Sorgfältig träufelte sie dunklen Honig über den brutzelnden Apfel in der Pfanne. Der Dampf, der ihr entgegenzog, roch intensiv nach Zimt, Kardamom und Rum. Sorgfältig malte sie Spiralen auf die leicht matschige Apfelmasse mit Rosinen. Eine rechtsdrehend, die andere links herum. Dabei murmelte sie unentwegt dieselben Formeln, wie schon die letzten 37 Minuten. Kein Seufzen, kein Wimpernschlag durfte dazwischen kommen, damit die erwünschte Wirkung erzielt würde.
Eine Herausforderung, über die Rose schon häufiger gestolpert war: Wie um alles in der Welt, sollte man sich auf stupide Buchstaben und künstliche Wörter konzentrieren, wenn man dabei war, ein einzigartiges Gericht für einen besonderen Menschen zu zaubern? Und noch dazu so einen gut aussehenden...
Enttäuscht warf sie den Holzlöffel in die Apfelmatsche und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Schon wieder! Sie nahm die Pfanne vom Herd und schabte den Inhalt achtlos hinaus, wo er vor dem Küchenfenster auf einem Haufen aus weiteren sieben missglückten Bratäpfeln mit Zimt, Rum und Kardamom landete. Eine kugelige Waldmaus suchte das Weite, als "platsch" die nächste Ladung heißes Fett über ihre Schnurrbarthaare schwappte. Laufen ist vielleicht zu viel gesagt. Es war ein schnellstmögliches schlangenlinienförmiges Gehen. Die Nebenwirkungen eines guten Auskommens am Hause einer Zauberin machten sich bemerkbar.
Rose hielt derweil die Pfanne unter laufendes Wasser und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Mit ein wenig Schrubben gelang es ihr, ihr Arbeitsgerät in einen passablen Zustand zu bringen, der gut genug für einen letzten Versuch war. Ein Blick zur Uhr überzeugte sie, dass sie noch eine Chance hatte.
Also Fett hinein und das Ganze von vorne! Spruch für Spruch, Zutat für Zutat arbeitete sie sich durch die Anweisungen aus "Magische Rituale für besondere Menschen". Nach 37 Minuten träufelte sie Honig-Spiralen über eine Apfelmasse voller Rosinen, die intensiv nach Rum und Zimt roch. Der Kardamom ging in diesem Potpourri unter, zumindest für ihre mittlerweile leicht rote Nase. Spirale rechts herum. Spirale link ...
In diesem Moment polterte jemand mit dem Messingklopfer gegen ihre Tür. Verdammt! Ein Blick zur Uhr. Ja, es war schon spät ... aber ...
"Jan!" Rose riss die Tür auf und starrte den riesigen Blumenstrauß an, der sie anschaute. Lange Beine darunter. "Was für eine Überraschung. Ich habe dich erst in einer halben Stunde ..."
"Hm, riecht es hier lecker." Ein brauner Haarschopf samt großer brauner Augen und keck geschwungener Nase schauten um den bunten Strauß herum. "Hm ... und ein bisschen rauchig, meinst du nicht? Tut mir leid, dass ich zu früh bin, aber ..."
"Verdammte Kohlsch...!" Rose machte panisch auf den Hacken kehrt und ließ das wunderbare Wesen samt seinen pflanzlichen Begleitern stehen. Als sie in die Küche kam, konnte sie noch gerade die Pfanne am Holzgriff vom Herd ziehen und in die Spüle werfen. Hustend riss sie das Fenster auf. Die Waldmaus, die zurückgekehrt war, duckte sich schnell weg, aber nichts fiel auf sie hinab.
"Na, das lässt mich vermuten, dass ich das beste verpasst hab?" Jan trat ein und schaute sich in der winzigen Küche um.
Hastig klappte Rose das Buch zu und stopfte es in den Schrank, wobei ihr einige Döschen und Fläschchen entgegenfielen. Dann drehte sie sich um.
Ihr Besuch grinste. "Hast du vielleicht eine Vase?"
"Ähm, ja ..." Rose nahm die Blumen und öffnete eine Schranktür. Natürlich verbarg sich die einzige Vase, die groß genug für den Strauß war, ganz hinten.
"Soll ich mal?" Jan kniete sich neben sie und angelte nach dem Objekt. "Autsch!" Erschrocken zog Roses Besuch die Hand zurück. Der Ringfinger blutete.
"Oh, nein! DA ist sie drin?" Rose ließ die Blumen fallen und begann, das Blut aus dem Finger zu saugen.
"He, bist du ein Vampir oder was?"
"Was ist falsch an einem Vampir?" Drei Minuten hatte sie gebraucht, bis sie sich ganz sicher war, das Gift vollständig aus diesem schönen Körper herausgesogen zu haben. Vera hatte sie die Schlange genannt, die vor einiger Zeit in ihr Haus eingezogen war. Nachdem sie beim letzten Besuch Schelte bezogen hatte, war sie verschwunden. Bis jetzt. Rose war sauer. Ausgerechnet, wenn ihr ein Besuch einmal was bedeutete, musste Vera wieder zuschnappen! Blödes Vieh. Hätte sie sie bloß damals gleich verknotet und verwünscht.
Doch Jan schien der Zwischenfall nicht viel auszumachen. Blendend weiße Zähne blitzten beim betörendsten Lächeln auf, dass Rose in den letzten 722 Jahren gesehen hatte. Sie erwiderte es. "Keine Angst, es ... es wird nichts mehr passieren. Du musst nicht die Flucht ergreifen oder so ..." Irgendwie fühlte sie sich hilflos. Wie lange war ihr letztes Date daheim her? 32 Jahre? 102? Egal. Jetzt war es soweit. Dass der große Liebeszauber versagt hatte, machte die Situation nicht besser. Immerhin war Jan noch hier ...
"Schon gut, mach dir nichts daraus, vielleicht hast du was zu trinken ...?" Große Augen schauten sie an.
"Na, natürlich ..." Sie hasste ihr Stottern. Führte ihn in die Waldstube, wie sie ihr Lieblingszimmer nannte. Im Dach befanden sich drei Löcher, durch die hindurch die Feigenbäume, die hier wuchsen, Licht bekamen. Zwei hatten die Decke bereits durchbohrt. Der dritte war nahe daran, deshalb hatte sie lieber freiwillig ein Loch gemacht. Vor der breiten Glasfront zum Wald hin kaute ein Reh genüsslich an einem Rosenbusch. "Wirst du wohl!" Sie sprang an die Tür und wedelte mit den Armen. Das Reh schaute sie an. Wunderschöne Augen! Sie lächelte und seufzte schicksalergeben. "Nun denn, hast ja doch nur ein kurzes Dasein, da will ich dir die paar Blüten nicht missgönnen!" Sie wandte sich wieder ihrem Besuch zu. "Setz dich doch. Magst du einen Tee?" Mit ausladender Geste wies sie auf die verschiedenen Sitzmöbel, ein breites Sofa, ein tiefer Sessel, der von einem dicken Spaniel besetzt wurde und ein paar Hocker. Auf den meisten lagen Bücherstapel oder standen Blumentöpfe.
Jan wählte das Sofa. "Oh, gar nicht so unbequem!" Er versank in dem weichen Polster. Lachend versuchte er sich daraus zu befreien und aufrecht zu sitzen. Als er sich hoch gekämpft hatte, nahm er dankend die Tasse entgegen, die Rose ihm reichte. "Hm, was ist das? Riecht gut." Einen winzigen Schluck später fiel er zurück in die weichen Polster und atmete gleichmäßig.
Rose lächelte. "Man soll sich eben nie auf einen Bratapfel alleine verlassen." Den Rest des Tees kippte sie in der Küche aus. Dann suchte sie seelenruhig nach der passenden Vase.
Als Vera lispelnd auftauchte, strich sie ihr über den Kopf. "Das machst du nicht noch einmal. Ich weiß deine gute Absicht zu schätzen, aber ich brauche keine Hilfe. Und wenn, dann frag ich."
Beleidigt zog sich das Reptil zurück und verschwand in einer Vase.
Rose zupfte die Blumen zurecht. Ihr fielen die sonderbaren Farben von strahlend gelb bis orange und rot auf. Selten genug kam es vor, dass ihr jemand eine Pflanze präsentierte, die sie nicht kannte. Doch hier war es ein halbes Dutzend! Sie brachte sie in ihr Lieblingszimmer und stellte sie auf den Tisch. Jan sollte sie ruhig beim Aufwachen sehen. Das würde bestimmt noch die Eindrücke verstärken, die der Tee ...
Etwas zog an ihrem Handgelenk. Mit einem Schreckensschrei fiel Rose aufs Sofa, wo sie sich unerwartet unter jemandem wiederfand. "Jan? Wer ..."
Ihre Frage ging in einem langen Kuss unter.
Nach einer Ewigkeit bekam sie wieder Atem und schaute in zwei wunderbare braune Augen. "Und nun?"
Strahlend weiße Zähne blitzten auf und sie bekam einen langen Kuss auf den Hals, einen saugenden.
"Jan!" Rose versuchte, ihren Besucher wegzuschieben, aber keine Chance.
"Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich mit einem Zauber in die Welt der Halluzinationen schicken?" Jan schüttelte den Kopf und grinste. "Da musst du dir etwas anderes ausdenken. Die rieche ich zehn Meilen gegen den Wind. Und was deine Liebesäpfel betrifft ..."
"Woher weißt du? Die riechen doch gar nicht."
Er grinste wieder, gebleckte Zähne, braune Locken fielen über die großen Augen. "Wie würdest du dich fühlen, wenn du dich verliebst und feststellst, dass die Geliebte dich mit einem faulen Zauber einfangen will?" Der Tonfall war nun ärgerlich, die Augen beinahe schwarz.
Rose traute sich kaum zu atmen. Wieso war ihr nicht früher aufgefallen, mit wem sie es zu tun hatte?
Ihr Besuch bekam langsam ein dichtes Fell und einen buschigen Schweif.
"Jan, es tut mir leid ..."
Er brüllte. "Es tut dir leid?! Du hast hier eine Bude voll von Zeugs, mit dem du deine Mitgeschöpfe manipulierst, auch wenn sie dir wohl wollen. Mehr als wohlwollen! Und es tut dir LEID?!" Heißer Atem schlug der jungen Hexe ins Gesicht.
Sie wünschte sich sehnlichst, sie hätte bei all ihren Unterweisungen besser aufgepasst. Dann säße sie nun nicht buchstäblich in den Fängen eines der gefährlichsten Geschöpfe der Menschheitsgeschichte. Ein Vampirwolf! Genauer gesagt: Eine Vampirwölfin. Von der schönen Jan war nichts mehr zu sehen. Nur die Augen und die blitzend weißen Zähne, die sich ihr näherten.
Rose klappte die Augen zu. Was ist die angemessene letzte Tat einer Hexe mittlerer Jahre? Sie hatte keine Ahnung und auch keinen letzten Wunsch. Außer vielleicht, besser aufzupassen, mit wem sie sich einlässt.
Als Rose am nächsten Morgen aufwachte, war der Blumenstrauß umgekippt und halb verwelkt. Die Tür zur Terrasse stand offen. Das Reh war verschwunden.
Jemand kam aus der Küche herein. Es duftete nach Rosentee. "Na, möchtest du einen Rosentee, Rose? Es ist doch besser, wenn wir noch einmal anfangen, oder?" Jan kniete vor ihr und schenkte eine Tasse Tee ein. "Sag mal, was hast du eigentlich geträumt? Gestern, nachdem wir einen Tee getrunken haben, bist du einfach umgekippt und hast abwechselnd geschrien und geschlafen. Alles in Ordnung mit dir?" Zwei wunderschöne, braune Augen schauten sie besorgt an.