Tja, es wurde Zeit, ein paar alte Schulden abzutragen. Somit gibt es heute nun die erste Kurzgeschichte von dreien, die schon lange auf meiner Liste stehen.
Heute trefft ihr Heled, einen Charakter von Limayeel. Ein General mit mysteriösem Gedächtnisverlust. Den hat sie mir - zusammen mit zwei weiteren - vor vier Jahren zugesendet. Vier! Na, ob es die Wartezeit wert war ...?
Zu Limayeel: https://belletristica.com/de/users/1291#profile
Zu Heleds Geschichte (Dritter Band der Anthar-Trilogie):
https://belletristica.com/de/books/8622/chapter/18651
☠ DEATHRUN ☠
<1> Der Hügel
Schweigend betrachtete Heled das Feld. Er hatte eine ideale Position, wie er es bevorzugte. Der Hügel bot ihm einen guten Überblick über das Gelände. Sie würden aus dem Süden kommen, bergan und gut sichtbar, jedenfalls, sobald sie aus dem Pass herauswären. Die kleine Truppe, die die Angreifer sehen würden, würde ihnen leichtes Spiel vorgaukeln und sie aus dem Schutz des Passes locken. Am Fluss vorbei, an die Flanke des Waldes, in dessen Schutz der Rest des Schwadrons wartete.
Welchen Kampf genau er hier führte, wusste Heled nicht. Er forschte nicht allzu genau nach. Erinnerungen waren ein gefährliches Pflaster, das er heute nicht betreten wollte.
Malehlti, seine Fuchsstute, schnaubte leise. Vielleicht spürte sie die Spannung ebenso wie ihr Reiter. Heled tastete nach den beiden Säbeln. Silberzorn und Bronzeglut waren wie immer an seiner Seite. Der Zwergenstahl war treu wie ein Hund, er erkannte seinen Besitzer wieder. Niemand außer Heled konnte sie ziehen, und das würde er erst tun, wenn der richtige Moment gekommen war, um die Falle zuschnappen zu lassen.
Endlich kamen die ersten Soldaten in Sicht. Späher, die über ihre Schilde lugten. Sie ahnten also, dass ein Feind sie erwartete. Ihre Uniformen kannte Heled nicht. Doch spielte es eine Rolle, für welchen Herrn sie kämpften und starben?
Er streifte den Helm über das ergraute Haar. Die Angreifer tasteten sich vorsichtig aus dem Gang, sahen sich um. Sie bemerkten die kleine, tapfere Truppe, wie sie es sollten. Die Männer standen erhöht, den Fluss im Rücken. Ein idealer Kampfplatz für ein letztes Gefecht, das sahen auch die Angreifer so. Sie fluteten nun aus dem Berg, fünf-, sechsmal so viele wie die Verteidiger am Fluss, und gingen in den Angriff über. Sie rannten auf die Wiese zwischen Fluss und Wald und ...
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<2> Die Falle schnappt zu
Heled gab das Signal. Brüllend stürmte das Schwadron aus dem Schutz des Waldes. Pferde trugen die Reiter ihren Gegnern entgegen, die überrumpelt wurden, aufgerieben zwischen der herannahenden Macht und dem tosenden Fluss, in dessen reißenden Fluten sie Rettung suchten.
Heled gab Malehlti die Sporen. Die Fuchsstute sprengte über den Hügel, hinaus auf das Feld, zu dem Trupp am Fluss, der die vordersten Angreifer mit Stahl und Unerbittlichkeit empfing. Seine Säbel streckten sich in den Wind, begierig auf das Morden.
Ein tiefes Röhren ließ die Luft erzittern. Ein Ton, der durch die Erde vibrierte, die Kämpfer erschrocken innehalten ließ. Auch Malehlti zögerte im Lauf, blieb stehen. Erst jetzt begriff Heled, dass es ein Brüllen war, ein Laut, der die Berge herabrollte wie Donner.
Er hob den Blick und sah einen Schatten aus den Wolken über sich stürzen. Dieser entfaltete große Schwingen. Der entstehende Wind warf Heled aus dem Sattel, als wäre er von schräg oben von einer riesigen Faust getroffen worden, für die er nicht mehr war als ein Spielzeugsoldat für ein Kind. Während er im Gras aufschlug, spürte er Hitze über sich hinwegstreichen. Die Schreie vernahm er erst, als er zum Liegen kam.
Männer brüllten, kreischten. Blinzelnd, verständnislos, sah Heled auf das Feuer, in dem seine Soldaten nur noch als schwarze, flackernde Schatten zu erkennen waren. Panisch mit den Armen fuchtelnd liefen sie durcheinander, wurden von brennenden Pferden zu Tode getrampelt.
In Heleds Ohren klingelte es. Er kam strauchelnd auf die Beine. Glutnester glühten im Gras, Rauch stieg durch die Luft. Oben wendete die gewaltige Bestie im Himmel. Und jetzt kamen die feindlichen Krieger aus dem Fluss. Einige hatte die Strömung zwar mit sich gerissen, doch noch mehr hatten das Inferno überlebt und machten jetzt Jagd auf jene von Heleds Leuten, die sich hatten retten können.
Die Schlacht entglitt ihm. Diese Erkenntnis überrollte ihn wie Eis. Fassungslos sah er sich um, dann stolperte er vorwärts.
"Malehlti! Malehlti!"
Sonst würde seine Fuchsstute ankommen. Wo war sie? Wieso hörte sie nicht? Sein Blick mied den verkohlten Leib im Gras, mit verdrehten Hufen.
"Malehlti!"
Eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Heled wirbelte herum und riss Bronzeglut hoch, parierte den Schlag. Silberzorn tanzte in seiner anderen Hand, schlitzte den Feind auf, der mit weit aufgerissenen Augen zur Erde sackte.
Er konnte nicht klar denken, dabei konnte er sich immer auf seinen Verstand verlassen. Er wusste nur, dass er ohne ein Reittier nicht gegen mehrere Gegner zugleich bestehen konnte, doch nun viel zu viele zu ihm kamen. Männer, die vor Zorn brüllten, die ihn erkannt hatten, die Namen riefen, die er kannte.
Hiskijar. Ìsiven. Heled.
Sie wollten ihn tot. Woher ihre Rachsucht wohl stammte? Er riss die Säbel hoch, schwang sie verzweifelt gegen die Angreifer. Panik ließ sein Herz höher schlagen. Es war falsch, alles falsch! Er brauchte ein Pferd. Er brauchte den Überblick über das Gelände, über die Schlacht und die überlebenden Soldaten, um einen Plan zu formen. Doch ihm wurde keine Zeit zum Denken gelassen. Klingen kratzten über das gehärtete, mit Kettengliedern verstärkte Leder seiner Rüstung.
Dann stieß ihn etwas in den Rücken, warf ihn zu Boden. Er hatte den Angreifer nicht einmal bemerkt, war zu unachtsam geworden. Jetzt lag er mit der Wange im Dreck.
"Holt die Fesseln!"
Wieder überlief es ihn eisig kalt. Sie wollten ihn nicht töten? Ein Tod in der Schlacht wäre seine Rettung gewesen. Der letzte ehrenvolle Ausweg. Selbst jetzt, das Gesicht im Dreck, fürchtete er das Schwert weniger als das, was die Folter aus ihm machen würde.
Dann folgte ein kurzer Schmerz, und alles wurde schwarz.
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<3> Der Kerker
Er hatte sich die Nase schon einmal gebrochen. Das war nicht genug, um ihn aus der Ruhe zu bringen. Schlimmer war die Zelle. Ein enger Raum, kaum drei mal drei Schritte weit, mit feuchten, schimmelbedeckten Wänden. Er zitterte vor Kälte und wünschte, er könnte diese menschliche Schwäche ausschalten. Was würde erst passieren, wenn sich Hunger und Durst regen würden? Er wollte nicht in einen Zustand fallen, wo er seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle hatte.
Er hasste es auch, dass er zusammenzuckte, als der Mann so stürmisch hereinkam, dass die Eisentüre scheppernd gegen die Wand schlug. Statt sich mutig der Folter zu stellen, wich Heled zu seiner Schande bis an die Wand unter dem schmalen Fenster zurück.
Der Unbekannte war bleich, großgewachsen, hatte rotes Haar und dunkle Augen. Er war schlank und durchtrainiert wie Heled, aber jünger und nicht von Narben gezeichnet.
"Wo sind sie?", brüllte er und packte Heled am Kragen. "Was hast du getan?"
"W-wer?" Er wünschte, seine Stimme würde nicht zittern. Er verachtete diese Schwäche. Innerlich brüllte er sich selbst an, dass er sich zusammenreißen musste. Entschlossen sah er seinen Gegner an, fixierte dessen dunkle Augen. "Von mir erfahrt Ihr gar nichts!"
Das war nicht nur mutig ins Gesicht seines Gegners geschleudert. Er wusste nichts. Schon wie er auf den Hügel gekommen war, versank in einer Wolke des Vergessens. Er hatte sein Gedächtnis schon einmal verloren, aber das hier war anders und es machte ihm Angst.
Doch es war besser, als sich zu erinnern, das wusste er.
"Was hast du mit ihnen gemacht?", fragte der andere wieder und zückte ein Messer. Heled biss die Zähne zusammen, ertrug den Schmerz des Stichs mit einem Knurren und kämpfte darum, das Zittern seiner Beine nicht zu zeigen.
Er musste stark bleiben. Durchhalten. Doch er merkte, wie Schmerz und Angst langsam Besitz von ihm ergriffen. Schleichend, überwältigend, sodass er sich nicht wehren konnte.
Sollte der Tod doch endlich kommen, dachte er grimmig. Sollte er ihn erlösen aus diesem Albtraum, aus dem es kein anderes Erwachen gab.
"Was hast du mit ihnen getan?", fragte der Fremde wieder.
"Ich weiß nicht ... von wem du sprichst", brachte Heled hervor. Widerstrebend, war es doch eine versteckte Bitte um Gnade. Eine Schwäche.
Er war schwach.
"Doch, das weißt du", sagte der andere mit einem süffisanten Grinsen. "Deine Frau, Heled."
Kälte und Flammen. Sie spülten durch seinen Körper wie ein Kampf der Gezeiten.
"Deine Frau, dein Sohn, deine Tochter."
Schwärze tanzte vor seinen Augen. Die Welt drehte sich, schwankte.
"Du erinnerst dich doch an sie, nicht wahr?"
Gesichter in der Schwärze. Sie starrten ihn an, lachten auf ihn herab.
"Was hast du getan, Heled? Warum hast du sie getötet?"
"Nein!", rief er. Wimmerte. Weinte. Wie ein Kind weinte er, wieder und wieder. "Nein! Bitte nicht! Bitte!"
"Warum mussten sie sterben?" Eine unsichtbare Macht schüttelte ihn. Die Stimme brüllte ihn an, fragend, herausfordernd.
Eine vertraute Stimme.
Seine Stimme.
Heled presste die Hände vor das Gesicht. Alles war vergessen, seine Stärke, sein Stolz. Er erkannte, was er wirklich war: Mörder, Verräter, ein gebrochener, schwacher Mann, der keinen Ausweg mehr finden konnte.
Sein Verstand, der ihn so lange gerettet hatte, ließ ihn nun im Stich.
Er wartete auf den Todesstoß, der niemals folgte. Diese Gnade gönnte ihm sein Folterer nicht.
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Der Knochenknurpsler tritt neben Lima. "Du kannst den jetzt wiederhaben."
"Den? Der ist nur noch ein Häuflein Elend."
"Hm ... Wo du recht hast. Warte, ich schmeiße den Klongenerator an. Dann kriegst du einen Heled, der wie neu ist!"
Die Historikerin wandert dem dunklen Wolf nach. "Und der alte Heled?"
"Der?" Der Knochenknurpsler wedelt abwinkend mit dem Schweif. "Ist doch unterhaltsam! Ich setze ihn in eine Endlosschleife und stelle ihn in meinem Sumpf aus. Was sagst du?"
"Also ..."
"Ist egal." Der Albtraumwolf grinst - oder jedenfalls zeigt er die Zähne. "Der Vertrag gilt auch nach vier Jahren noch!"