Prompt von 2015
"Wie der Zauberer den König der Schafe betrog"
Hinter dem dunklen Finsterforst lag friedlich schon seit tausenden und abertausenden von Jahren die hügelige Weidenlandschaft von Smähland.
Immerwährender Sonnenschein wurde einem Wanderer versprochen, wenn er sich dem Königreich näherte. Viele Menschen versuchten, dorthin zu kommen, die meisten aber wurden von den umliegenden Grafschaften abgelenkt und fanden nie in dieses paradiesische Land voller Grün. Weitläufige Wiesen mit den saftigsten Gräsern und den würzigsten Kräutern machten den Anblick von Smähland aus. Umrahmt vom düsterem Tannengrün und den schwarzen Bergen lagen mehrere tausend Hektar weit nur Wiesen und Weiden auf weiter Flur. Eine Utopie inmitten der finstersten Fleckchen der gesamten Anderswelt.
Wanderer aus allen Enden der Welt hatten sich schon oft als Ziel gesetzt, Smähland zu erreichen und dem König der Schafe Gast zu sein. Doch im Finsterforst konnte man sich leicht verlaufen und einer hübschen Faundame verfallen, die einen immer weiter in den Wald verführte, bis man schließlich verloren war. Von der anderen Seite aus musste man die schwarzen Berge erklimmen, doch das war ebenfalls nicht ohne Gefahr, denn die hutzeligen Zwerge, die dort lebten, hatten in regelmäßigen Abständen Hütten auf den Anhöhen errichtet, in denen sie Speis und Trank anboten. Manch einer der Wanderer war in der Gemütlichkeit versumpft und nicht selten hatte sich auch jemand zu Tode getrunken von dem lieblichen Honigwein der Zwerge.
Es war also nicht einfach, in Smähland willkommen geheißen zu werden; und das, obwohl der herrschende König dort einer der gütigsten und gastfreundlichsten in der ganzen Anderswelt war. Sein Name war Mährlin der Fünfundzwanzigste und sein wolliges Fell war wie das seiner Ahnen und Urahnen dunkelbraun, fast schwarz, womit er sich deutlich vom Rest der anderen wollweißen Schafe unterschied. Jedoch nicht auf eine Art und Weise, nach der er sich zu schämen brauchte, das schwarze Schaf in seiner Familie zu sein. Nein, die anderen Schafe vergötterten ihn beinahe für sein Anderssein, denn so war er etwas Besonderes und konnte gut von den anderen, niedriger stehenden Hofschafen unterschieden werden.
Mährlin, der König der Schafe, war ein guter Herrscher. Er sorgte für Recht und Ordnung, ohne jemanden zu benachteiligen. Er nahm sich selbst nur das Nötigste und graste nur an Stellen, an denen zuvor schon die sehr alten und die sehr jungen Schafe gewesen waren. Denn die Alten sollten in seinem Königreich einen schönen Lebensabend verbringen und die Jungen waren die neue Generation, die das Land weiterbestehen lassen würden.
Das Einzige, das dem König der Schafe in diesem wundervollen Land voll freundlicher, bekannter Gesichter noch Kummer bereitete, war die Suche nach einer ansprechenden Partnerin. Er brauchte doch eine Königin, mit der er ein paar süße Schäfchen und unter anderem dann auch hoffentlich Mährlin den Sechsundzwanzigsten in die Welt setzen konnte, damit dieser die neue Generation von Smähland gebührend schützen und anführen konnte.
Doch wie sollte er eine geeignete Schafdame finden? Er kannte mehrere nette Frauen in seinem Alter, doch er konnte sich nicht so recht für eine entscheiden, da sie ihm alle sehr gut gefielen. Welche davon war nur besonders genug, dass sie eine Königin sein dürfte?
So stand Mährlin bei seinem Beraterschaf, kaute auf einem Blättchen Klee herum und fragte den weisen, grauen Berater, wie er dieses Problem lösen könnte. Mit vollem Mund. Die Schafe waren hier nicht aus der Ruhe zu bringen und verfielen selten in Panik. Was hatten sie denn zu fürchten?
"Falle nicht auf die Schönheit der Damen herein!", riet ihm der Weise, "Finde das junge Schaf mit dem reinsten Herz, nur so kann ein gebührender Herrscher für Smähland geboren werden!"
Dem listigen Zauberer Ansgar von Babel kam das Problem von König Mährlin zu Ohren. Er trank gerade seinen fünfundzwanzigsten Krug Honigwein auf der obersten Hütte der Zwerge auf dem höchsten der schwarzen Berge und fasste einen Entschluss.
So zahlte er den Zwergen mehr als genug Gold- und Silbermünzen, griff nach seinem Hut und verließ das Wirtshaus mit einem vielsagenden Lächeln auf den Lippen. Auf seinem schwarzen Pferd Fenrir bestritt er den steilen Weg nach unten bis zur untersten Hütte der Zwerge auf dem kleinsten der schwarzen Berge und entschuldigte sich dort mit ein paar Silbermünzen in einen Hinterraum. Fenrir folgte ihm und verwandelte sich in diesem kleinen Zimmerchen in seine wahre Gestalt, die eines großen schwarzen Wolfes. Gemeinsam beratschlagten die beiden, wie sie den König der Schafe übers Ohr hauen konnten.
Zauberer Ansgar warf Fenrir ein Stück rohes Fleisch zu, um ihn zu belohnen, dass er es so lange als Pferd ausgehalten hatte. "Fenrir ist aber auch ein wirklich seltsamer Name für ein Pferd!", scherzte der Wolf. Ansgar von Babel lachte und griff nach seinem Zauberstab, der sich sogleich in einen Hirtenstab verwandelte. "Ich wette mit dir um einen Ziegenbock, dass du, mein liebster Fenrir, das schönste schwarze Schaf in der gesamten Königsfamilie von Smähland sein könntest!", sagte der Zauberer und Fenrir nickte kauend.
Mährlin, der König der Schafe, ließ unterdessen alle weiblichen Schafe an seinem Lieblingshügel versammeln. Sein königlicher Berater stand neben ihm und stellte den Damen hintergründige Fragen. Nur so würde er herausfinden, welche Schafsfrau wirklich ein reines Herz hatte und welche nicht nur mit ihrer Schönheit blenden wollte. Mährlin kaute auf einem Blättchen Klee herum und seufzte still. Es waren einige Damen dabei, die sein Herz höher schlagen ließen, doch genau das waren diejenigen, die sein Berater systematisch aussortierte, weil sie eine falsche Antwort gegeben hatten.
Da regten sich die übrigen Schafe mit einem Mal, denn von Richtung der schwarzen Berge näherte sich eine dunkle Gestalt mit einer Schafsherde. Als sie den Hügel erreicht hatten, erkannte Mährlin einen menschlichen Schäfer mit einem Hirtenstab, hinter ihm die Herde von wunderschönen Schafen. Eines stach Mährlin besonders ins Auge. Das Fell der schönsten Schafsdame, die er jemals gesehen hatte, war noch dunkler als das seine. Nicht dunkelbraun, nicht fast schwarz, sondern wirklich kohlrabenschwarz. Der König der Schafe sah dem Schäfer in die Augen und sagte: "Herzlich Willkommen in meinem Reich! Was führt Euch hierher, werter Wandersmann?"
"Ich bin ein einfacher Hirte und ich habe den ganzen Weg durch die schwarzen Berge auf mich genommen, um meine Schafe auf Eurer wunderbaren Weide grasen zu lassen", sagte der Schäfer, "Man sagt, hier gäbe es die saftigsten Gräser und die würzigsten Kräuter. Ich möchte nur das Beste für meine Herde und drum führte ich sie hierher!"
Der Berater des Königs meinte zu Mährlin leise in sein Ohr flüsternd: "Wenn der Mann es geschafft hat, die schwarzen Berge zu überqueren, dann muss ihm wirklich viel an seinen Schafen liegen!"
So nickte König Mährlin gütig und sagte zu dem Hirten: "Das stellt absolut kein Problem dar! Lasst Eure Schafe hier grasen solange sie wollen. Es ist genug für alle da!"
Und als der Hirte sich auf das Gras setzte und auf seiner Flöte spielte, da ward Mährlin, dass er seinen Blick nicht mehr von der schwarzen Schafdame wenden konnte. Er näherte sich ihr behutsam an und stupste sie mit seiner Nase. Die Dame lächelte schüchtern, sprach jedoch kein Wort. Die Flötenklänge bezauberten Mährlin so sehr wie der Augenaufschlag der schwarzen Schafdame. Er entschuldigte sich höflich und lief schnell zu seinem Berater.
"Was denkst du? Ist sie die Richtige? Sie hat so ein wunderbares Fell, unsere Kinder würden bezaubernd aussehen!", schwärmte der König der Schafe, doch der Berater wiegte nur den Kopf hin und her. "Stell ihr eine Frage!", sagte er dann, "Eine, die dir wirklich am Herzen liegt. Wenn sie sie richtig beantwortet, darfst du sie zur Frau nehmen!"
Und so lief Mährlin zurück zu der schwarzen Schafsdame, die ihn schüchtern anblinzelte und der Flötenklang in seinen Ohren war nie süßer gewesen. "Meine Teuerste", begann Mährlin, "Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch zu meiner Gemählin nehmen würde?" Sie überlegte eine Weile im Stillen und sagte dann ganz leise und bezaubernd: "Mäh!"
Da war es um Mährlin geschehen.
Die Hochzeit fand im großen Kreise statt.
Es gab für jeden genügend zu Essen und zu Trinken und der Hirte, der zur Vermählung der beiden Schafe eingewilligt hatte, spielte wieder auf seiner Flöte, um für eine schöne Tanzmusik zu sorgen. Alle Schafe waren fröhlich und glücklich darüber, dass ihr König endlich eine Frau gefunden hatte. Nur der Berater war nach wie vor etwas skeptisch, denn Mährlin hatte ihm niemals verraten, welche Antwort er auf welche Frage bekommen hatte.
Erst als die Nacht hereinbrach, endete das Fest.
Mährlin zog sich mit seiner neuen Gemählin zurück, um mit ihr allein zu sein. Da schien der Mond in seiner vollen Pracht und der König der Schafe traute seinen Augen kaum, als die wunderschöne schwarze Schafdame ihren wolligen Pelz abstreifte und darunter ein pechschwarzer Wolf zum Vorschein kam.
Der Hirte lachte und ward plötzlich keiner mehr, sondern der listige Zauberer Ansgar von Babel.
"Ihr habt mich betrogen! Das ist kein schwarzes Schaf, sondern ein Wolf im Schafspelz!", rief König Mährlin unglücklich und Fenrir war froh, nicht mehr so sehr schwitzen zu müssen.