Es gab einmal eine Welt der Unsterblichen, in der es weder Jahreszeiten noch Geburt und Tod gab. Viele hatten große Pläne, doch schoben sie ihre Vorhaben immer wieder auf: Mal war ihnen nicht danach, das Wetter passte nicht oder sie wollten eben noch ein wenig darüber nachdenken. Auf diese Weise verstrich ziemlich viel Zeit, in der sie einfach nur herumlungerten, manchmal miteinander rauften oder sich langweilten.
Das gefiel der großen Weisen überhaupt nicht. Sie hatte eigens diese Welt, diese Wesen nach ihrem Vorbild erschaffen, weil sie sich an ihrem grenzenlosen Schaffensdrang erfreuen wollte. So hatte sie den Unsterblichen alle Geschenke gemacht, die sie nur ausdenken konnte: Zuerst einmal die Unsterblichkeit selbst, ein angenehmes Klima und einen feinen Planeten voller Möglichkeiten. "Die scheinen nichts damit anfangen zu können", dachte sie und sie packte ihr Bündel, um sich unter sie zu mischen und zu befragen, warum sie nichts zustande brachten.
Als erstes traf sie einen begnadeten Maler. "Was stehst du herum und malst nicht? Wie kannst du dein Talent vergeuden?"
"Wohl, ich kann wunderbare Werke erschaffen", gab er zu und stocherte weiter lustlos in einem Topf voller Farbe. "Doch schau mal, meine Meisterwerke." Er wies mit schlaffer Handbewegung auf einen Stapel Gemälde. "Wer will die schon? Ach, was nützt meine Perfektion, wenn sie doch niemandem gefällt!"
Die Weise ging zu den Leinwänden und hob sie auf. Sie sah bezaubernde Werke von Galaxien, die sich ineinander woben, von winzigen Insekten auf atemberaubenden Blumen. "Aber die sind wunderschön! Ich kann nicht glauben, dass keiner sie will."
"Na denn, da bist du die erste. Nimm sie mit und sieh, ob du sie unter die Leute kriegst."
Kopfschüttelnd sammelte die Weise so viele Bilder auf, wie sie tragen konnte und machte sich auf den Weg. Eine Weile begegnete sie niemandem und sie erinnerte sich, dass sie viel Wert darauf gelegt hatte, dass jedes Wesen hier genug Raum für sich hatte. "Tja, vielleicht war das ein Fehler. Ich sollte sie näher zusammen bringen", dachte sie. Und als sie es dachte schrumpfte der Planet und im Nu war sie beim nächsten.
Der saß vor seiner Schmiede und stocherte in einem Feuer.
"Hallo, was bist du mießmutig an einem so wunderbaren Tag", rief die Weise ihm zu.
Doch der Angesprochene schaute kaum auf. "Ja, wird ein Tag sein wie alle Tage. Ist ja nicht viel los hier."
"Aber warum tust du nichts? du könntest Skulpturen herstellen, Wekrzeuge ..."
"Warum sollte ich? Wer will die schon haben. Ach, nein. Sollen sich ersteinmal die alten verkaufen." Und er wies auf einen Schuppen, der so voll gestopft war, dass einige Dinge wieder heraus fielen.
"Aber... die sind wirklich gut", lobte die Weise. "Ich kann nicht glauben, dass keiner sie will." Dabei hob sie einen geschmiedeten Krug hoch.
"Nun, wenn du meinst. Ich hab jedenfalls keine Lust, weiter zu arbeiten. Ich werde jetzt ein Schläfchen halten. Nimm, was du willst." Damit erhob er sich und trottete in sein Haus.
Die Weise schüttelte den Kopf. Er hätte mich wenigstens zu einem Tee einladen können, dachte sie. Dann nahm sie eine Plastik in Form eines Baumes mit und ging weiter.
Bald sah sie eine kleine Siedlung und freute sich. Dort mussten doch Leute leben, die die Werke zu schätzen wüssten! Als sie durch die Hauptstraße schritt, sah sie jedoch niemanden. Die Fassaden bröckelten, ettliche Türen hingen lose in einer Angel. Erst in der Mitte der siedlung, bei einem Brunnen, der halb verfallen war, sah sie einen Unsterblichen. Er stierte vor sich hin in den Staub.
"Hallo", rief sie, "wieso bist du so einsam? Sind die anderen alle weggezogen?"
Der Angesprochene zuckte zusammen. Er hatte gerade ein Nickerchen gehalten. "Welche anderen? Ich habe diese Häuser alle gebaut, aus Langeweile. Aber ich hatte irgendwann keine Lust, sie zu erhalten. Sind ja doch zu nichts nütze."
"Und der Brunnen? Du bekommst so ja kein Wasser mehr ..."
"Wasser? Wozu? Ich brauche weder Essen noch Trinken. Alles, was ich kann, habe ich seit Äonen getan. Was soll ich mich um den Brunnen kümmern?"
Da schüttelte die Weise den Kopf. "Du könnest den Schmied holen und ihn bitten, den Brunenn instand zu setzen."
"Ach, was. Ich habe keine Lust. Er ist so ein alter Griesgram. Nein, den will ich nicht hier haben."
"Dann gehe einige Schritte weiter, der Maler wäre bestimmt froh, wenn du ihn bittest, die Fassaden neu zu streichen." Zur Bekräftigung zeigte sie die Gemälde vor.
Doch der Angesprochene warf nur einen desinteressierten Blick drauf und stierte wieder in den Staub. "Und dann? Wenn er fertig ist, dann werden wir uns wieder langweilen. Es hat ja doch alles keinen Zweck. Wozu überhaupt etwas tun?"
Da ließ die Weise die Bilder und die Skulptur an Ort und Stelle fallen. Tränen stiegen in ihr auf und Wut braute sich in ihrem Bauch zusammen. "Ihr wisst nichts mit meinen Gaben anzufangen! Nichts! Ich werde das Spiel ändern. Fortan seid ihr nicht mehr unsterblich. Ihr werdet nicht mehr alle Ressourcen haben. Seht, was ihr aus eurer Lebensspanne macht!" Und als sie sprach, wurde wahr, was sie sagte. Sie drehte sich um und verließ diese Welt.
Als sie wieder in ihrem Reich angekommen war, tat es ihr leid, dass sie ihre liebsten Wesen verstoßen hatte. Es kam ihr wie Verrat vor und sie machte sich Vorwürfe.
Zu ihrer Überraschung begann der Dorfbewohner jedoch, den Brunnen auszubaggern. Um die Vorrichtung zum Wasserholen wieder herzustellen, holte er den Schmied zur Hilfe. Den Maler sprach er auf die Fassaden an.
Bald kamen von überall her die ehemals Unsterblichen.
Die Weise war außer sich vor Freude und besuchte das Land ihrer Schützlinge. Als sie sie nach ihrem wichtigsten Wunsch fragte, baten sie einhellig: Sie möge dafür sorgen, dass die Zeit nicht gleichförmig ist, sondern einen Rhythmus hat, der stets neues bringt.
Da erschuf sie die Jahreszeiten und ließ es regnen. Sie selbst hatte Freude am bunten treiben und beschloss, eine Weile im Jahr immer zur Stelle zu sein: So verwandelte sie sich in eine besondere Blume mit Heilkraft und der Macht zu zerstören.