"Lass uns ein Spiel spielen", rief sie, "mach die Augen zu, du musst mich suchen!" Ihre Füße raschelten im kniehohen Gras, als sie weglief. An dem glockenhellen Lachen hörte ich die Richtung, ein Ton der mich magisch in seinen Bann schlug. Schon seit drei Jahren. Aber bisher habe ich mich nicht getraut, ihr das zu gestehen. Ich tue einfach so, als wären wir befreundete Nachbarskinder in einem kleinen Dorf. Da spielen alle miteinander. Das ist ganz normal. Manchmal nenne ich mich selbst einen Schisser, weil ich ihr meine Liebe nicht gestehen mag. Aber naja, das Risiko, dass sie mich auslacht oder abweist ist mir einfach zu groß. Also versuche ich, jede freie Minute in ihrer Nähe zu sein. Diese Sonntagnachmittage bei Sonnenschein im Frühling sind die herrlichsten von allen. Sobald wir außer Sichtweite der Erwachsenen sind, fliegen Schuhe und alle unnützen Kleidungsstücke auf einen Haufen und wir sind frei. Sie ist so schön, so verdammt schön. Natürlich habe ich meine Augen gehorsam geschlossen. Ich mache alles, was sie will. Ich kann gar nicht anders. Nach viel zu kurzen Minuten ist ihr Lachen verklungen und ich öffne meine Augen. Die Sonne brennt auf meiner Haut, als ich mich um die eigene Achse drehe. Hier auf der Wiese ist sie nicht zu sehen. Ich mache mich auf, in der Richtung, in der ihre Stimme verklungen ist und gehe zum Waldrand. Wenn sie nicht gefunden werden will, werde ich sie nicht finden. Dazu ist unsere Welt zu groß. Ich schaue hinter Brombeerbüschen und großen Wurzeln nach. Der hohle Baum, der in einer Gewitternacht vor zwei Jahren vom Blitz getroffen wurde. Da ist sie auch nicht. Natürlich nicht. In einem weiten Bogen gehe ich durch den Wald zurück zum Ausgangspunkt auf der Wiese. Dort sehe ich sie: Sie liegt im Gras und hält sich den Mund zu, als müsste sie sich ein Lachen verkneifen. Sie hat sich von hinten an mich geschlichen! War mir ganz nah! Aber das Gras hatte sie verborgen. Nicht so von meinem jetzigen Standpunkt. Von diesem kleinen Wall aus ist sie vollkommen zu schauen. Es verschlägt mir den Atem. Fast schäme ich mich, sie entdeckt zu haben. Ein Wirrwarr von Gefühlen flutet meinen Körper. Ich nehme einen Ast auf und schlage damit gegen einen Baum, dass sie mich hört. "Eins, zwei, drei - du bist dabei!" Sie springt auf, sieht mich und lacht. "Hast du mich erschrocken! Dabei hast du vorhin schon in meine Richtung geschaut - und mich nicht gesehen. Stimmt's? Das war ein gutes Versteck, ja?" Ich nicke und gehe langsam auf sie zu. Ihr Körper beginnt schon, Brüste zu entwickeln. Aber sie benimmt sich immer noch wie ein Kind. Ob sie ahnt, was sie in mir auslöst? Mit schwingenden Sprüngen kommt sie mir entgegen und wirft sich mir an den Hals. Wir fallen hin, purzeln übereinander, lachen. Oh, Jasmin, ich liebe dich! Ich rolle mich nach oben. Schaue in ihr Gesicht, ihre blauen Augen. Ein paar vertrocknete Grashalme haben sich in ihrem Mund und ihrem Haar verfangen. Vorsichtig zupfe ich sie weg. Sie nutzt den Moment, wirft mich ab und springt auf. Dann läuft sie weg. "Fang mich doch", ruft sie. Ich stehe langsam auf, lasse ihr einen Vorsprung. Mit meinen zwei Jahren Altersvorsprung bin ich deutlich schneller als sie. Aber dass muss ich ja nicht deutlich zeigen. Also mache ich absichtlich langsamer.
Diese Jahre unserer Jugend möchte ich um nichts in der Welt missen. Ich habe nie wieder so geliebt, war nie mehr so frei. Bald kam dann der Krieg. Die Regeln wurden strenger, wir mussten die Jungen auf den Höfen unserer Eltern ersetzen. Jasmins Eltern schickten sie ins Ausland, auf ein Internat. "He, komm und fang mich doch", rief sie mir zu. Es war das letzte, das ich von ihr hörte. Ihre Eltern wurden nachts abgeholt. Mein Vater wollte mich mit dem neuen Bauern vermählen. "Es ist zu deinem Besten", versuchte er, mir zu zu reden. "Und zu eurem", schrie ich und rannte in den Wald. In der Nacht fielen Bomben auf unser Dorf. Ich habe meine Eltern nicht mehr wieder gesehen. Als der Angriff vorbei war, schlich ich mich in die Ruinen, suchte mir ein paar Kleidungsstücke und Wertsachen. Ein Familienfoto fand ich noch. Das war's. Damit machte ich mich auf den Weg, grobe Richtung Südwest. Die Jahre zogen an mir vorüber. Der Krieg hörte auf. Ich nahm mit allen Internaten Kontakt auf, von deren Existenz ich erfuhr. Doch niemand hatte eine Jasmin aufgenommen. Ob sie unter einem anderen Namen eingeschrieben wurde? Ich begann, nach Einschulungsfotos und Abschlussklassen zu fragen. Ohne Erfolg. Ich dehnte den Radius meiner Suche immer weiter aus. Meine geliebte Jasmin! Ob sie noch an mich denkt? Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Außer in mir. Ein glockenhelles Lachen dringt an mein Ohr. Ein Lächeln kräuselt meine Lippen, als ich einschlafe.