Nach einigen Tagen war Doktor Iversen der Meinung, dass ich entlassen werden konnte. Mein Gang war etwas steif, und langsam aber sicher drangen die körperlichen Schmerzen, die sich zum Glück in Grenzen hielten, zu mir durch. In Zeitlupe lief ich mit den Entlassungspapieren den Flur entlang und konnte mich nicht überwinden, das Gebäude zu verlassen und mich der grausamen und einsamen Realität stellen.
Auf der anderen Seite wartete Sven, um mich nach Hause zu bringen und da ich nicht gedrängt werden wollte, hatte ich ihn gebeten, nicht hereinzukommen. Jetzt stand ich wie ein Feigling auf dem Absatz der Treppe und überlegte ernsthaft, ob mich ein Fall zu Erik und meinen Eltern bringen würde. Die Chance war jedoch gering, wenn ich die Stufen zählte.
Erst, als ich Svens sorgfältig zurückgegelte Haare vor der Tür sah, setzte ich mich wieder in Bewegung. Alles in mir schrie danach, nicht hinauszugehen, doch letztlich setzte ich einen Fuß nach draußen.
Sofort erfasste eine sanfte Windbrise mein Haar und spielte neckisch damit, gleichzeitig drang die salzige Luft tief in meine Lungen und erfrischte mich trotz der Wärme. Seit Mai herrschte 24 Stunden Tageslicht und erst Ende Juli würden die Tage Schritt für Schritt kürzer werden. Ich schirmte meine Augen mit der Hand ab, um das Meer mit seinem ausnahmsweise ruhigen Wellengang besser sehen zu können. Durch das Sonnenlicht glitzerte das Wasser wie unendlich viele Diamanten.
Ich schloss meine Augen und kämpfte gegen die Tränen an.
Sankt Hans … Es hätte unser Sankt Hans werden sollen …
Nichts war von unseren Träumen übriggeblieben.
„Hej, Freyja“, grüßte Sven und nahm mich in den Arm.
Widerstandslos ließ ich die Begrüßung über mich ergehen, fasste mir dann ein Herz und umarmte ihn. Sven, aber auch Idun und ihre Tochter waren für mich da. Daran sollte ich festhalten, das wusste ich, auch wenn sich alles im Moment ausweglos anfühlte.
„Komm, ich habe eingekauft“, flüsterte Sven und strich mir liebevoll die Haarsträhne hinter das Ohr. Er führte mich zu seinem Auto und hielt mir charmant die Tür auf, doch ich zögerte und hatte tatsächlich Angst, mich in den Wagen zu setzen. Die schrecklichen Bilder blitzten vor meinen Augen auf und lähmten mich.
„Freyja“, sagte Sven sanft. Er nahm meine Hand und küsste einen Fingerknöchel nach dem anderen. „Alles ist gut. Es wird nichts passieren. Der Weg ist nicht weit.“
Das stimmte allerdings. Unser Traumhaus war nicht weit entfernt und lag an der Küste in der Nähe des Andenes Stadions mit einem absolut traumhaften Blick aufs westliche Meer. Die Fahrt würde nur wenige Minuten dauern …
Ich riss mich zusammen, ließ mich auf dem Beifahrersitz nieder und schnallte mich an. In der Zwischenzeit kam Sven auf die andere Seite und startete schließlich den Motor. Langsam fuhr er die Straßen entlang, was er sich nur aufgrund des wenigen Verkehrs um diese Uhrzeit leisten konnte.
Dankbar nahm ich das zur Kenntnis, und versuchte, mich auf die Umgebung zu konzentrieren, doch die Erinnerungen an den Unfall überblendeten die an mir vorbeiziehenden Häuser. Ich hörte uns schreien, spürte, wie sich das Auto meiner Eltern überschlug und bevor ich gänzlich einen Nervenzusammenbruch bekam, hielt Sven sein Fahrzeug an.
„Wir sind da.“
Seine Verkündung ließ mich blinzeln und durch einen verschleierten Blick erkannte ich unser Haus. Die Blumen auf der Terrasse und in den Blumenkästen erfreuten sich des Lebens, was ich Sven zu verdanken hatte. Immerhin sollte er sich in unserer Abwesenheit um sie kümmern.
Krampfhaft hielt ich meine Dokumente fest und starrte minutenlang auf unser Haus. In meinem Kopf drehten sich die Gedanken, was wäre, wenn …? Zu einer Antwort kam ich nicht, denn Sven legte die Hand auf meinen Oberschenkel und sprach mich an.
„Brauchst du noch etwas Zeit? Dann gehe ich schon vor und verstaue die Lebensmittel“, schlug er vor.
Dankbar nickte ich und blieb sitzen, doch als er den Kofferraum öffnete, entschied ich mich anders und war schneller bei ihm, als er gucken konnte. Entschlossen nahm ich ihm eine Tüte ab und ging zur Haustür. Mit zitternden Fingern schloss ich sie auf und schluckte, als mich die gähnende Leere wie eine Wucht traf. Nicht einmal der Wind oder das leise Rauschen der Wellen drang noch zu mir vor.
Mein Blick glitt durch das Haus und eine unangenehme Kälte sorgte für einen Schauer nach dem anderen. Plötzlich brannten wieder Tränen in meinen Augen, die ich jetzt nicht mehr zurückhielt. Schniefend stellte ich die Einkaufstüte ab und warf mich weinend auf das urgemütliche Sofa mit den unzähligen Kissen, die alle nach Erik rochen. Ich vergrub mein Gesicht an einem und ließ meinen Tränen freien Lauf. Wütend trommelte ich auf die Sitzfläche ein und ließ meinen Frust heraus.
„Warum? Warum nur?!“, schrie ich von der Trauer überwältigt.
Wie lange mein Anfall dauerte, wusste ich nicht, doch irgendwann spürte ich wie sich eine Hand sanft auf meinen Kopf legte.
„Beruhige dich, Freyja“, sagte Sven und bat mich, ihn anzusehen. Zuerst wollte ich nicht, ließ mich dann doch überreden und bemerkte, dass er auf dem Boden kniete, um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Besorgt musterte er mich und seufzte. „Ich verstehe dich und du kannst immer zu mir kommen, wenn du jemanden zum Reden brauchst“, versprach er leise.
Es tat gut, dass es noch ein paar Menschen gab, die mich auffingen, und ich ließ Svens Nähe zum ersten Mal nach dem Unfall zu, indem ich mich aufrichtete, mich in seinen Armen vergrub und mich halten ließ. Er war nicht Erik, doch sein Dasein tat gut und ich kuschelte mich wie ein kleines Kind an ihn. Sven zog mich daraufhin richtig mit sich auf das Sofa und hielt mich fest. Liebevoll streichelte er meinen Kopf und ließ mich weinen.
Als mein Körper an der Grenze zur Austrocknung war, hob ich meinen Kopf und schniefte. „Bleibst du bei mir?“, wisperte ich voller Hoffnung. So sehr ich Sven die letzten Tage von mir gedrängt hatte und allein sein wollte, so sehr brauchte ich ihn jetzt.
„Natürlich. Ich richte das Gästezimmer gleich ein“, flüsterte er mit einem Kuss auf meine Stirn, bewegte sich jedoch nicht.
Erleichtert schmiegte ich mich wieder an ihn, verharrte einige Minuten und löste mich dann von Sven. „Ich gehe ins Bad“, verkündete ich heiser. In meinem Hals hatte sich durch das Schreien ein Feuer ausgebreitet, das ich mit einer Erfrischung bekämpfen wollte. Zudem lechzte mein Körper nach Flüssigkeit.
„In Ordnung. Wenn etwas ist, sag Bescheid“, sagte Sven und wartete, bis ich aufstand. Sobald ich auf Beinen aus Wackelpudding stand, erhob er sich und lächelte mir leicht zu.
Froh darüber, nicht auch noch das Gästezimmer vorbereiten zu müssen, sah ich ihm nach, wie er die Treppe nach oben verschwand. Ein Glück, dass Sven sich hier nach einigen Übernachtungen gut genug auskannte und auf meine Hilfe verzichten konnte.
Mit schlurfenden Schritten ging ich zur Toilette und starrte in den Spiegel über dem Waschbecken. Bisher hatte ich vermieden, mich anzusehen, doch jetzt traf mich mein jämmerlicher Zustand wie ein Schlag ins Gesicht. Wirr hingen meine Haare, die ich sonst sorgfältig pflegte, ins Gesicht und erinnerten mich nicht im Geringsten an die braune Pracht, auf die Erik stolz war. Im Gegensatz zu seinen typisch skandinavisch blonden Haaren hatten sich die Gene meiner Mutter durchgesetzt. Hinzu kamen die vom Weinen geröteten Augen, die mich eher an einen Alien erinnerten. Das Strahlen um die Iris war erloschen, kein Feuer brannte mehr darin. Meine Haut, so fahl wie Asche, ließ mich wie eine Tote wirken.
„Hätte Erik gewollt, dass ich mich gehen lasse?“, fragte ich mich selbst im Spiegel. Für einen kurzen Augenblick blitzte sein spitzbübisches Gesicht vor mir auf und seine warme, ab und zu spöttische Stimme drang zu mir vor. Ich krallte meine Hände so fest in das Waschbecken, dass sich meine Fingerknöchel weiß unter der Haut abzeichneten.
„Ganz bestimmt nicht“, sagte sie, ehe sie verblasste und in meinem Kopf lediglich als Echo blieb.
„Reiß dich zusammen, Freyja“, murmelte ich und atmete tief ein und aus. Es bedurfte mehrere Anläufe, bis ich mich soweit unter Kontrolle hatte, mir selbst in die Augen zu sehen. „Er hat nicht umsonst sein Leben gegeben. Mach was draus. Leb für ihn weiter“, feuerte ich mich an. Nie und nimmer hätte Erik gewollt, dass ich mich gehen lasse, wusste er doch, dass ich ihn nie vergessen würde.
Erneut holte ich Luft, verließ ohne etwas getan zu haben, die Toilette und ging in die Küche, um mir ein großes Glas Wasser einzuverleiben. Währenddessen besah ich Svens Einkauf, der aus Gemüse, Früchten, Lachs sowie Brot, Käse und Wurst bestand. Das benutzte Glas stellte ich auf die Anrichte, da ich vorhatte, nach einer ausgiebigen Dusche ein weiteres zu trinken. Mit entschlossenen Schritten ging ich nach oben und warf einen Blick ins Gästezimmer. Sven war dabei, das Bett herzurichten, sah aber auf, als er mich sah.
„Kann ich dir helfen?“, wollte er wissen.
„Nein. Ich gehe duschen. Danach sollten wir etwas zum Essen machen“, meinte ich und ärgerte mich über das leichte Zittern in meiner Stimme. Ich wollte und musste stark sein und bleiben. „Danke, dass du da bist.“
Sven lächelte leicht. „Gerne. Soll ich schon anfangen, Gemüse zu schneiden?“
„Ja, die Karotten in dünne Streifen und die Kartoffeln kannst du auch aufsetzen“, bat ich und ließ ihn schließlich allein. Mein Weg führte schnurstracks ins Badezimmer, das modern mit dunklen und hellblauen Fliesen ausgelegt war. Die Eckbadewanne zog meinen Blick auf sich und ich verspürte einen Stich in der Brust. Wie oft hatten wir uns am Wochenende ein entspannendes Bad am Morgen gegönnt … oder auch am späten Abend.
Alles, was ich sah, erinnerte mich an Erik. Ich nahm sein Lieblingshandtuch mit einem Walmotiv und vergrub mein Gesicht daran. Es roch trotz des Waschens nach ihm und erneut stiegen mir Tränen in die Augen. Bevor ich mich wieder gehen ließ, riss ich mich zusammen und zog mich aus. Die Kleidung auf einen Haufen geworfen, stellte ich mich unter die ebenerdige Dusche und stellte den Duschkopf auf einen sanften Regenschauer ein. Ein wahrer Genuss, wenn man sich vergnügen oder auch entspannen wollte.
Aus unzähligen kleinen Düsen rieselten sanfte, aber noch kühle Wassertropfen auf meine Haut und schlängelten sich ihren Weg an meinem Körper entlang, wobei sie eine Gänsehaut bei mir auslösten. Nur wenige Sekunden später wurde das Wasser wärmer und erinnerte mich an unsere Reise in den Regenwald. Bei unserer Führung waren wir in einen Schauer geraten, der uns beiden so gut gefallen hatte, dass wir uns ein Stück Urlaub in Form einer Regendusche nach Hause holen wollten.
Genussvoll wusch ich mir ein Stück der Trauer von der Seele und verharrte mit geschlossenen Augen an die Fliesen gelehnt. Ich spürte, wie jeder Tropfen auf meinem Haaransatz landete und seufzte. Es wäre so schön, wenn …
„Kein wenn!“, sagte ich energisch und öffnete ruckartig die Augen. Beherzt griff ich nach dem Shampoo, seifte meine Haare gründlich ein und gab ein paar Tropfen meines Lieblingsduschgels – ich bevorzugte männliche, herbe Gerüche – auf einen Schwamm und schrubbte mich von oben bis unten ab, bis meine Haut die Farbe eines Krebses annahm. Früher hatte sich Erik stets darüber lustig gemacht, wie burschikos ich mit Düften war. Nicht wie andere Frauen mochte ich die süßen Gerüche nach Pfirsich oder sonstigem.
„Du bist eine absolut untypische Frau. Hättest du keine Brüste, Vagina und eine Stimme wie ein Engel, würde ich dich für einen männlichen Teufel persönlich halten“, hatte Erik bei meinem trockenen Humor und den Freizeitaktivitäten gespielt geklagt. Er selbst war ein Outside-Typ, der Action brauchte. Herumsitzen und Däumchendrehen lag uns beiden nicht.
Bei der Erinnerung musste ich schmunzeln. Wie recht er mit der Aussage hatte … Im Gegensatz zu den meisten Frauen, die lieber ins Kino oder in die Diskothek gingen, sich mit Freunden trafen und Alkohol zum Feiern brauchten, war ich lieber in der Natur, verbrachte meine Zeit mit Schwimmen, Wandern, Radeln, aber auch Holzhacken, Jagen und Fischen. Ich brauchte die körperliche Bewegung!
Seufzend spülte ich den Schaum ab und stellte die Dusche aus, wickelte ein weiches Frotteehandtuch um mich und benutzte einen Abzieher für das Wasser. Die Fußbodenheizung würde den Rest trocknen, doch ich entschloss mich, das Fenster zu öffnen. Dank dem Mückengitter kamen keine ungebetenen Gäste herein und fraßen einen bei lebendigem Leibe auf. Eine Gefahr, mit der man gerade in den nördlichen Regionen häufig konfrontiert wurde.
Abgetrocknet, zog ich meinen seidenweichen Bademantel an, kämmte die Haare und schlüpfte schließlich in eine bequeme Schlabberhose, die zu einem alten Jogginganzug, der bereits seine besten Jahre hinter sich hatte, gehörte.
Halbwegs zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel und spürte eine Welle an Trauer in mir aufkommen. Nie wieder …
„Nicht daran denken!“, tadelte ich mein Spiegelbild. Entschlossen verließ ich das Bad und sah kurz ins Gästezimmer. Sven hatte das Bett ordentlich vorbereitet und – um ihm die Nacht gemütlicher zu machen – holte ich ein paar zusätzliche Kissen aus dem Zimmer, das für ein Kind vorgesehen war. Darin blieb ich minutenlang stehen und sah mich langsam im Kreis drehend um. Noch war es wie ein Gästezimmer eingerichtet, doch wir hatten beschlossen, sobald Nachwuchs im Anmarsch war, es umzuräumen. Aus war der Traum … Kein gemeinsames Kind mit Erik. Die Tatsache presste erneute Tränen heraus, die ich mir trotzig wegwischte.
Wenigstens ist das Haus abgezahlt … Darum muss ich mir keine Sorgen machen.
Seufzend schnappte ich mir die Kissen und trug sie zu Svens Bett. Danach ging ich hinunter, um ihm beim Kochen zu helfen. Wie gebeten, köchelten die Kartoffeln vor sich hin, während Sven die Karotten in dünne Streifen schnitt. „Ich schneide Paprika und Zwiebeln“, verkündete ich und bat, dass er den Brokkoli in mundgerechte Stücke zerkleinern sollte, sobald er fertig war. Lachs, Kartoffeln und Wokgemüse war nicht nur extrem lecker, sondern auch gesund und schnell zubereitet.
Schweigend gingen wir unserer Tätigkeit nach, bis Sven die Stille unterbrach. „Möchtest du wirklich, dass ich über Nacht bei dir bleibe?“
Hörte ich etwa Unsicherheit aus seiner Stimme heraus? Er hatte zuvor doch zugestimmt, doch wenn ich daran dachte, wie launisch ich die letzten Tage war und wie oft ich mich umentschied, konnte ich seine Frage nachvollziehen. „Ja. Tut mir leid, dass ich dich von mir geschoben habe.“
Sven lächelte leicht und legte mir einen Arm um die Schulter. „Gemeinsam schaffen wir es, versprochen“, sagte er zärtlich. „Möchtest du morgen mitkommen, die Grabsteine auszusuchen? Es gibt noch einiges, was erledigt werden muss, aber ich wollte damit warten, bis du dich entscheiden kannst ob du dabei anwesend sein möchtest.“
Wie lieb von ihm, so an mich zu denken. Zaghaft erwiderte ich das Lächeln, verbarg meine wahren Gefühle – nämlich loszuheulen und zu toben –, hinter einer Fassade, die ich langsam um mich herum aufbaute. Gebaut aus Stein und Eisen, undurchdringbar. Ich wollte stark sein und nicht meinen Emotionen die Kontrolle über mein Leben überlassen, sodass jeder Mitleid mit mir empfand. Das hätte Erik auch nicht gewollt. „Gerne. Ich brate den Fisch und das Gemüse. Bitte decke den Tisch, ja?“
Sven tat wie geheißen und ich machte mich daran, das Essen fertigzustellen. Bald darauf saßen wir am Tisch und während er fast schon wie ein wildes Tier über die Mahlzeit herfiel, stocherte ich lustlos darin herum und rollte das Gemüse von einer Seite auf die andere. Obwohl mein Magen knurrte und das Essen verlockend roch, brachte ich kaum einen Bissen herunter, zwang mich letztlich nach Svens bittendem Blick dazu, meine Portion in mich hineinzuwürgen. Ich ahnte, dass mir schlecht werden würde, doch zu meiner Überraschung passierte nichts dergleichen.
Genauso schweigend wie die Zubereitung erledigten wir das bisschen Abwasch, obwohl eine Spülmaschine eingebaut war. Ich wusste nicht weshalb, doch die Beschäftigung tat mir gut. Sie war besser, als nur herumzusitzen. Das musste ich früher oder später sowieso, und sobald alles erledigt war, zog ich mich auf das Sofa mit Eriks Lieblingskissen zurück. Es fest an mich drückend, starrte ich vor mich hin und wartete nur darauf, endlich ins Bett gehen zu können, allerdings war es erst Mittag. Ein Blick auf die Uhrzeit ließ mich seufzen und aufstehen. „Ich gehe ein wenig am Strand spazieren“, sagte ich zu Sven, der sich mit seinen Unterlagen für eine Prüfung auf den gemütlichen Schaukelstuhl, der meiner Großmutter gehörte, niedergelassen hatte.
„Pass bitte auf dich auf, ja?“, bat er.
Froh, dass er nicht anbot, mitzukommen, nickte ich. „Werde ich.“ Ich wollte mir den Wind um die Nase wehen lassen, mich in den Sand setzen und nachdenken. Insektenspray benötigte ich bei der Brise nicht, weshalb ich ohne Schuhe das Haus verließ, den Garten durchkreuzte und die Düne hinunterlief. Ein Vorteil, so nah am Strand zu wohnen. Langsam setzte ich mich in Bewegung und spürte, wie der Sand zwischen meinen Zehen knirschte und sie mit der weichen Oberfläche streichelte, fast schon kitzelte. Ich blieb stehen, sah hinunter und malte Kreise und andere Formen, ehe ich mich zusammenkauerte und mit dem Finger ein Herz nachzeichnete. Darin unsere Initialen F und E …
„Ich liebe dich, Erik. Für immer“, flüsterte ich heiser. Meine aufsteigenden Tränen nahm der Wind mit sich und pustete mir stattdessen die warme Sommerluft ins Gesicht. „Ich werde stark für uns sein, versprochen.“ Mein Versprechen würde ich halten.
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Sankt Hans = So wird der Mittsommer in Norwegen, der am 24.6 Juni auch Sommersonnenwende genannt wird