Nachdem Harry vor Wochen bei den Dursleys ausgezogen war lebte er zusammen mit seinem Patenonkel Sirius Black in dessen alten Haus am Grimmauldplatz Nummer Zwölf. Viele Jahre stand das Gebäude leer und somit hatten sie alle Hände voll zu tun die Räume wieder etwas wohnlich zu gestalten. Zusammen mit Sirius verbrachte er seine Ferien damit Teppiche auszuklopfen, Ungeziefer zu bekämpfen und alte Gegenstände zu sortieren. In ihre Aufräummaßnahmen hinein stolperte von Zeit zu Zeit Severus, der Harry weiterhin in der Kunst der Okklumentik unterrichtete. Der Kontakt zwischen Sirius und Severus beschränkte sich meist auf ein paar dahingeworfene Worte und finstere Blicke. In Harrys Anwesenheit versuchten sie sich zurückzuhalten, was ihren gegenseitigen Groll betraf.
An diesem Tag stand Harry mit Severus im Wohnsalon und übte mit ihm. Sirius hatte sie anfangs misstrauisch beäugt, doch mittlerweile schien ihm klar zu sein, dass das Okklumentiktraining wichtig für Harry war und Severus ihm nichts schlechtes wollte. Zumindest ließ er sie in Ruhe, während sie übten. Allerdings nutzte Severus wiederum diese Stunden, um ihn auszufragen. Wie es ihm ging. Ob er genug zu Essen bekam. Ob Sirius ihm irgendwie schadete. Die Beiden trauten einander nicht über den Weg und ausgerechnet an Harry blieb die Aufgabe hängen sie zu beschwichtigen. Da konnte er noch so oft versichern, dass es ihm gut ging.
Nach dem Training verschwand Severus immer zähneknirschend, während es Sirius gar nicht schnell genug gehen konnte ihn loszuwerden. Harry ging das Verhalten der Beiden zunehmend auf die Nerven. Immerhin prügelten sie sich nicht solange er in der Nähe war. Das war zumindest ein kleiner Fortschritt.
Ab und zu bekamen sie auch Besuch von Lupin. Dann war die Atmosphäre wesentlich gelöster. Sein alter Lehrer hatte die Rolle des Aufpassers für Dumbledore übernommen. Letzterer wollte ein Auge auf Sirius haben. Sie hatten immerhin gerade erst seine Unschuld bewiesen, da wollten sie nicht, dass er sich gleich wieder in Schwierigkeiten brachte.
Lupin blieb oft zum Essen. Dann waren sie immerhin zu Dritt. Dieses Mal jedoch brachte er schlechte Neuigkeiten.
„Hast du es schon gehört?“, fragte er Sirius.
„Nein, was denn?“, entgegnete dieser.
„Es gab eine Gefängnisrevolte in Askaban. Hunderte Häftlinge sind auf das Festland entkommen. Darunter auch viele ehemalige Todesser.“, sagte Lupin.
„Was? Wie kann das sein?“, fragte Sirius.
„Das Ministerium meint deine Flucht habe eine Art Vorbildwirkung gehabt.“, antwortete Lupin.
„Natürlich meinen sie das.“, sagte Sirius finster.
„Auf jeden Fall hat der Minister überall die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Was das für mich bedeutet kannst du dir vielleicht denken.“
„Warum? Was heißt das?“, wollte Harry wissen.
„Es heißt, dass ich nicht länger in Hogwarts unterrichten darf. Angeblich zu meiner eigenen Sicherheit.“ Lupin verzog das Gesicht.
„Ach, und woher wissen die, dass du ein Werwolf bist?“, fragte Sirius.
„Bevor du den falschen verdächtigst: Es gibt ein neues Gesetz laut dem sich alle Halbmenschen registrieren lassen müssen. Mit anderen Worten, das Ministerium weiß es von mir selbst. Ich wurde schließlich schon früher in verschiedenen Listen geführt. Ihnen ist wohl aufgefallen, dass ein Werwolf als Lehrer keine gute Publicity gibt.“, sagte Lupin.
„Aber dürfen die das einfach so?“, wollte Harry wissen.
Lupin atmete tief und kratzte sich an der Stirn.
„Wie du selbst irgendwann herausfinden wirst, Harry, geht es nicht darum, was sie dürfen, sondern darum, was sie können.“, antwortete er.
„Das ist doch Scheiße!“, entfuhr es Harry. „Du hast niemanden etwas getan!“
„Das ist unerheblich. Zumindest für die Leute im Ministerium. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon klar. Ist schließlich nicht mein erstes Mal.“, antwortete Lupin.
„Du kannst hier wohnen, wenn du willst.“, bot Sirius seinen Freund an.
„Das ist wirklich gut gemeint, aber Danke. Ich schaffe das auch so.“, sagte Lupin.
„Hmpf!“, machte Sirius nur und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Eine merkwürdige Stille trat ein. Für Harry fühlte es sich unangenehm an, also versuchte er das Thema von Lupin weg zu lenken.
„Und was tut das Ministerium gegen diese ganzen Flüchtigen?“, fragte er schließlich.
„Nun, die alle wieder einzufangen wird sicher eine Fleißaufgabe für die Auroren.“, meinte Sirius.
„Also – und das habt ihr nicht von mir – das Ministerium plant dieses Jahr so eine Art sportlichen Wettbewerb. Deswegen sind sie auch so nervös. Sie können es sich schlicht nicht leisten, dass ein paar entlaufene Verbrecher ihre Party aufmischen. Also verdoppeln sie überall die Kontrollen und schmeißen jeden raus, der ihnen wie eine Gefahr vorkommt.“, sagte Lupin.
„Was denn für ein Wettbewerb?“, fragte Harry.
„Meine Lippen sind versiegelt. Ich habe eh schon zu viel gesagt.“, antwortete Lupin und legte die Finger auf den Mund.
„Und Dumbledore?“, wollte Sirius wissen.
„Der tut was er kann, ohne Hogwarts in eine Festung zu verwandeln. Nach den Dementoren will er jetzt keine neuen Besatzer im Schloss haben. Ich kann es ihm nicht verübeln.“, sagte Lupin und räusperte sich. „Wie geht es denn bei euch voran?“
„Sagen wir es so: Nicht nur der Schmutz hält sich widerspenstig.“, antwortete Sirius.
„Immer noch keine Lösung für Misses Black?“, fragte Lupin belustigt.
„Diese Frau hat wirklich jeden gehasst, mich aber ganz besonders. Wollte wohl sichergehen, dass sich ihr niemand entledigt.“, entgegnete Sirius. „Und dieser verdammte Hauself macht es nicht besser, indem er alle meine Versuche torpediert.“
„Kreacher ist eine Plage.“, stimmte Harry zu. „Können wir ihn nicht einfach den Kopf abhacken und an die Wand hängen?“
Sirius prustete los, doch Lupin warf den beiden einen strengen Blick zu.
„Entschuldige, aber ich stell es mir gerade bildlich vor.“, meinte Sirius.
„Harry, du darfst ihn nicht auf solche Ideen bringen.“, sagte Lupin.
„Glaub mir, wärst du hier, würdest du auch Mordphantasien entwickeln.“, erwiderte Sirius.
„Ich hoffe, ihr macht keinen Blödsinn, wenn ich nicht da bin.“, ermahnte Lupin sie.
„So etwas würden wir nie tun.“, antwortete Harry.
Lupin verdrehte bloß die Augen. Er wusste schon wie sie das meinten. Harry hatte sich einen Witz erlaubt. Mehr nicht. Nach dem Abendessen ging Harry auf sein Zimmer. Er hatte Sirius' altes Zimmer bekommen und nach einer großen Aufräumtour war es ganz behaglich geworden. Harry lebte die letzten Wochen aus seinem Koffer, da er bei den Dursleys nie eigene Sachen besessen hatte. All seine Klamotten hatten schließlich einst Dudley gehört. Es war eine nicht mindere Überraschung als Sirius am Tag seines Geburtstages mit einem großen Paket auftauchte und meinte es sei ein Geschenk. Darin befanden sich neue Anziehsachen. Jeans, T-Shirts, Pullover, Socken und Unterwäsche. All diese Dinge, die Harry nie hatte. Nichts war so erniedrigend wie Dudleys alte, ausgeleierte Shorts tragen zu müssen. Harry hatte sich riesig gefreut. Es fühlte es sich gut an nicht mehr in abgetragenen Kleidern herumlaufen zu müssen.
Am nächsten Morgen bekamen sie erneut Besuch von Severus. Sie saßen noch beim Frühstück als sie seine schnellen, gezielten Schritte im Flur hörten. Harry erkannte ihn nach drei Jahren allein an der Art wie er ging und die alten, knarzenden Dielen betonten seinen harschen Gang wesentlich besser als die steinernen Flure in Hogwarts. Hektisch wurde die Küchentür aufgerissen und Severus rauschte herein als habe er gerade wieder eine Klasse im Zaubertrankunterricht vor sich. Im letzten Augenblick bremste er sich jedoch selbst, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Sirius und Harry blickten ihn an. Letzter mit halb erhobenen, in der Bewegung erstarrten Messer.
„Ist etwas vorgefallen?“, fragte Harry. Auch um einer schnippischen Bemerkung seines Patenonkels zuvor zu kommen, die diesem garantiert schon auf der Zunge lag.
Severus räusperte sich und faltete die Hände, ehe er begann:
„Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten.“
„Eine Massenflucht aus Askaban?“, wollte Harry wissen.
„Was? Nein! Oder ja, ich weiß es nicht.“, antwortete Severus. Er wirkte zerstreut. Nicht ganz da und trotzdem gespannt wie eine Feder. „Der Schulleiter möchte jedoch kein Risiko eingehen. Ich soll Harry nach Hogwarts bringen. Zu seiner Sicherheit.“
„Und meine Schulsachen?“, fragte Harry verdutzt. Es waren noch Wochen bis zum Ende der Schulferien. Er hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet in die Winkelgasse zu gehen und seine üblichen Besorgungen für das neue Jahr zu machen.
„Das hat Dumbledore bereits erledigt.“, meinte Severus.
„Ist irgendetwas im Gange von dem ich auch wissen sollte?“, brach Sirius nun sein Schweigen.
„Wenn der Schulleiter dich nicht informiert hat, dann wird er seine Gründe haben, Black.“, erwiderte Severus.
Sirius öffnete gerade den Mund, um Severus etwas entgegen zu schleudern, doch Harry hob sofort den Arm und unterbrach die Beiden.
„Zzzzzzt! Kein Streit!“, sagte Harry mit erhobener Stimme. „Dumbledore wird sicher nichts dagegen haben, wenn Sirius mich begleitet, oder?“
„Vermutlich nicht.“, antwortete Severus zähneknirschend.
„Gut, dann packe ich meine Sachen und ihr beiden prügelt euch nicht während ich weg bin.“
Harry ließ sein Frühstück stehen und liegen, stiefelte die Treppe nach oben und schnappte sich seine im Zimmer lose herumliegenden Klamotten und warf alles in einem Schwung in den Koffer. Er packte Hedwigs Käfig und trug beides nach unten. Dort warteten bereits Severus und Sirius im Flur. Die beiden warfen sich wie üblich misstrauische Blicke zu.
Anschließend ging es schnell. Harry nahm Severus' Hand und sie apparierten. Wie üblich fühlte es sich an als würde ihn jemand an einer Angelschnur durch Raum und Zeit zerren. Harrys Grundgefühl war, dass er sich am Liebsten übergeben hätte. Selbst nachdem er nun schon mehrmals auf diese Art gereist war mochte sein Magen es nach wie vor überhaupt nicht. Als sie endlich festen Boden unter den Füßen hatten erblickte Harry das große Eichenportal der Großen Halle.
„Lass die Sachen hier stehen.“, sagte Severus mit Blick auf den Koffer und Vogelkäfig.
Knarzend öffnete sich das Schlosstor und Sirius trat deutlich durchnässt ein.
„Du hättest auch zwei Sekunden warten können!“, meinte Sirius ungehalten.
Severus jedoch antwortete nichts auf diesen Vorwurf.
„Der Schulleiter wartet. Also los!“, sagte Severus und zu dritt stiefelten hinauf in den Turm in den Dumbledores Büro lag. Als sie eintraten warteten dort bereits mehrere Leute auf sie. Professor McGonnagall, Lupin und ein ziemlich wild aussehender, alter Kauz mit langen, ergrauten Haaren in einem Ledermantel mit einem irre aussehenden Glasauge, welches hervor glubschte. Harry machte sich Sorgen es könne ihm jede Sekunde aus der Augenhöhle fallen.
„Harry!“, rief Dumbledore aus, der vor seinem Schreibtisch stand. „Und Mister Black. Nun, das war zu erwarten.“
„Also, wozu das alles?“, wollte Sirius ohne Umschweife wissen.
„Sie haben es noch gar nicht gehört?“, fragte Professor McGonnagal irritiert.
„Ich wollte nicht vorgreifen. Man weiß ja nie, wer sonst noch mithört.“, antwortete Severus auf ihren vorwurfsvollen Blick.
Der alte Kauz schnappte sich die Zeitung von Couchtisch und hielt Harry und Sirius die Titelseite entgegen:
DUNKLES MAL BEI QUIDDITSCHWELTMEISTERSCHAFT BESCHWOREN! MINISTERIUM IN ERKLÄRUNGSNOT!
„Dunkles Mal?“, fragte Harry und kam sich wie ein Idiot vor.
„Das Zeichen der Todesser! Du weißt doch hoffentlich wer die Todesser sind, Junge?“, ging der Mann ihn an.
„Ähm … ja.“, antwortete Harry vorsichtig. Irgendwie war ihm dieser alte Kauz nicht geheuer. Außerdem wirkte er so als könnte er ihn jeden Augenblick über den Haufen fluchen.
„Da kommt ja eines zum anderen.“, bemerkte Sirius. „Erst die Gefängnisrevolte und jetzt das?“
„Das Ministerium, und das dürfte wohl niemanden überraschen, findet diese Ereignisse nicht ansatzweise so beunruhigend wie ich es tue.“, antwortete Dumbledore. „Leider hat der Minister mir gleichzeitig einen sicherheitspolitischen Alptraum aufs Auge gedrückt; das Trimagische Turnier.“
„Waas?“, machte Sirius als hätte er sich verhört. „Ein Trimagisches Turnier? Hier? Jetzt? In dieser Lage?“
„Ich kann dir versichern, dass ich dem Minister bereits mein Unbehagen mitgeteilt habe.“, entgegnete Dumbledore.
„Was ist ein Trimagisches Turnier?“, fragte Harry und kam sich erneut ziemlich doof vor.
„Eine Art Sportveranstaltung bei der die Teilnehmer gern mal den Löffel abgeben!“, meinte der alte Kauz und fixierte Harry mit seinem Glasauge.
„Alastor!“, empörte sich Professor McGonnagal. „Sie müssen es nicht noch schlimmer machen als es ist!“
„Es gab seit Jahrhunderten kein Turnier mehr, und warum? Weil es tödlich ist! Würde mir zu gern den Idioten im Ministerium vornehmen, der auf die Schnapsidee gekommen ist das wiederbeleben zu wollen!“
„Das reicht!“, ging Dumbledore dazwischen. „Die Lage ist wie sie nun mal ist. Severus, wären Sie so nett und begleiten Sie Harry in seinen Schlafsaal. Sirius, Sie bleiben hier. Wir haben noch etwas zu besprechen.“
Schweigend folgte Harry Severus hinunter in die Kerker. Statt zu seinem Schlafsaal führte sein Lehrer ihn jedoch zu seinen Gemächern. Harry fragte nicht warum. Ihm war klar, dass Severus mit ihm allein sprechen wollte. Dieser zog seine Robe aus und warf sie über die Lehne der Couch vor dem Kamin. Nur in Hemd stand er einige Augenblicke da und sah in die Flammen. Gedankenverloren raufte er sich das Haar.
„Also schön, was ist hier in Wirklichkeit los?“, fragte Harry.
„Dumbledore will es öffentlich nicht sagen, aber alles deutet auf eine Beteiligung des Dunken Lords hin. Die Flucht der Todesser und ihr Überfall auf die Quidditschweltmeisterschaft. Die Todesser haben sich jahrelang versteckt. Irgendetwas hat sie herausgelockt.“
„Warum konntest du das nicht gleich sagen?“, wollte Harry wissen.
„Weil Geheimhaltung womöglich der einzige Vorteil ist, den wir momentan haben. Falls sich Dumbledores Befürchtungen bewahrheiten, dann ist etwas im Ministerium gehörig faul. Allein der Zeitpunkt des Trimagischen Turniers. Das wirkt als würde es jemand darauf anlegen einen Vorfall zu provozieren.“
„Und du und Dumbledore glauben, dass dieser jemand Voldemort ist?“, fragte Harry.
„Wer sollte es sonst sein? Vielleicht irren wir uns und es ist tatsächlich nur die Schnapsidee irgendeines Wichtigtuers aus dem Ministerium, aber was wenn nicht?“, erwiderte Severus.
„Ich hoffe, ihr liegt daneben.“, antwortete Harry.
„Das hoffe ich auch. Das hoffe ich auch.“