32. Wendepunkt
Der Himmel färbte sich tiefrot, so wie an fast jedem Abend hier in Süd-Kalifornien.
Die Sonne stand als beeindruckender, glutroter Feuerball direkt über dem Horizont - ein Zeichen dafür, dass der Tag bereit war, sich in Kürze eingehüllt in ein einzigartiges Farbspektakel an die hereinbrechende Nacht zu verlieren, genau dort, wo Himmel und Meer einander zu berühren schienen.
Ja, der Himmel war noch immer derselbe wie gestern, die Sonne ebenfalls, der Strand lag um diese Zeit menschenleer vor mir, und wie sonst auch war der weiche Sand noch warm von der Hitze des Tages.
Alles um mich herum schien unverändert – und doch war plötzlich alles anders.
Ich war nicht mehr dieselbe.
Nachdem ich die Klinik verlassen hatte, war ich direkt zur Station gefahren, und die kurze Fahrt hatte mir alles an Konzentration abverlangt, um unbeschadet anzukommen. Ich hatte den Jeep auf dem Parkplatz abgestellt und war sofort zum Strand gelaufen. Dort setzte ich mich in den warmen Sand, starrte auf die glutrote Sonne, die am fernen Horizont langsam im Meer versank und wünschte mir mit aller Kraft, ich könnte die Zeit hier und jetzt einfach anhalten.
So saß ich nun seit fast einer Stunde, genau an dieser Stelle, wo ich so oft nach Feierabend gesessen hatte, um Geist und Körper nach einem langen Arbeitstag für eine Weile zu entspannen. Heute war an Entspannung nicht zu denken, und auch das gleichmäßige Rauschen der unermüdlich an den Strand rollenden Wellen vermochte nichts daran zu ändern, dass alles in mir in Aufruhr war.
Nichts, absolut gar nichts, war mehr wie vorher. Nicht, nachdem Dr. Ortega vor einer Stunde mit drei simplen Worten meine Welt völlig auf den Kopf gestellt hatte:
Sie sind schwanger!
Ich liebte die Kinder meiner besten Freundin abgöttisch und hatte Cait um diese beiden wundervollen Geschöpfe, deren Patentante ich sein durfte, immer glühend beneidet. Außerdem konnte ich mir gut vorstellen, irgendwann selbst eigene Kinder zu haben. Irgendwann… aber nicht gerade jetzt, wo alles noch so ungeklärt vor mir lag, und ich gerade versuchte, mein Leben komplett neu zu ordnen.
Nicht, dass ich Dean, der ohne jeden Zweifel der Vater meines ungeborenen Kindes war, für verantwortungslos hielt, oh nein, das war er ganz sicher nicht, aber würde ich ihn jetzt damit konfrontieren, hätte ich mit Sicherheit immer das Gefühl, dass er vielleicht nur wegen des Babys bei mir blieb.
Wieder und wieder ließ ich in Gedanken das Gespräch mit der Ärztin in meinem Kopf Revue passieren, nachdem sie das Ergebnis der Blutanalyse erhalten hatte.
„Tja, Jess, ehrlich gesagt, ich denke, es gibt da ein Problem.“
„Ein Problem? Was denn für ein Problem, Doktor? Ist mein Blutbild etwa nicht in Ordnung?“
„Doch, unter den gegebenen Umständen ist alles bestens.“
„Unter den… gegebenen Umständen?“
„In Ihrem Blut befindet sich eine deutlich erhöhte HCG-Konzentration.“
„Was ist HCG?“
„Ein Schwangerschaftshormon.“
„W…was? Das ist unmöglich!“
„Hatten Sie in den letzten Wochen ungeschützten Sex, Jess?“
„Ich… ähm… ja, einmal schon… aber ich nehme die Pille! Und ich hatte doch vor ein paar Tagen erst meine Periode.“
„So wie immer?“
„Na ja, nicht ganz, aber ich stand in letzter Zeit unter extrem viel Stress, deshalb dachte ich…“
„Wie lange, sagten Sie, ist es her, dass Sie aus Europa hier eingereist sind?“
„Etwa acht Wochen.“
„Haben Sie damals bei der Einnahme der Pille die Zeitumstellung beachtet?“
„Ähm… nein, nicht wirklich.“
„Und Sie hatten Stress.“
„Ja, ziemlich viel sogar.“
„Nun, das sind alles Umstände, die eine sichere Wirkung der Pille leicht außer Kraft setzen können.“
„Und... Sie sind ganz sicher? Ich meine, vielleicht ist die Blutanalyse ja nicht so ganz zuverlässig…“
„Die Analyse ist sogar sehr zuverlässig. Aber ich möchte Sie trotzdem noch untersuchen. Diese Untersuchung gehört ohnehin zum Gesundheits-Check.“
Nach der Untersuchung hatte die Ärztin ihre Diagnose bestätigt.
„Nun liegt es allein bei Ihnen, Jess. Reden Sie, wenn möglich, mit dem Vater des Kindes und teilen Sie mir ihre Entscheidung mit. Aber warten Sie nicht zu lange, falls Sie sich gegen das Baby entscheiden.“
„Nein!“ Zutiefst erschrocken schüttelte ich den Kopf. „Oh nein! Solch eine Entscheidung wird es nicht geben. Ich möchte das Baby behalten.“
„Sind Sie sicher?“
„Ja, Doktor Ortega. Ich bin ganz sicher. Eine andere Alternative gibt es für mich nicht.“
Nun saß ich hier, und mein Kopfkino arbeitete auf Hochtouren.
Vor meinem geistigen Auge sah ich mich hochschwanger, mit zwei großen Koffern, in denen all meine Habseligkeiten verstaut waren, nach einem endlos langen Flug in Deutschland an die Wohnungstür meiner Mutter klopfen. Erst nach einer ganzen Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, öffnete sich endlich die Tür, und wir standen uns nach über fünf Jahren zum ersten Mal wieder persönlich gegenüber. Meine Mutter war früher einmal eine bildhübsche Frau gewesen, aber ihr ungesunder Lebenswandel hatte sie im Laufe der Jahre stark gezeichnet. Ihr ehemals schlanker, wohlgeformter Körper wirkte schlaff und aufgedunsen, ihr verhärmtes Gesicht freudlos und abgestumpft. Ihre von zu viel Alkohol bereits leicht getrübten Augen musterten mich argwöhnisch von Kopf bis Fuß und blieben an meinem deutlich gewölbten Leib hängen. Ich brauchte gar nichts zu sagen, denn sie hatte sich ihr Urteil bereits nach wenigen Augenblicken gebildet.
„So was hab` ich irgendwie schon erwartet“, nuschelte sie, trat beiseite und bedeutete mir mit einer gleichgültigen Kopfbewegung, hereinzukommen. „Der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm...“
„Nein!“, rief ich entschlossen und schüttelte diese wenig verlockende Vorstellung entschieden ab. „Auf gar keinen Fall!“
Doch kaum hatte ich die letzten Bilder aus meinem Kopf verbannt, entstanden bereits neue…
Ich sah mich mit dem Baby im Arm in Dublin aus dem Flieger steigen. In der Halle erwartete uns Jacob. Er hatte Freudentränen im Gesicht und breitete die Arme aus, um uns beide willkommen zu heißen, als er plötzlich unsanft beiseitegedrängt wurde. Jim baute sich vor mir auf und starrte emotionslos auf das Baby in meinem Arm.
„Das ist nicht meins. No game - no price. Aber egal, ich könnte es ja verspielen…“
„Nein!“, brüllte ich entsetzt gegen das Rauschen der Wellen und schüttelte mich angewidert. „Schluss mit diesem Blödsinn!“
Doch die Bilder in meinem Kopf ließen mich nicht in Ruhe. Sie kamen und gingen.
Und dann gab es noch eine andere Vorstellung, bei der mein Herz automatisch höher schlug…
Ich stand mit meinem Baby im Arm auf der Veranda von Deans Villa und blickte hinaus in den Garten, wo vor wenigen Minuten der Helikopter gelandet war. Kaum war der Motor verstummt und der Rotor hatte aufgehört, sich zu drehen, öffnete sich die Kabinentür und Jad sprang heraus. Unter freudigem Gebell stürmte er durch den Garten auf den Hauseingang zu, gefolgt von Dean in seinem schmucken schwarzen Overall. Während er den Helm abnahm, blickte er hinauf zu uns und winkte uns lachend zu, ein Lachen, dass mein Herz sofort höherschlagen ließ. Mit unserem Kind im Arm lief ich den beiden entgegen. Freudig winselnd umkreiste mich Jad, der natürlich viel schneller bei mir war, als sein zweibeiniger Partner.
„Wirst du wohl aufpassen, du Ungetüm!“, schimpfte Celia, die mit einem riesigen Kochlöffel bewaffnet von der Küchentür aus die Szene beobachtete, gutmütig. „Du bringst Jess und das Baby noch zu Fall!“
„Keine Sorge, dann fange ich die beiden auf!“, rief Dean und küsste zuerst zärtlich meine Lippen, dann liebevoll und sehr vorsichtig das zarte Köpfchen unseres Babys. Das Kleine gurgelte fröhlich und berührte sein Gesicht mit den winzigen Händchen. Er streckte die Hände aus, um das Kleine in die Arme zu nehmen. Da war so unendlich viel Liebe in seinen Augen, dass mir ganz warm ums Herz wurde.
„Dean Cooper!“, beschwerte sich Celia genau in diesem Augenblick lauthals. „Wasch dir gefälligst erst die Hände, bevor du das Baby anfasst!“ Dann wandte sie sich, den Kochlöffel noch immer hoch erhoben, erneut an Jad, der vorsichtshalber sofort den Kopf einzog und die Ohren anlegte. „Und du putz dir die Pfoten, und zwar alle vier!“ Wir blickten einander verdutzt an, als wir hinter uns ein Räuspern hörten. Ramon stand am Treppenabsatz und grinste von einem Ohr zum anderen. „Also wenn ihr mich fragt… An eurer Stelle würde ich tun, was sie sagt!“
Dieser Kopfkinofilm zauberte mir zuerst ein verklärtes Lächeln aufs Gesicht, und bei der Vorstellung der letzten Szene brach ich lauthals in schallendes Gelächter aus, als plötzlich eine bekannte Stimme an mein Ohr drang und mich abrupt aus meinen Tragträumen holte. Ich drehte mich um und sah, wie Paloma von der Station aus direkt auf mich zugelaufen kam.
„Ich wollte gerade los, als ich den Jeep vor dem Haus gesehen habe. Hattest du nicht heute Nachmittag diesen Gesundheits-Check? Was zum Teufel machst du dann hier allein am Strand?“ Sie stapfte nicht besonders graziös mit ihren Flip-Flops durch den weichen Sand und ließ sich direkt vor mir auf die Knie fallen. „Ist dir eine Welle in den Ausschnitt gehüpft, oder was ist gerade so ungeheuer lustig?“
Ich verstummte abrupt, als ich den fragenden Blick aus ihren tiefbraunen Augen sah. In diesem Augenblick hatte das Ausmaß meiner Misere anscheinend auch die allerletzte Windung in meinem Gehirn erreicht. Die Tränen bahnten sich urplötzlich ihren Weg, so dass ich anstatt einer Antwort wie aus heiterem Himmel anfing zu schluchzen.
Paloma verstummte erschrocken. Zwei Sekunden lang starrte sie mich unschlüssig an, dann nahm sie mich kurzentschlossen in ihre Arme und hielt mich so lange schweigend fest, bis ich mich etwas beruhigt hatte.
„Meine Güte, Mädchen, erst lachst du, dann heulst du. So schnell kann man ja gar nicht die Gefühle wechseln! Ich dachte immer, solche krassen Gefühlsschwankungen haben sonst nur Schwangere“, murmelte sie fassungslos.
Ihre Worte lösten in Sekundenschnelle einen neuen Heulkrampf in mir aus.
„Jess?“ Paloma stutzte, packte mich dann bei den Schultern und hielt mich eine Armlänge von sich entfernt. Ein prüfender Blick in mein Gesicht bestätigte ihre Vorahnung. „Nein!“
„Doch!“ Unter Tränen nickte ich heftig.
„Heilige Scheiße… Wie ist denn das passiert?“, platzte sie heraus und sah mich kopfschüttelnd an. „Und erzähl mir jetzt bloß nicht die Story von den Bienchen und den Blümchen!“
„Einmal…“, schluchzte ich hemmungslos. „Wir haben ein einziges Mal ohne…“
„Das sollte schon reichen“, unterbrach sie mich trocken. „Hattest du nicht erwähnt, dass du die Pille nimmst?“
„Ja, klar.“ Ich zog ein Taschentuch aus der Tasche meiner Jeans und putzte mir geräuschvoll die Nase. „Aber die blöden Dinger haben die Zeitumstellung und den ganzen Stress nach der Trennung von Jim nicht verkraftet.“
„Die Zeitumstellung“, sinnierte sie und lächelte dann sichtlich erleichtert. „Also ist das Baby nicht von deinem Ex, sondern von Coop?“
Ich nickte wortlos.
„Na Gott sei Dank! Komm her, Schätzchen!“ Paloma breitete erneut die Arme aus und ich ließ mich bereits zum zweiten Mal schniefend hineinfallen.
„Weiß er es schon?“, fragte sie nach einer Weile.
„Nein. Ich habe es selbst erst vor zwei Stunden erfahren. Während diesem Gesundheits-Check.“
„Wirst du es ihm sagen?“
Ich löste mich aus ihren Armen und wandte mich ab. Eine Weile starrte ich wortlos hinaus aufs Meer, wo der glühende Sonnenball inzwischen fast verschwunden war.
„Jess?“, erinnerte mich Paloma sanft, aber bestimmt daran, dass ich ihr – und nicht zuletzt auch mir selbst - eine Antwort schuldig war.
„Ich weiß noch nicht einmal, wie Dean zu mir steht. Wie soll ich ihm da beibringen, dass…“ Meine Kehle war wie zugeschnürt und ich schluchzte. „Ich will nicht, dass er sich wegen dem Kind verpflichtet fühlt. Ich wäre nie sicher, ob er bleibt, weil er mich liebt, oder nur deswegen, weil ich ein Baby von ihm bekomme.“
„Jetzt mach aber mal halb lang“, protestierte Paloma energisch, nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände und zwang mich mit sanftem Druck, sie anzusehen. „Erde an Jess! Schalt mal deinen Verstand ein! Glaubst du wirklich, Coop würde bei dir bleiben, wenn er nichts für dich empfindet? Du kennst ihn doch inzwischen schon recht gut! Er lässt sich von nichts und niemandem etwas aufzwingen, was er nicht selber will. Er würde euer Baby zwar nicht verleugnen, dazu ist er viel zu ehrlich, aber bei dir bleiben, nur um des Kindes willen? Oh nein, meine Liebe, das würde er niemals tun. Er würde dir Unterhalt zahlen und vielleicht darauf bestehen, am Leben seines Nachwuchses teilzuhaben, aber das wäre dann auch alles. Es sei denn, er liebt dich. Und davon gehe ich aus, wenn ich daran denke, wie seine Augen jedes Mal glänzen, sobald du nur in seiner Nähe bist.“
„Ich soll also mit ihm reden.“
„Na ja, ohne miteinander zu reden geht es in diesem Falle nicht. Vielleicht kommst du die nächsten zwei oder drei Monate noch damit durch, aber danach wird er sich fragen, wieso plötzlich aus einer Gazelle ein Walfisch wird!“
„Paloma!“
„Du wirst ein Walfisch, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!“, lachte sie schelmisch. „Unförmig, fett, schwerfällig, aber ganz sicher absolut glücklich.“ Ihr Lachen tat mir gut und wirkte ansteckend. Wir hielten uns in den Armen und lachten übermütig, während mir gleichzeitig die Tränen über die Wangen liefen.
In meinem Kopf herrschte der absolute Ausnahmezustand.
In diesem Augenblick meldete sich mein Handy. Umständlich nestelte ich es aus meiner Jackentasche. Ein Blick aufs Display bestätigte meine Ahnung.
Er rief an… der Vater meines ungeborenen Kindes.
Paloma verstand sofort. Sie klopfte mir ermutigend auf die Schulter und sprang dann auf.
„Ich warte beim Jeep auf dich.“
Sekundenlang starrte ich unschlüssig auf das Handy, das ungeduldig in meiner Hand vibrierte, bevor ich schließlich abnahm.
„Ja?“
„Jess, wo steckst du?“
„In der Praxis. Ich habe noch einiges aufzuarbeiten.“
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
`Ach du lieber Himmel! Wusste er am Ende bereits… Nein, das war unmöglich! Nur das nicht!`
„Natürlich. Wieso fragst du?“
„Celia hat mir gerade erzählt, dass sie heute Morgen Dr. Mitchell angerufen hat, weil es dir nicht gut ging!“
`Ach das… Puh, nochmal davongekommen! `
„Das war nichts. Eine kleine Kreislaufschwäche, an der ich selber schuld war. Ich hatte vor unserem Morgenlauf noch nichts gegessen.“
„Celia hätte mich anrufen müssen.“
„Mach ihr bitte keine Vorwürfe, Dean. Ich wollte niemanden beunruhigen. Du hattest sicher wichtigere Verpflichtungen.“
`Verpflichtungen mit Namen Rebecca…`
„Da war nichts, das nicht hätte warten können, Jess.“
`Mh… also ich bin sicher, deine Ex sieht das anders. `
"Sicher?"
„Ich sage doch, es war nichts.“
Dennoch musste ich unbedingt herausbekommen, ob er noch etwas zu dem Thema sagen würde. Jetzt war eine gute Gelegenheit!
„Dean… Ich hatte vergangene Nacht einen Anruf. Von deinem Vater.“
Einen Augenblick war es still in der Leitung, dann lachte er verächtlich.
„Ah ja?“
„Ich wollte dir davon erzählen, als wir heute Morgen aus dem Park zurückkamen, aber du wurdest ja plötzlich so dringend weggerufen.“
„Ich hatte befürchtet, dass der alte Bastard sich irgendwann meldet“, erwiderte er, ohne auf meine letzte Bemerkung einzugehen. „Was wollte er?“
„Er sucht seine Frau und seinen Sohn.“
„Das war ja zu erwarten. Und was hast du ihm gesagt?“
„Ich fürchte, ich war nicht sonderlich nett zu ihm. Er hat mich kurz nach Mitternacht aus dem Tiefschlaf gerissen, weil er der Meinung war, dass überall auf der Welt die gleiche Tageszeit wäre wie bei ihm in Johannesburg.“
„Mach dir keine Gedanken darüber. Er glaubte schon immer, er sei der Nabel des Universums. Ich habe heute ebenfalls mit ihm gesprochen und ich war auch nicht nett. Ich habe ihm gesagt, er soll sich zum Teufel scheren.“
„Hat er seine Frau inzwischen gefunden?“
„Ich denke nicht.“
`Weil sie bei dir ist?`
„Weißt du, wo sie ist?“
„Hör zu, Jess, ich habe heute Abend noch einiges zu erledigen. Wir reden morgen. Soll ich dich abholen lassen?“
„Nein, nicht nötig. Ich habe ja den Jeep.“
„Und es geht dir wirklich gut?“
„Ja.“
„Okay, dann sehen wir uns morgen.“
„Klar.“
Meine Kehle war wie zugeschnürt und ich legte auf, bevor er noch etwas sagen konnte. Garantiert traf er sich auch heute wieder mit ihr. Bei dem Gedanken daran nagte sofort die Eifersucht an mir, und angesichts der Bilder, die sich unweigerlich in meinen Kopf drängten, zogen sich meine Eingeweide erneut schmerzhaft zusammen.
Schwerfällig rappelte ich mich auf und ging langsam zurück zur Station.
Paloma lehnte am Jeep und schaute mir neugierig entgegen.
„Und... was hat er gesagt?“
Einem ersten Impuls folgend versuchte ich, ihrem fragenden Blick auszuweichen, doch wir kannten uns bereits zu gut, um uns gegenseitig etwas vorzumachen.
Resigniert schüttelte ich den Kopf.
„Gar nichts. Ich habe ihm erzählt, dass sein Vater letzte Nacht angerufen hat.“
Paloma starrte mich erstaunt an.
„Coops Vater? Aber ich dachte immer, die beiden wären nicht besonders gut aufeinander zu sprechen!“
„Das stimmt. Allerdings scheint Cooper Senior momentan auf der Suche nach seiner Frau und seinem Sohn zu sein, die beide von zu Hause abgehauen sind.“
„Abgehauen? Warum das denn?“
„Keine Ahnung. Jedenfalls vermutet der alte Charmebolzen, die beiden würden versuchen, sich hier in Kalifornien vor ihm zu verstecken. Ich habe Dean ganz direkt gefragt, ob er etwas über die Sache weiß.“
„Und?“, fragte Paloma gespannt. Ich hob müde die Schultern.
„Er hat mir nicht geantwortet. Stattdessen meinte er nur, er hätte noch zu tun und wir würden morgen über alles reden.“
„Und du vermutest, dass er weiß, wo sich Rebecca Cooper mit ihrem Sohn aufhält?“ Paloma verzog skeptisch das Gesicht. „Vielleicht hast du ja etwas falsch verstanden?
„Ganz sicher nicht. Ich weiß es“, erwiderte ich und erzählte ihr haarklein, was ich bisher erfahren hatte. Gespannt lauschte sie meinen Worten, und ihr Gesicht verdüsterte sich zusehends.
„Na wenigstens ist er diplomatisch und lügt dich nicht an“, meinte sie schließlich. „Aber andererseits… Warum rückt er nicht einfach mit der Wahrheit heraus?“
„Vielleicht, weil er seine Ex immer noch liebt.“
„Schwachsinn! Coop würde keinen Gedanken an eine Frau verschwenden, die mit seinem Vater zusammen war. Von der Sorte kommt garantiert keine in sein Bett. Vor allem seine Ex nicht. Da bin ich ziemlich sicher.“
„Ich wünschte, ich könnte auch so sicher sein.“
„Morgen“, nickte Paloma zuversichtlich. „Morgen erfährst du mehr, wenn er mit dir über alles redet.“
„Wenn er redet“, wiederholte ich skeptisch. „Vielleicht findet er stattdessen wieder eine Ausrede, es nicht zu tun, wie so oft in der letzten Zeit. Ich bin es endgültig leid, mich immer wieder vertrösten und hinhalten zu lassen.“
„Kann ich verstehen“, nickte Paloma. „Ich würde vorschlagen, wir beide fahren jetzt in die Stadt, suchen uns eine Bar und reden bei ein paar richtig großzügig gemixten Drinks über alles.“
„Klingt gut“, stimmt ich kurzerhand zu, doch Paloma schüttelte vehement den Kopf.
„Sorry, Jess, ich vergaß. Leider kenne ich keine einzige Bar, in der es Cocktails für werdende Mütter gibt.“ Wider Willen musste ich lachen.
„Lass uns trotzdem fahren. Ich bin auch mit einem Vitamindrink zufrieden. Und du kannst mir helfen.“
„Aber immer! Und wobei?“
Entschlossen straffte ich die Schultern. Mir war in den letzten zwei Stunden mit aller Deutlichkeit klargeworden, dass ich an einem Punkt in meinem Leben angelangt war, wo es nicht mehr allein um mich ging. In mir wuchs ein neues Leben heran, und ich trug die Verantwortung für dieses ungeborene Wesen.
Mein Kind!
Ich musste mich entscheiden. Und ich musste ganz dringend etwas tun.
„Du kannst mir beim Überlegen helfen. Ich brauche einen Plan. Sozusagen einen Masterplan."
An diesem Abend versuchten Paloma und ich alle nur denkbaren Möglichkeiten abzuwägen, die mir blieben, um den Vater meines Babys auf irgendeine Weise schnell und zielsicher aus der Reserve zu locken, um zu erfahren, wie er zu mir stand. Wir kamen schließlich beide zu dem Schluss, dass dies nicht unbedingt leicht, aber durchaus machbar sein müsste. Paloma erwies sich als äußerst einfallsreich, was ihre Ideen zu diesem Thema betraf.
Eine Idee gefiel mir besonders gut…
Später, als ich zurück zur Villa fuhr, erreichte mich überraschenderweise ein Anruf von Caitlin. Meine beste Freundin schien wahrlich ein sicheres Gespür dafür zu haben, wann ich ihre Hilfe am nötigsten brauchte. Ich fuhr auf den nächsten Parkplatz, hielt an und redete mir alles von der Seele. Obwohl sie tausende Meilen von mir entfernt war, hatte ich das Gefühl, dass sie mir noch nie so nah gewesen war, wie in diesen Minuten. Meine Probleme mit ihr zu teilen tat mir unbeschreiblich gut. Sie hörte mir zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Und dann, nach kurzer Überlegung, überraschte sie mich mit einem spontanen Vorschlag, den ich gar nicht übel fand. Nicht übel? Nein, eigentlich fand ich ihn sogar absolut grandios.
Bei meiner Ankunft in der Villa ging es mir um einiges besser.
Celia erwartete mich bereits. Als sie mir verriet, dass Ramon wieder mit Dean in geheimer Mission unterwegs war, fiel mir ein weiterer Stein vom Herzen. Wenn Ramon bei ihm war, dann war er wenigstens nicht mit seiner Ex irgendwo allein…
Ich setzte mich zu Celia in die Küche, und wir führten ein sehr langes, interessantes Gespräch unter Frauen.
Mein Masterplan begann Gestalt anzunehmen…