Der Rachegeier
Fynn knibbelte an seinen Fingern, als er den kleinen Laden betrat.
„Guten Tag, Junge“ begrüßte ihn die Frau am Verkaufstresen. Ihre Falten vertieften sich beim Lächeln und unter dem Tuch, welches sie sich um den Kopf gebunden hatte, schauten vereinzelt Haarsträhnen heraus.
Fynn schluckte ehe er die Begrüßung knapp erwiderte und trat einige Schritte in den Laden ein. Er griff nach einem kleinen Säckchen zu seiner Rechten. „Lavendelkissen“ stand auf dem Schild. Nervös drehte er es in seiner Hand herum, blickte es dabei an und überlegte wie er weiter vorgehen sollte. „Der einfachste Weg wäre es sie einfach zu fragen“, dachte er und ließ den Blick über seine Schulter Richtung Verkaufstresen schweifen. Die Frau war weg.
Jemand packte ihn an seiner Schulter. Fynn ließ vor Schreck das Lavendelkissen fallen und schrie. Die Panik war deutlich in seinen Augen zu erkennen.
„AUGE UM AUGE“ schrie er, als er sah wer ihn gepackt hielt.
Die Frau legte ihm nun auch die andere Hand auf die Schulter und kniete sich zu ihm herunter.
„Wer hat dir das verraten, mein Junge?“ Ihre Stimme war ganz ruhig. Fynn antwortete nicht.
„Wie heißt du?“ setzte die Frau wieder an.
„F… Fynn, Ma‘am.“ Tränen liefen über sein Gesicht.
„Hallo Fynn, ich heiße Dina.“ Sie nickte ihm zu. „Wie kann ich dir denn helfen?“
Der Junge blickte sich nervös um. Als er zu dem Schluss kam, dass kein anderer sich im Landen aufhielt flüsterte er Dina zu: „Meine Mom… Es waren Männer bei, sie haben uns festgehalten und meinen Dad mitgenommen. Sie haben ihn bedroht und geschrien und meine Mom in eine Kammer gesperrt. Sie versucht nicht zu weinen, aber ich höre es nachts. Und wenn sie schläft sagt sie, dass er nicht wiederkommt.“
Dina nickte. „Und nun soll ich euch helfen?“
Fynn schaute ihr in die Augen und zog fragend die Schultern hoch. „Bist du der Rachegeier?“
„Ja, mein Junge.“
„Dann ja.“ Sagte er entschlossen und schob ihr einen kleinen Zettel in die Hand. Dina zog Fynn in ihre Arme, drückte ihn fest an sich und sagte: „Richte deiner Mutter aus, dass es mir leidtut und das ich mich um alles kümmern werde.“ Daraufhin Fynn löste sich aus ihrer Umarmung und lief aus dem Laden.
Dina stand auf, drehte das Ladenschild auf „Geschlossen“ und setzte sich an den Schreibtisch im Hinterzimmer. „Dieses Mal werde ich sie kriegen“, dachte sie, als sie ihre Unterlagen aufschlug.