Es gibt immer eine Geschichte zu erzählen. Sie zu entdecken ist manchmal nicht ganz einfach. Einige wollen sofort erzählt werden, andere verstecken sich und warten auf den richtigen Moment.
Kürzlich fand mich eine dieser geheimnisvollen, verwunschenen Geschichten. Und sie erzählte mir folgendes:
Durch die Bäume wehte ein starker Wind. Er brachte ihre Blätter zum rascheln und einige von ihnen fielen sachte zu Boden. In ihren herbstlichen Farben zierten die Blätter den Waldboden, wie ein Mosaik. Ein Mosaik rund um einen Platz der schon verwelkten Blätter. Dieser Platz war eine kleine Kuhle im Boden des Waldes.
In der Kuhle aus welken Blättern lag des Nachts eine kleine Gestalt. Sie schien gänzlich in der Größe seiner Umgebung unterzugehen. Und doch schlief sie friedlich und fest in diesem sonderbaren Nest. Jeden Morgen verließ die Gestalt die Kühle, sortierte die herunterfallenden Blätter, ordnete jedem einzelnen von ihnen einen Platz zu und brachte die welken Blätter in die Kuhle. Der Wind tat sein Übriges und machte das ganze Unterfangen zu einem unendlichen Spiel des Herbstes.
Im Winter hatte die Gestalt schon einiges an Größe gewonnen. Sie beobachtete, wie der Frost und die Schneeflocken Einzug hielten. Tagsüber hinterließ die Gestalt Fußabdrücke im Neuschnee des gesamten Waldes und nachts begrub der Neuschnee die Gestalt beim Schlafen. Ein Spiel aus Verstecken und Entdecken.
Mit dem Frühling machte unsere kleine herbstliche Gestalt einen mächtigen Satz nach oben. Mit bloßer Hand konnte sie nun in Baumkronen greifen und den Ästen aus nächster Nähe beim knospen und erblühen zugucken. Sie erinnerte an einen Riesen. Der Frühling brachte alles in dem Wald zum Wachsen. Nur die Kuhle schien zu schrumpfen, sobald der Riese sich des Nachts zum schlafen in sie legte.
Sobald die Temperaturen stiegen und die ersten heißen Tage sich tummelten, ließ ein Ereignis nicht lange auf sich warten. So kam es, dass sich eines Abends der ausgewachsene Riese in seine Kuhle schmiegte und aus der Ferne ein lautes Tosen aufstieg. Am Himmel zuckte das Licht. Das erste Sommergewitter des Jahres! Und mit Sicherheit das einzige seiner Art. Denn das ist das Spiel des Sommers – mit dem näher kommen des Donners und dem Zucken der Lichter, erscheinen am Rande des Waldes weitere Gestalten. Riesen, wie er einer ist.
Mit dem ersten Sommergewitter zieht der Riese also weiter, mit all den anderen Riesen und hinterlässt eine leere Kuhle. Und das bleibt sie Jahr um Jahr, bis der Wind im Herbst die bunten Blätter von den Bäumen fallen lässt und ein neuer kleiner Riese das herbstliche Licht dieses Waldes entdeckt.