Langsam begann ich, mir Sorgen zu machen.
Das gestand ich mir ein, als ich mit schlappenden Sandalen im Atrium meines Hauses auf und ab latsche und nicht wusste, wie ich herausfinden konnte, wo Markus steckte.
Er war mein bester Freund, der eine unter vielen, auf den man sich uneingeschränkt verlassen konnte. Der, den man vor sich stehen haben wollte, wenn man sich einer Legion Feinde gegenübersah. Es war alles andere als typisch für ihn, mich so lange warten zu lassen.
Ich hielt inne und lauschte, aber in der Ferne waren nur die gedämpften Geräusche der Stadt zu hören. Das Gehör war dieser Tage das wichtigste Sinnesorgan, das einem das Leben zu retten vermochte.
Vage schüttelte ich für mich selbst den Kopf und marschierte auf das Bad zu, aus dem das enervierende Kichern meiner Schwester und das scheue der Badeskalvin drangen.
„Verzeihung“, räusperte ich mich in der Tür.
Annias fein geschnittenes Gesicht ragte aus dem dampfenden Wasserbecken. Die Löckchen kleben ihr feucht am Kopf. Zuerst war ihr Antlitz verdutzt, dann wedelte sie mit der Hand, hielt sich am marmornen Rand fest und stützte ihr Kinn auf die Handrücken. „Milo“, sülzte sie, „mein Lieblingsbruder. Was gibt es denn?“
Meine Augen huschten zu der verschüchterten junge Griechin, die mit einer kleinen Amphore Badeöl neben dem Beckenrand kniete, und zu Boden blickte. Normalerweise waren Sklaven für uns so etwas wie gehörloses Inventar, aber seit dem Spartakusaufstand herrschte eine Atmosphäre latenten Misstrauens, das von den Eltern an die Kinder weitergegeben wurde.
Ich entschied, das Mädchen zu ignorieren, und kam zur Sache. „Hast du eine Ahnung, wo Markus ist?“
„Ich?“, sie zog einen Flunsch, „Wie kommst du darauf, dass ich..“
„Annia“, entgegne ich gereizt, „es ist nicht nötig, vor mir die tugendhafte Patrizierin zu spielen. Jeder weiß, dass ihr ein Paar seid. Wir sind verabredet. Er wollte mich mitnehmen zu einer Demonstration.“
Sie verengte die Augen. „Demonstration?“
„Demos. Das Volk. Wir wollten zum Forum....“
„Gegen was denn?“ Sie löste sich vom Beckenrand und glitt auf dem Rücken im Wasser umher. Sie wusste genau, wie wenig sich das gehörte, aber was scherte es uns?
Gegen was denn war eine gute Frage. Wenn ich das wüsste. Eine große Rolle spielte das nicht, weil es immer einen Grund für Demonstrationen und Straßenschlachten gab. „Das hat er nicht gesagt. Er meinte nur, Caesar plane etwas, womit man nicht einverstanden sein dürfte, und ließe es heute von der Rostra verkünden.“
„Ooh!“, sie schnalzte mit der Zunge, „Und woher will er das wissen? Es ist ja nicht so, dass wir bei den Juliern ein und ausgingen.“
„Er hörte es von Decimus.“
„Dieser angeheiratete Neffe Caesars?“, sie lacht glockenklar, „ein Hübscher. Aber irgendeinem Angehörigen Caesars zu trauen, ist nicht ratsam.“
„Das mag sein, aber wir sind über die Parteigrenzen hinaus Freunde“, gab ich gereizt zurück und ging zurück ins Atrium. Es war hoffnungslos. Annia interessierte sich außer für Tratsch und orientalische Schminktechniken für gar nichts.
Ich wickelte meine Toga um mich, verstaute ein Kurzschwert darunter und beschloss, selbst nachzusehen. Das Wetter war traumhaft und lud ohnehin zu einem Spaziergang ein. Ich war schon beinahe am Forum, als mir Gnaeus über den Weg lief und winkte. „Mein Lieber“, seine blauen Augen blitzen mich an, „ich habe den halben Vormittag auf Markus gewartet. Wir waren zu einer Demo verabredet.“
„Geht mir genauso“, mit einem Klumpen Besorgnis im Magen schlenderten wir nebeneinander über das holprige Pflaster auf die Ansammlung von Denkmälern zu, die schon zu meiner Zeit obsolet waren, „weißt du, um was es ihm geht?“
Ich musste an ihm hochsehen, weil er mich bald um eine Haupteslänge überragte. An Statur, Haar und Augenfarbe mochte er einem Unbedarften wie ein Germane vorkommen, aber nichts lag ferner. Als Cornelier und Enkel Sullas gehörte er einer der ältesten römischer Patriziergeschlechter an, worauf die elfenbeinenen Halbmonde seiner Sandalen diskret hinwiesen.
Mittlerweile hatten wir das Forum erreicht, auf dem es von Bürgern nur so wimmelte. Wir begegneten zahlreichen Bekannten aus dem ein oder anderen Lager, hoben die Hand zum Gruße oder riefen Glückwünsche zu, die die Erhebung in ein neues politisches Amt betrafen.
Der Senat schien nicht zu tagen, was mir recht war, da ich kein Amt innehatte, das es mir erlaubte, im Gebäude nach Markus zu suchen. Ich schielte zu Gnaeus, dessen Augen auf den Zelten der Hexen hefteten, die eine unsortierte Ansammlung am Rande des Forums bildeten.
Vor der Rostra hatte sich eine Menge Volk versammelt, das Decimus tragender Stimme lauschte, die von Wochen und Monaten faselte. Dabei wies er immer wieder mit einem Stab auf eine mitgebrachte bemalte Tafel und schien sich in Rage zu reden. Die Menge, einfache Bürger, Lumpenpack und Senatoren, geriet in immer größere Aufregung. Das Tuscheln wurde zu Gebrüll. Einer stürmte die Rostra hoch und nahm Decimus am Kragen, was seine Toga Praetexta in ziemliche Unordnung brachte. Gnaeus und ich wechselten einen Blick und rückten auf. „Was ist hier los?“, zischte ich einem Glatzkopf vor mir zu.
„Neuer Kalender“, nuschelte er, „Tickt nicht sauber, dieser Caesar.“
„Die Saturnalien!“, brüllte einer, „Wenn der neue Kalender schon morgen mit Januar anfängt, gibt es keinen Dezember!!“
„Dann fallen die Saturnalien aus!“, griff ein anderer mit puterrotem Gesicht auf.
Die Menge wogte nach vorne. Decimus bewaffnete Sklaven schoben sie ein Stück zurück.
„Scheiße“, Gnaeus spie zu Boden, „Ich muss die Spiele für meines Vaters Beerdigung im Dezember ausrichten.“
Meine Brauen schossen in die Höhe. „Das wird dann anscheinend erst in ein paar Monaten sein.“
„Ich füttere die Löwen kaum monatelang durch“, grunzte er.
„Und die Mieten?“, kreischte ein anderer und fuchtelte mit der Faust in der Luft, „Ich muss Miete für einen Monat bezahlen, der weniger Tage hat als ein anderer?“
„Verstehe“, nickte ich, „kein Wunder, dass Markus eine Demo hiergegen inszenieren wollte.“
„Ist ja nicht nötig. Die Idee ist auch so schwachsinnig genug, dass aus dieser Ansammlung schon noch eine Demo wird“, Gnaeus zuckte mit dem Daumen zur aufgebrachten Menschenmenge, „Decimus ist schon ganz blass.“
Ich nickte und hatte eine Idee, wie ich den Zorn vom Überbringer der Nachricht fort lenken konnte. Die Frage wo Markus war, machte mir die meiste Sorge, aber Decimus war ein Freund, dem es zu helfen galt.
„Es ist Kleopatras Schuld“, sagte ich halblaut genug, dass es sofort von einem Umstehenden aufgegriffen wurde: „Es ist die ägyptische Hexe!“
Der Schrei brachte das Fass zum überlaufen. Sofort bildeten sich Gruppen und aufgebrachtes Schimpfen brach sich Bahn. Aus mehreren Trauben wurde eine, die sich in die Richtung aufmachte, in der ihr Haus lag. Als sich der Wurm in Bewegung setzte, warf ich einen Blick auf Decimus, der in Schweiß gebadet auf der Rostra mit Hilfe eines Leibsklaven die Papiere einrollte. Unsere Blicke trafen sich. „Ich nehme an, das ist dein Werk?“
„Kein Grund zum Dank!“, rief ich nach oben, „Wir suchen Markus. Er wollte hier sein.“
„Sie werden ihr Haus in Brand stecken“, meinte er lakonisch, als er die Stufen runter schritt und mit einer Schriftrolle an seinen Oberschenkel klopfte.
„Kaum. Sie hat genügend Wachen. Hast du Markus gesehen?“
Die Art, wie er sich in die Nase kniff, hätte mich nachdenklich machen sollen, weil es seine Art war, schlechte Nachrichten hinauszuzögern. Dann sah er mich unverwandt an. „Du hast es nicht gehört?“
„Was?“ Gnaeus drängte sich mit in die Hüften gestemmten Fäuste zwischen uns.
Decimus atmete einmal scharf ein und griff ihn dann an den Oberarm. „Tut bitte nichts Unbedachtes. Aber es heißt, er wäre in eine Schlägerei geraten. Heute früh.“
„Wer?“, ich verengte die Augen. Eine Antwort war im Grunde nicht nötig. Aber er gab sie. „Clodius“, er kaute auf der Unterlippe, „Wer sonst.“
Klar. Wenn Niedertracht einen Namen hatte, dann Publius Clodius Pulcher.
„Ist er...?“, hauchte Gnaeus und im Augenwinkel sah ich Decimus die Schulter heben.
„Keine Ahnung“, grollte er, „Es heißt, sie haben ihn mitgenommen. Du weißt ja, wie Clodius ist.“
Die Wut krallte sich in mir fest. Ich machte einen Schritt aus dem Pulk, den wir bildeten, hinaus. Ohne zu wissen, was ich suchte, sah ich mich um. Vor dem Senatsgebäude tagte ein Gericht, wie es bei schönem Wetter üblich war, im Freien. Drumherum hatte sich eine Menge Zuhörer gebildet, die sich nicht für Monate und Wochen interessierte, und die bereits eifrig diskutierte. Der niederste Pferdeknecht wurde bei so etwas stets zum Rechtsverständigen, aber dafür hatte ich weder Ohr noch Auge. Neben dem Zelt einer Strega schlich sich ein Typ herum, der mir vage bekannt vorkam. Ich zog die Brauen zusammen und fixierte ihn.
„Das ist doch..“, stieß Gnaeus aus und preschte los, auf ihn zu. Eine Sekunde stand der Knabe still, dann flitzte er wie um sein Leben. Es sollte ihm nichts mehr nützen. Wie Gnaeus hatte ich die Verfolgung aufgenommen.
Wir rannten, was in einer Toga fast ein Ding der Unmöglichkeit war.
Stießen Männer und Frauen und um, machten Schlenker um Sänften, zogen Verwünschungen auf uns und lauschten unserem eigenen keuchenden Atem, bis dieser Kumpel Clodius‘ in einer Seitengasse verschwand. Wir mussten ihn erwischen, wenn wir erfahren wollten, was aus Markus geworden war, und so, wie er sich benahm, würde er es uns sagen können.
Keinen anderen Grund gab es, vor uns abzuhauen.
Eine Weile machte er ordentlich Meter.
Römern war der Anblick eines Mannes, der um sein Leben rannte, vertraut und sie wussten, dass sie es zu ignorieren hatten. Es sei denn sie gehörten selbst irgendeiner Partei an.
Der Schwachkopf geriet erst an einem Verkaufsstand ins Straucheln. Rempelte gegen eine Gruppe, die an einer Fressbude ihre Schüsseln mit dampfendem Fischeintopf in Empfang nahm. Stürzte vornüber, als ihm einer der Männer ein Bein stellte. Schnell war ich bei ihm, schlitterte mit den Knien voraus auf seinen Brustkorb, ehe er sich aufrichtete, zerrte sein Haar nach hinten und zischte: „Wo steckt Marcus?“
„Äh“, er zappelte, ich versetzte ihm einen Kinnhaken im donnernden Applaus der Umstehenden, die sich nie irgendeiner Seite zugehörig fühlten. Die Leute hatten sich derart an die Straßenkämpfe gewöhnt, dass sie nur noch ein Schauspiel mit höchstmöglichem Unterhaltungswert waren. Blut sickerte aus der Nase dieses Idioten. „In einer Taverne“, ächzte er, „Auf der Via Apia.“
„Bring uns hin.“
Wie immer in Rom hatte sich herumgesprochen, dass die beiden Lieblingsfeinde der Stadt einen Grund gaben, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, und einige meiner Freigelassenen waren aus den stinkenden Winkeln geschlüpft. In einer stetig wachsenden Schar muskelbepackter Männer marschierte ich los, kam aber nicht einmal in die Nähe der Via Appia, denn unversehens stand er plötzlich da.
Clodius.
Umringt von Leuten seiner Truppe, mit einem hämischen Grinsen und meinem besten Freund am Kragen, oder besser, dem, was von Marcus übrig war. Ich ahnte nicht, ob er noch atmete, machte einen Schritt nach vorn, doch Gnaeus hielt mich fest.
„Ich wollte dir eben was vor die Haustür legen“, geiferte Clodius und ließ Marcus los, der sofort wie ein Bündel Stroh zusammen sackte.
„Clodius“, höhnte ich, „Du weißt doch, dass du mir jederzeit deine Aufwartung ohne Geschenke machen kannst.“
Er lachte dreckig, zuckte mit dem Kinn in meine Richtung und schnaubte: „Macht sie fertig.“
Innerhalb weniger Sekunden verkeilten wir uns zu einem Knäuel aus Schlägen, Schnaufen, Schweiß und Blut, in dem ich zuerst vergeblich versuchte, Clodius auszumachen.
Voller Wut suchte ich in dem Gewirr zappelnden Gliedmaßen nach seiner arroganten Fresse. Es dauerte genau einen Erstochenen und einen gebrochenen Kiefer, bis ich ihn hatte.
Besser, er hatte mich.
Mit einem wütenden Zischen kam ein Kurzschwert auf mich zu gerast, das ich im letzten Augenblick mit meiner Stichwaffe abwehrte. Ich zielte auf sein Herz, aber er duckte sich und rammte mich wie ein Rammbock, umklammerte mich mit beiden Armen in der Hüfte.
Wir legten einen Tanz hin, der sich drehend Freiraum schuf. Krampfhaft versuchte ich, zu verhindern, dass er den Schwertarm freibekam, während er sich darauf konzentrierte, mir ein Ohr abzubeißen.
Der Typ war wahnsinnig, das hatte ich schon immer gesagt.
Mir gelang ein Stoß in seine Weichteile. Er quikte wie ein Schwein, seine Arme erschlafften und ich sprang von ihm weg. Ich bemerkte, dass außer uns keiner mehr kämpfte. Gnaeus kniete, umringt von meinen Leuten, neben Markus, aber ich konnte nicht ausmachen, ob der noch am Leben war.
Dazu hatte ich keine Zeit, der Schwachkopf sprang wieder auf mich zu. Flott verpasste ich ihm einen Schlag gegen die Schläfe, der ihn taumeln ließ. Er fiel auf den Bauch. Ich setzte mich auf seinen Rücken, packte sein störrisches Haar, setzte eben die Klinge an, um ihm genüsslich die Kehle durchzutrennen, als sich vor mir jemand räusperte.
Ich sah auf.
Vor uns stand der Prätor, gewissermaßen der Polizeipräsident, flankiert von seinen Liktoren. Die Luft war zum Schneiden. Ein Blutstropfen rann mir ins Auge. Ich blinzelte ihn weg. Kaum merklich sah ich ihn den Kopf schütteln. Und doch...
In weniger als der Dauer eines Wimpernschlages rasten die Feste, die ich mit Markus gefeiert, die Huren, die wir uns geteilt, und die Schlachten, die wir geschlagenhatten an mir vorbei.
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52 vor Ch. (Leider weiß ich nicht, ob sich die Caesarische Kalenderreform genau in diesem Jahr abspielte, aber sie drängte sich geradezu auf)
Titus Annius Milo gehörte zu den Anhängern des Pompeius und organisierte Söldnerbanden, um die Sache des Senats durch Gewalt gegen Publius Clodius Pulcher zu vertreten. P.C. Pulcher war der Anführer der Schlägertruppe, die Caesar und seine Anhänger gegen Pompeius und den Senat vertrat.
Die beiden rivalisierenden Banden trafen 52 vor Christus auf der Via Apia zufällig aufeinander, wobei Clodius getötet wurde.
Wir wissen nicht, was Auslöser des Totschlags war. Jedenfalls ist mir außer persönlichem Hass kein Grund bekannt.
Ich habe einen erfunden.