Was das wieder für ein Mist war.
Mühsam nur bekam er die Augen auf, presste die Lider doch lieber noch ein zweimal aufeinander.
Immerhin.
Auf blieben sie jetzt.
Ihm brummte der Schädel, was von den Außengeräuschen, die in Wellen zu ihm hineinfloßen, nicht besser wurde.
Auf was lag er denn überhaupt? Tastend eruierte er steinerne Platten und Sand. Das Reibeisengefühl in seinem Rücken war eine logische Folge. Es gelang ihm, Konturen auszumachen, denn durch die Ritzen der miserabel gezimmerten Bretterbude, in der er sich aufhielt, floss das Sonnenlicht honigfarben in Scheiben. Draußen das Kinderlachen. Erwachsene Stimmen und das allgegenwärtige Meer.
Wie, zur Hölle, war er hier reingekommen?
Er sank zurück, versuchte, die Erinnerungen zu packen, die in seinem Hirn hinter der Watte lauerten. Geräusche. An die Geräusche erinnerte er sich zuerst.
Lachen, vielstimmiges Durcheinanderreden, Musik, Ostia Lido, Grande Spettacolo, die Sommerhits des diesjährigen Ferragosto, und die Einweihungsparty der American Bar.
Grundgüter Himmel, seit Menschengedenken hatte er nicht mehr so wild gefeiert. Dem Alkohol hatte er sich schon hingebungsvoll gewidmet, als ihn dieser Typ angequatscht hatte. Ein seltsam gefärbtes Getränk in einem Cocktailglas mit Schirmchen hatte er mitgebracht und ihm kumpelhaft auf die Schulter geklopft. Irgendwas gefaselt hatte er. Von einer Frau, die ihn nicht beachtete, und dass es ihm das Herz brach. Wer bin ich, dachte er, Dein Seelsorger?
Er erinnerte sich vage daran, wie er gedacht hatte, dass man das dem Mädchen nicht übel nehmen durfte. So wie der Kerl aussah. Eine Mischung aus Chewbacka und einem Hobbit. Zu klein, zu viele Haare, Letztere an den unmöglichsten Stellen. Hinten aus dem Shirt ragten sie raus, aber auf dem Kopf hatte er keine und dann diese schiefe Fresse. Er lachte trocken auf. Sofort wurde ein heftiges Husten daraus. Es schüttelte ihn mächtig und seinen Schädel wirbelte das tüchtig durcheinander. Okay, das hier war nicht sein bester Tag, bei Gott nicht. Er würde nun hinausgehen, in die grelle Sonne und sich gen Yacht schleppen, die unten im Hafen lag. Oder sich ein Taxi dorthin nehmen. Er tastete an sich herum, fand nichts in seinen Hosentaschen, nicht mal seine Hosen, geschweige denn die Beine. Seltsam taub fühlte er sich, aber das Handy fand er neben sich auf dem Boden. Als er sich hochschraubte, schwindelte es ihn gewaltig.
Er packte sich an den Kopf.
Und griff ins Leere:
Nein!, dachte er, bitte nicht.
Vorsichtshalber befühlte er das ganze Areal, in dem sich irgendwo sein Kopf befinden musste, aber da war nichts. Gereizt spannte er den Mund.
Draußen hämmerte jemand wie wild an der Holztür „Quanto Tempo ci vuole, eh?!“ An der Tür wurde gerüttelt. „Apri! Cazzo!“
Das die Leute immer gleich so ausfallend wurden. Zu antworten ergab keinen Sinn. Niemand würde ihn hören. Also schleppte er sich müde zur Tür, schob den Riegel zur Seite. Sofort glitt diese ungeduldige Person durch ihn hindurch in die Umkleide. Ohne sich zu wundern, dass niemand darin war, der jetzt raus kam, aber er hatte schon lange Ehrfurcht vor der menschlichen Blödheit. Die grelle Sonne peitschte ihn. Nur weil er keinen Körper mehr hatte, hieß das ja nicht, dass er unempfindlich war. Aber der von der See als Brise kommende Wind kühlte seine Sinne und brachte ihn nach dieser Wirrnis ganz zu sich. Er nahm sein Handy und suchte nach ihm. Stellte den Kontakt her.
Es läutete lange. Er stand, überlegte. Hinter sich die hölzernen Umkleiden und die Strandbar, aus der Musik dröhnte. Sono un arrogante...lalala. Jaja, wird ihm auch immer vorgeworfen. Wegen seines Aussehens.
Sehr witzig.
Jetzt.
Wo er nach gar nichts aussah.
Zwischen ihm und dem Meer die in Reih und Glied aufgestellten Mietliegen mit Schirm, was ihn wieder zu diesem Drink zurückbrachte. So ein Arsch!
Vorne, die Füße umspült von Schaumkronen turtelte eine ansehnliche Brünette mit einem 185-cm-Kerl, 85 Kilo, nur Muskeln, von der sehnig schlanken Art. Der Typ warf lachend den Kopf zurück, als sie mit zartem Füßlein Wasser zu ihm schaufelte, das ihn nur bis zur Hüfte erreichte. Ihr Lachen perlte rüber. Der Glückspilz drehte sich um. Schob mit selbstbewusster Geste sein dichtes blondes Haar nach hinten. Wegen des Salzgehalts blieb es ihm keck im steilen Winkel nach oben stehen.
Scheiße, Leandro, geh dran.
„Pronto?“
„Na, endlich, was machst Du? Bist Du im Nirwana oder was?“
„Warum so gereizt? Ich habe mit der Crew die Tour nach Ponza besproch..“
„Es ist schon wieder passiert“, spuckte er mit einer Spur Wut aus, die in erster Linie ihm selbst galt.
„Was denn?“
„Na, was? Mir hat schon wieder so ein Klappspaten den Körper geklaut. Wenn Du sofort herkommen könntest.“
„Weißt Du, wo er hin ist?“
„Klar, er turtelt hier mit einer schlanken Brünetten.“
„Wo bist Du?“
Davide drehte sich um, schaute über die Straße. „Direkt gegenüber von der neuen Bar. Am Strandabschnitt Voglio di Mare.“
„Jedes Mal, wenn Du zu viel trinkst...“
„Dazu gehören immer zwei“, fuhr er seinem Freund erregt dazwischen, „ihm muss eine der Beta-Hexen geholfen haben. Von selbst kann das so ein Waschlappen nicht.“
„Schon gut. Ich bin gleich da. Ich nehm den Maserati.“
„Und Leandro, vergiss das Gerät für die Reinkarnation nicht.“
Darauf blieb Leandro ihm die Antwort schuldig. Er konnte sein eingeschnapptes Gesicht förmlich vor Augen sehen. Trotzdem. In Rio, hatte Leandro den Kasten vergessen und sie waren zwei Stunden mit einem Schwachkopf in seinem Körper durch die Favelas geirrt. Die blauen Flecken und Schürfwunden, die der Vogel sich bei den vergeblichen Fluchtversuchen zugezogen hatte, waren nach dem Wechsel dann die seinen gewesen. Höllisch weh getan hatte das.
Unten rannte der Mistkerl hinter dem Bikinimädchen her, umfasste es in der Hüfte und schleppte es ins Wasser. Strampelnd und lachend ließ sie sich nieder werfen. Der Kerl stürzte hinterher.
Genieße es, dachte Davide, genieße es, solange Du es noch kannst.