„Das wird so nichts.“ Sie stand auf und klopfte sich ein paar trockene Fichtennadeln von der Hose.
„Na endlich.“ Raschelnd faltete er die Popcorntüte zu und schloss sie sorgfältig mit einem Clip. „Aber es bedeutet, dass wir das Hotel noch nicht aufsuchen werden.“ Es war keine Frage, das wusste er nur zu genau. Seine Frau würde so schnell nicht aufgeben. Er erhob sich von seinem Dreibeinhocker und betrachtete wehmütig das Popcorn auf dem Boden, mit dem er den halben Morgen vergeblich versucht hatte, ein Eichhörnchen anzulocken.
„Die Sonne blendet mich. So kann ich nichts erkennen. Außerdem habe ich Angst, dass das Metall die Sonnenstrahlen reflektiert und mich verrät.“ Sie griff nach dem Rucksack und warf ihn sich über die Schulter. Das Gewehr zog sie über die andere und machte sich auf in das Unterholz.
„Schatz, du weißt, dass du mir einen Wellnessurlaub versprachst. Aber stattdessen verbinge ich den zweiten Tag im Gestrüpp und schlage die Zeit tot.“ Umständlich klappte er seinen Hocker zusammen und klemmte ihn unter die Achsel.
Sie ging zu ihm zurück und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Ich weiß, und es tut mir leid. Aber dieser Auftrag finanziert uns diesen Kurzurlaub hier. Und das Geld gibt es nun mal nur bei Auftragserledigung.“
Es versöhnte ihn ein wenig, dass sie im teuersten Hotel an der Elbe abgestiegen waren und am Abend eine Ganzkörpermassage samt Maniküre auf ihn wartete. „Auch wenn dem Hotel der 5. Stern fehlt.“ Er betrachtete seine Fingernägel. Die Maniküre wäre nach den Tagen in der Wildnis dringend nötig.
„Aber dafür hast du von dort aus einen wunderschönen Blick auf den Lilienstein. Und außerdem habe ich heute Abend eine Überraschung für dich.“
Er sah seine Frau an. Ihr vielsagendes Lächeln brachte sein Blut in einer ganz bestimmten Körperregion in Wallung, was für die bevorstehende Kriechtour von Nachteil sein würde. Schlimm genug, dass ihn seine Frau in diesem hautengen Catsuit sowieso schon um den Verstand brachte. Einzig die Tarnfleckenfarbe war abtörnend.
Mehr oder weniger erfolglos verdrängte er die Gedanken und folgte seiner Frau durch das Dickicht.
Es dauerte nicht lange und sie hatte einen passenden Platz gefunden. Vorsichtig ließ sie die Sniper von der Schulter und positionierte sie auf einem erodierten Felsen. Hochkonzentriert prüfte sie, ob sie den Teufelsturm im Visier hatte und legte sich wieder auf die Lauer.
Bemüht, nur kein Geräusch zu machen, stellte er seinen Hocker seitlich neben den Felsen und versuchte, die Bergsteiger auszumachen. „Wieso vergaß ich auch mein Fernglas!“
„Scht.“
Er kniff die Augen zusammen, doch die Kletterer an der Wand sahen für ihn alle gleich aus.
Es klatschte hinter ihr.
„Scht!“ Mürrisch kniff sie die Lippen zusammen.
„Diese unerquicklichen Hexapoden!“ Unwirsch wedelte er mit der Hand um seinen Kopf. „Sie ruinieren mir meine glatte Haut! Der letzte Besuch bei der Kosmetikerin kostete mich ein Vermögen.“
„Und sie das Leben ...“
Sie musste es nicht sehen, aber sie spürte, wie er verstand. „Du hast sie ...?“
„Ja glaubst du, sie war zufällig bei uns?“ Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Die Frau des Boss‘ hatte nach der letzten Behandlung Pickel. Der Boss war nicht amüsisiert. Und warum sollte ich das Angenehme nicht mit dem Nützlichen verbinden?“
Innerlich musste sie lächeln. Nicht unter den gleichen, aber doch ähnlichen Umständen hatte sie ihn vor zehn Jahren kennengelernt.
„Sie wollen das aber nicht wirklich trinken, oder!“ Angewidert betrachtete ich das Glas in seiner Hand. Das Getränk leuchtete bläulich.
„Cheers!“ Steif hob er das Glas und prostete mir ungelenk zu.
Lächelnd erwiderte ich seinen Gruß mit meinem Aperol. Das der alkoholfrei war, musste er nicht wissen. Schließlich war ich nicht zum Vergnügen hier.
Er ließ sein Glas wieder sinken und beugte sich zu mir herüber. „Es ist eine skurrile Fügung des Schicksals, dass wir uns ein weiteres Mal treffen.“ Neugierig musterte er mich.
Wenn du wüsstest. Schnell wandte ich den Blick ab und betrachtete gedankenverloren die Regale der Bar. Zumindest sollte er das denken. Jede Menge Flaschen, gefüllt mit den unterschiedlichesten alkoholischen Getränken, fein säuberlich angeordnet. Nicht eine Flasche stand schräg und schon gar kein Stäubchen war darauf zu entdecken. Der Three Sixty war ein Geschenk von mir.
Eigentlich fand ich den Typen ganz süß, doch irgendwie war er tollpatschig, mit seiner gestelzten Art. als hätte er dort einen Stock, wo die Sonne nie hinscheint. Doch etwas zog mich zu ihm immer, immer wieder suchte ich seine Nähe. Das wiederum widersprach völlig meinem sonstigen Verhalten, ich sollte es besser wissen und ihn meiden. Außerdem entsprach er überhaupt nicht meinem Beuteschema. Und ich hatte einen Job zu erledigen.
„Wir sollten auf unser Wiedersehen anstoßen.“
„Erst wenn Sie mir verraten, was für ein seltsames Getränk in Ihrem Glas ist.“ Ich drehte mich weiter zu ihm hin und sah ihn herausfordernd an. Umständlich rutschte er mit seinem Barhocker näher zu mir her. Sein herber Duft hüllte mich angenehm ein. „„Ich liebe Tonic Water. Egal, welchem Getränk es beigemischt wird. Hier steht eine Flasche hervorragenden Three Sixtys. Kann ich nur empfehlen.“
Mir drehte sich der Magen um. Aus einem Reflex heraus schlug ich ihm das Glas aus der Hand, das klirrend auf dem Boden zersprang. Die leuchtende Flüssigkeit verteilte sich auf den Dielen. Traurig kreiselte der Boden des Glases in der entstanden Pfütze.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Erschrocken war er von seinem Hocker gesprungen und hielt mich an den Oberarmen fest.
„Es tut mir leid.“ Stotternd suchte ich nach einer Ausrede. „Mir war plötzlich ganz schwindlig.“ Kopfschüttelnd betrachtete ich mein Glas. „Muss wohl am Alkohol liegen.“
„Aber Sie tranken doch noch gar nichts!“ Er war ehrlich besorgt und ich musste meinen Blick abwenden.
Shit! Das war mir noch nie passiert! Ich suchte nach Worten und begann am ganzen Körper zu zittern.
Das klirrende Geräusch hatte die Aufmerksamkeit des Haushundes geweckt. Ein Doberman. Mit angelegten Ohren schlich er auf uns zu und kam mir wie gerufen. „Der ... Hund! Ich habe Angst vor Hunden!“
Leise knurrend näherte er sich weiter, schnupperte an der Flüssigkeit und schlug an.
Keine fünf Sekunden später lag er in der Pfütze.
Wieder klatsche es hinter ihr und die Erinnerungen wurden verscheucht.
„Vermaledeite Moskitos! Ich vernichte euch alle!“ Hektisch schlug er um sich.
„Wir sind im Elbsandsteingebirge. Klimawandel hin oder her, aber das sind keine Moskitos!“ Schmunzelnd schüttelte sie ihren Kopf und visierte wieder ihr Ziel an. „Und jetzt sitz still und verhalte dich ruhig!“
Er holte tief Luft, wollte widersprechen, doch dann bemühte er sich, ihrem Wunsch gerecht zu werden. Nicht ganz erfolgreich, aber immerhin blieben seine Tötungsversuche geräuschlos.
Ein kurzer Plopp. Nicht ein Vogel war aufgeschreckt.
Der Schrei vom Teufelsturm war markerschütternd.
„Das war das Seil.“ Zufrieden stand sie auf und zog eine weiche Decke aus dem Rucksack. Sie legte das Gewehr darauf und schraubte routiniert erst den Schalldämpfer und dann das Zielfernrohr von der Waffe. Vorsichtig schlug sie die Teile in weiche Lappen ein und zerlegte mit geübten Handgriffen die Sniper.
Er versuchte noch einmal, an der Steilwand etwas auszumachen.
„Los, komm!“ Sie klopfte ihm auf die Schulter. „Das kannst du alles morgen in der Zeitung lesen. Jetzt wartet eine Massage auf uns.“