Seele steigt aufwärts ins Himmelreich.
„Ich war immer ein guter Mann gewesen, am Ende wird immer das Gute siegen, auch wenn es im Moment nicht so aussehen mag!“
Melisto sah sich am Ziel;
„Nun kann er mir nicht mehr ausweichen, ich brauche nur noch zuzuschnappen!“
Er zog seinen Kopf wieder etwas höher und für einen kleinen Moment, begegneten sich ihre Augen, Karl sah in die übergroßen Pupillen, die ihm einen Blick in die Unendlichkeit gewährten, eine Unendlichkeit vom Bösen vermischt. Dann versank Karl in die Schwärze, die in den Pupillen des Ungeheuers so unendlich erschien, bis alles ins Nichts zerrann. Wie ein Schattenbild, tauchte das Gesicht seine Tochter Luna auf, es war der letzte Blitz, den Karl wahr nahm. Karl existierte nicht mehr.