Dieser Text ist entstanden als Schreibübung 1 in der Gruppe "Helden der Unterwelt". Ziel ist es, die Veränderung eines Ortes zu beschreiben von Schön zu Gruselig und wieder zurück.
Ein herrlicher Spätsommertag neigt sich zu Ende. Lisa und Martin genossen einen ganzen Nachmittag lang diese eine wunderschöne Waldlichtung, die so schwer zu finden war. Martin kannte zwar den Wald in- und auswendig, doch diesen ganz besonderen Platz kannte er noch nicht. Es war Lisa, die ihn dorthin führte. Und ihr ging es nicht anders, auch sie wurde von ihrem Ex einmal auf die Lichtung begleitet. Nachdem sie sich von dem jedoch getrennt hatte, war dieser Platz wie ausgelöscht. Erst als sie neu verliebt war und Martin bei sich hatte, gelang es ihr, den Weg durch die Zweige zu finden. Nun saßen sie bereits den ganzen Nachmittag dort, genossen die Wärme der Sonne, lauschten den Gesängen der Vögel und beobachteten das bunte Flattern der Schmetterlinge.
Sie merkten nicht, wie mit dem Untergehen der Sonne, die ersten Schmetterlinge ihre Farbe im Gras bei den bunten Blumen ablegten. Ein kühler Windhauch blies von einem der Bäume, der schon im Herbstgewand war, die ersten Blätter auf den Boden, die, kaum dass sie die Erde berührten, zerbrachen. Es war die kalte Luft, die Lisa frösteln ließ und sie bat Martin darum, sie nach Hause zu begleiten. Sie packten und verließen den Ort, als die Sonne hinter dem Wald den Horizont berührte. Sie waren gerade an dem Eingang zur Lichtung, als Lisa das Gefühl hatte, hinter ihr bewege sich etwas. Ein wenig ängstlich drehte sie sich um, konnte jedoch nichts ausmachen. Ihr fiel nicht einmal auf, dass Vögel mit ihren Liedern eine andere Tonart einschlugen. Sie verließen diesen Ort und ahnten nicht, dass sie damit ihre Seele retteten.
Kaum war die Sonne untergegangen, übernahmen Raben die Hauptmelodie, die anderen Vögel flohen in Bäume, die weit genug von der Lichtung entfernt standen.
Den Rufen der Raben folgte das Licht. Während der Himmel die Sonne verabschiedete, begrüßte er gleichzeitig die Nacht und den Mond, dessen blasser Schimmer so farblos war wie alles Leben dieses magischen Ortes. Nach den Schmetterlingen legten auch die Blumen und das Gras ihre Farbe in die Erde, die alles in sich verschlang. Dornig stachen die Grashalme in die Höhe, an denen kleine graue Käfer emporkletterten. Gemeinsam mit den Faltern begannen sie ihren Tanz. Das tiefe Brummen von Flügeln erfüllte die Luft, mehr und mehr, bis sich aus den kleinen Wesen ein großes erschuf, ein Geschöpf, umhüllt vom farblosen Krabbeln kleinsten Getiers, auf denen sich matt der Schein des Mondes in grauen Tönen in die Umgebung spiegelte. Es streckte sich und es war stark, wie selten zuvor. Wann immer der Platz so viel Liebe erfuhr, konnte es an Kraft gewinnen; Kraft, die es brauchte für die Jagd. In dieser Nacht war es mächtig genug, um sogar einen Menschen in sich aufzunehmen, doch des Nachts waren die selten unterwegs. Vielleicht ein Reh oder einen Hirsch?
Mit einem Hauch der Kälte begann es seinen Lauf, verließ die Lichtung und durchdrang den Wald, bis ein junges Reh zum Ziel dieses Todeslaufes wurde. Es schaute noch kurz hoch, woher sich etwas auf es zubewegte, da war es auch schon zu spät. Nicht einmal ein Schrei kam von diesem Reh, seine Seele wurde ihm aus dem Leib gerissen und mitgenommen zum dunklen Platz. Dort labte sich das Geschöpf an dem Geist der Schönheit und der Anmut, schlang es in sich hinein und verdaute das Leben.
Es genoss, bis der Mond, der einzige Zeuge der Nacht, verblasste und der erste Strahl des neuen Tages das Krabbeln auf dem Geschöpf berührte. Zerteilt in kleine Käfer und Falter löste es sich auf. Sie waren es, die sich zuerst auf den nebelnassen Boden setzten und die Erde baten, die Farbe wieder zu erhalten. Bereitwillig schenkte die Mutter den Schmetterlingen und allen anderen die Pracht des Lebendigen zurück. Ein neuer Tag begann.
Ob du wohl schon geahnt hast, dass du diese Lichtung auch schon einmal betreten hast?