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Prolog:
Eine neue Welt
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Tag 7
Wir sind nun eine Woche unterwegs. Meiner Schulter geht es schon besser, aber das Schreiben ist immer noch schwierig.
Tag 11
Ich habe mir meine Fotos angesehen. Ich vermisse meine Freunde. Manchmal sind die schönsten Erinnerungen leider auch die schmerzhaftesten.
Tag 13
Heute war Killian den ganzen Tag schlecht gelaunt. Er kann immer noch nicht richtig schlafen. Ich denke, dass er nicht weiß, dass ich ihn letzte Nacht gehört habe, aber er hat geweint. Der Plan, nach Sacramento zu ziehen, um dort nach Hilfe zu suchen, wirkt immer wackeliger. Ich glaube, dass Killian langsam die Hoffnung verliert.
Tag 17
Ich habe neue Schuhe! Meine alten Sneakers sind nun Geschichte. Nachdem ich von einem der Trümmer abgerutscht und beinahe in einem Loch stecken geblieben wäre, mussten wir etwas ändern. Meine neuen Stiefel sind sehr robust. Beim Klettern habe ich jetzt besseren Halt. Ich habe das Gefühl, dass nicht nur das Klettern leichter wird, sondern dass es auch mit unserer Stimmung wieder bergauf geht.
Tag 19
Der Tag war gut. Killian und ich waren in einem Supermarkt. Ich habe mir etwas zum Naschen mitgenommen. Wir haben den Tag außerdem in einem Park verbracht und Killian hat einige Stunden in der Nachmittagssonne geschlafen. An manchen Tagen fühlt es sich so an, als wäre die Welt noch intakt. Heute war einer davon. Es sollte mehr von ihnen geben.
Tag 23
Heute sind wir das erste Mal, seit wir San Francisco verlassen haben, anderen Menschen begegnet. Es waren drei Frauen, die uns mit ihren Waffen auf Abstand gehalten haben. Ich hätte mir einen anderen Ausgang gewünscht. Es wäre schön gewesen, wieder mit Menschen in Kontakt zu treten. Killian meint, dass es vielleicht das Beste ist, sich von fremden Menschen fernzuhalten, weil man nicht sicher sein kann, ob sie einem auch wirklich freundlich gesinnt sind. Wenn es ums Überleben geht, sind Menschen sich selbst am nächsten. Das ist unglaublich traurig. Es hätte mir gut gefallen, den heutigen Abend mit Musik, Geschichten und leckeren S’mores am Lagerfeuer zu verbringen.
Ich klappe mein Tagebuch zu und lasse es in meinem Rucksack verschwinden. Um mich wieder richtig aufzuwärmen, kuschle ich mich in meine Decke. Meine Haare sind noch feucht von meiner kleinen Erkundungstour des Sees, an dem wir unser heutiges Nachtlager aufgeschlagen haben. Aufmerksam sehe ich Killian dabei zu, wie er unser Abendessen, gegrillten Fisch, auf Papptellern ablegt. Wir haben nicht täglich den Luxus, frisches Essen zu uns zu nehmen. Fleisch oder Fisch gibt es seit der Katastrophe nur noch aus der Dose.
Einige Tage an einem See zu verbringen und uns von unserer Reise auszuruhen, ist eine willkommene Abwechslung. Ich merke sehr deutlich, dass es für Killians Gemütszustand wichtig ist, die verlassenen Städte hinter uns zu lassen und Pausen in der Natur einzulegen. Es tut uns beiden gut, uns von der Zerstörung und dem Leid abzulenken.
„Vorsicht, heiß“, warnt Killian mich vor, dabei hält er mir den Teller hin. „Ich hoffe, dass es dir schmeckt.“
„Es sieht jedenfalls schon sehr lecker aus.“ Ich nehme den Teller an mich und schnuppere an meinem Abendessen. „Duftet auch köstlich.“ Ich beobachte Killian dabei, wie er Tabasco auf seinem Fisch verteilt. Für mich ist das nichts. Viel zu scharf.
„Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich wieder grillen kann.“ Mit einer Gabel stochert er in seinem Essen herum. Er legt die Gräten frei. „Es fühlt sich so normal an.“
Mit meiner Gabel zerteile ich meinen Fisch. Im Gegensatz zu den Menschen, habe ich mit Gräten keine Probleme. „Wir könnten einige Tage bleiben. Es ist ja nicht so, als hätten wir Zeitdruck.“ Ich sehe zu meinem Liebsten, auch er erwidert meinen Blick. „Wir könnten zusammen schwimmen gehen.“ Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihm anbiete, mit mir zusammen ins Wasser einzutauchen. Bis jetzt war er nie besonders begeistert davon.
„Ich versuche es, aber ich kann dir nichts versprechen. Das Wasser ist ziemlich kalt.“
„Das reicht mir“, antworte ich zufrieden und drücke meinem Liebsten einen Kuss auf die Wange. Killian zieht einen Mundwinkel hoch, dann widmet er sich seinem Fisch. Auch ich koste einen Happen. „Puh, immer noch heiß.“ Ich atme durch den Mund aus, um das Essen so schnell wie möglich zu kühlen und würge das Stückchen Fisch eher herunter, als es zu genießen. „Bis jetzt schmeckt er nur nach heiß.“
Killian lacht, dann schüttelt er den Kopf. „Dazu sage ich jetzt lieber nichts.“
Killian hat Recht. Der heutige Abend fühlt sich fast nach Normalität an. Unsere gebrauchten Teller werfen wir in das Feuer, das Besteck wasche ich mit abgekochtem Wasser ab, bevor ich es wieder in den Rucksäcken in unserem Zelt verstaue. In der Zwischenzeit versorgt mein Liebster unser Lagerfeuer mit mehr Brennholz. Ich setze mich wieder zu ihm ans Feuer. Er legt mir die Decke um die Schultern und zieht mich näher an sich heran. Momente wie diese helfen, sich daran zu erinnern, dass es auch noch Gutes in dieser chaotischen Welt gibt.
Die Dunkelheit erstreckt sich immer weiter über den grün schimmernden Himmel. Killian und ich blicken über den friedlichen See. In der Ferne kann ich kleine Lichter erkennen. Es werden immer mehr von ihnen. Sie schwirren über die Oberfläche des Sees. Für einen Moment nimmt mich dieser Anblick vollkommen gefangen. Ich erinnere mich an meine Heimat. Tanzende Lichter wie diese konnte ich schon oft beobachten.
„Ganz schön dicke Glühwürmchen“, meint Killian überlegend. „Aber sie sehen schön aus, findest du nicht?“ Mein Liebster zieht mich näher zu sich und küsst sanft meine Schläfe. Ein wenig verlegen sehe ich zu ihm auf, dann aber wieder in die Ferne. Ich habe seine Worte gar nicht richtig wahrgenommen. Ich bin viel zu sehr in Gedanken versunken. „Ilaria?“
„Hm?“
„Alles okay?“
„Ja, alles in Ordnung. Ich erinnere mich nur gerade an etwas.“
„Hoffentlich eine schöne Erinnerung.“
„Ja.“ Ich zucke erschrocken zusammen, als an meinem Kopf etwas vorbeisurrt. Beschützend drückt Killian mich an sich und legt eine Hand an meinen Kopf. Als ich dem Geräusch nachsehe, entdecke ich einen großen, leuchtenden Käfer, der sich immer weiter von uns entfernt, um mit seinen Freunden über das Wasser zu tanzen. „Ein Mondkäfer!“, gebe ich freudig von mir. „Dann habe ich mich doch nicht geirrt. Das sind Mondkäfer!“ Killian sieht mich überrascht an. „Die sind wohl auch über ein Portal in eure Welt gekommen. Wie aufregend!“
Killian zieht die Brauen zusammen, doch dann weicht sein harter Blick einem Lächeln. „Wenn ich gewusst hätte, dass du dich so sehr über Käfer freust, dann hätte ich nachts das Zelt offengelassen.“
„Haha“, antworte ich gespielt schmollend. Ich drücke Killian von mir, um wieder mehr Platz zum Atmen zu haben. „Ich habe die leuchtenden Mondkäfer immer geliebt. Damals hatten wir ein Spiel. Wer die meisten Käfer mit seinem Glas fangen kann, bevor die Sanduhr abgelaufen ist, gewinnt einen Preis“, erzähle ich.
„Und du hast gewonnen, nehme ich an?“
Ich wiege den Kopf hin und her. „Nein, eigentlich habe ich nie gewonnen, wenn ich so genau darüber nachdenke.“ Mein Liebster lacht, dann drückt er mich wieder an sich, um meine Stirn zu küssen.
„Aber es hat bestimmt trotzdem Spaß gemacht, hm?“
„Ja“, antworte ich mit einem Lächeln. „Das sind gute Erinnerungen.“
Killian sieht in den Himmel. Das grüne Schimmern ist wunderschön anzusehen. Die Welt hat sich nicht nur durch Erdbeben und Stürme verändert. Am Himmel gibt es noch eine weitere Veränderung abgesehen von dem grünen Schimmern. Zwei weitere Monde zieren nun den Nachthimmel. Die Welt der Menschen hat eigentlich nur einen kleinen Mond. Nun hat er Gesellschaft von einem Mond seiner Größe und einem, der um einiges größer ist, als die beiden zusammen. An dem Anblick des Nachthimmels kann ich mich wohl niemals sattsehen.
„Dass der Strom weg ist, hat zwar viele Nachteile, aber dass man den Himmel und die Sterne besser erkennen kann, tröstet schon ein wenig darüber hinweg“, meint Killian. „Man lernt, viele kleine Dinge zu schätzen.“
„Das ist wahr“, stimme ich ihm leise zu. Die strömende Magie schlingt sich um den Nachthimmel. Der Fluss ist unregelmäßig und auch die Dichte des Flusses ändert sich von Sekunde zu Sekunde. Immer wieder hat man die Möglichkeit, strahlende Sterne zu erblicken. Ein wunderschöner, friedlicher Anblick.
Ein Schnauben von Killian unterbricht meine Gedanken. „Wie groß muss wohl das Portal gewesen sein, dass einen ganzen Mond verschlucken und wieder ausspucken kann?“ Ich sehe in sein Gesicht. Er grinst. „Das hätte ich zu gerne gesehen.“
„Dein Grinsen wäre dir wahrscheinlich schnell vergangen“, antworte ich ihm, wobei ich versuche, in sein Gesicht zu stupsen, doch er fängt meine Hand und hält sie sanft in seiner. Killian nickt zustimmend. Seine große Hand erwärmt meine kalten Finger. Es fühlt sich schön an, also ziehe ich sie nicht wieder weg.
„Vielleicht ist das ja auch der Grund, wieso es so warm ist. Irgendwas ist da oben passiert. Hoffentlich werden wir nicht durch eine Art Treibhauseffekt gegrillt.“
„Ich dachte du liebst es, zu grillen“, antworte ich scherzhaft darauf, was meinen Liebsten zum Lachen bringt.
„Galgenhumor, vielen Dank, Prinzessin.“ Er zieht einen Mundwinkel hoch, dabei sieht er erst mich an und dann wieder Richtung See. „Wie habt ihr denn die Mondkäfer gefangen?“
„Mit einem großen Glas und einem Deckel“, antworte ich ihm. Mit meinen Händen verdeutliche ich meine Aussage durch eine Geste. „Man darf den Deckel aber nicht verschließen. Der Deckel wird dazu benutzt, den Käfer abzufangen und in das Glas zu schubsen. Der Deckel muss die ganze Zeit geöffnet bleiben. Das heißt, dass die Käfer eine Chance haben, zu flüchten, während die Zeit weiterläuft.“
Killian sieht mich verwundert an. „Kein Wunder, dass du nicht gewonnen hast, das Spiel ist gar nicht so einfach.“
„Es geht ja auch nicht um das Gewinnen, sondern um den Spaß.“ Ich stehe auf und reiche Killian die Hand. „Na los, lass uns einen Mondkäfer fangen!“
Killian presst seine Lippen zusammen. Er sieht von meinem Gesicht auf meine Hand und gibt ein geschlagenes Seufzen von sich. „Na gut, überredet.“
Freudig ziehe ich Killian an der Hand näher zum Ufer des Sees. Da wir keine Gläser haben, müssen wir wohl unsere Hände benutzen. Ich lasse von meinem Liebsten ab und folge einem der leuchtenden Käfer. Trockenes Gras kitzelt meine Füße, als ich das Ufer entlang hüpfe. Ich verfolge einen der Käfer, der immer höher über mich fliegt, um meinen Händen zu entkommen.
„Ha! Ich hab' einen!“, gibt Killian stolz von sich. Augenblicklich bleibe ich stehen und sehe in seine Richtung. Dabei erkenne ich das Leuchten zwischen seinen Fingern. Schnell laufe ich zu ihm und sehe ganz gespannt auf seine verschlossenen Hände. „Und jetzt?“, fragt er.
„Jetzt lässt du ihn natürlich wieder frei.“
„Seine Flügel kitzeln“, stellt Killian fest. „Ich hoffe, dass mich das Ding jetzt nicht beißt.“
„Möglich? Ich habe nie einen mit den Händen gefangen.“ Killian hebt seine obere Hand an. Der Mondkäfer bleibt ganz ruhig auf seiner Hand sitzen. Neugierig beobachte ich, wie der große, dicke Käfer mit seinen vergleichsweise winzigen Flügeln schlägt. Das Schimmern wird immer heller. Er erhebt sich aus Killians Hand und flüchtet in den Nachthimmel. Ich sehe dem Käfer nach. „Unglaublich, wie schön sie sind.“
Killian streicht durch mein Haar, was ihm meine Aufmerksamkeit garantiert. „Komm her.“ Er beugt sich zu mir und küsst sanft meine Lippen. Ich lasse mich gegen Killian sinken und erwidere seinen liebevollen Kuss.
Wenn es nach mir geht, dürfte dieser Moment nie wieder enden. Zum ersten Mal seit Tagen fühle ich mich, als wäre alles in Ordnung. Ich fühle mich, als wäre der Sturm niemals gewesen. Ich spüre, dass alles wieder gut wird.