Zuerst überwältigte mich die schwüle Hitze. Messerscharf schloss ich auf ein Tropenhaus und war sicher, die botanische Neuentdeckung stammte aus Südamerika.
Die Hände hatte ich so tief in die Taschen meiner Chinohosen versenkt, dass der Bund mir auf die Beckenknochen gerutscht war. Ich fühlte den Schweiß auf der Stirn perlen und fragte mich, wo Lina war. Und da lief ich auch schon in sie hinein.
„Hast du gesehen“, ich zuckte mit dem Daumen zum Eingang, „dass unter Betreten verboten steht, dass Zuwiderhandlung auf eigene Gefahr wäre?“
Sie blinzelte. „Echt?“
„Gibt es nicht fleischfressende Pflanzen?“, ich schenkte ihr ein hintergründiges Grinsen, „Wahrscheinlich kommt gleich eine Liane auf dich zugekrochen.“
Natürlich glaubte ich nicht ernsthaft an solche Dinge, aber zanken konnte ich ja mal.
„Hör auf, so einen Unsinn zu reden, und sieh dir das an.“
Ich gebe zu, was ich bisher gesehen hatte, war bezaubernd, aber nicht sonderlich bemerkenswert. Stauden und Pflanzen, wie sie in jedem Tropengewächshaus zu finden waren, einschließlich kleiner Bäume, bespickt mit bunten Orchideen. Ich hörte das Klimagerät summen, dass hier für die korrekte Temperatur sorgte und gelegentlich ein Knistern und Knacken, das mich nicht beunruhigte. Es wäre verhext, wenn es hier keine Mäuse gäbe.
Aber nun folgte ich ihrer Hand, mit der sie präsentierte, was vor uns lag. Inmitten des buntbespickten, großblättrigen Grün war ein Hügel. Ein Hügel, bedeckt mit grellgrünem Pflanzendickicht, darin, wie blutrote Punkte, abertausende roter Blüten, alle in der gleichen Form. Nur an wenigen Stellen war die Erde zu sehen, die tiefschwarz schimmerte wie Klavierlack.
Tropfen, kam mir in den Sinn, Blüten wie Blutstropfen. Ein ungutes Gefühl überkam mich.
„Okay“, sagte ich, „so spektakulär ist es wieder nicht. Können wir gehen?“
Ich langte nach Linas Schulter, aber sie war mir entwischt. Kniete vor der Abgrenzung des Hügels und ließ etwas Erde durch ihre Finger rieseln.
„Lina?“
Sie drehte sich nicht einmal um. Der ganze Hügel strahlte etwas Bedrohliches aus, aber sie kam aus der Hocke und machte mit seltsam verklärtem Blick einen Schritt in das Grün. Ihre ersten Schritte waren zögernd, erforschend. Ich rückte ein Stück daran. „Lina, ich glaube, es ist keine gute Idee, hier alles kaputt zu trampeln.....“
Mitten im Satz hielt ich inne und lauschte. Ein Summen kam heran. Ich warf den Kopf hin und her, mein Pferdeschwanz flog von links nach rechts, doch da war nichts. Das Geräusch kam vom Hügel, auf dem Lina nun selbstsicher voranschritt.
Verdammt hörte sie das denn nicht?
Wahrscheinlich nicht, denn das Geheimnis meiner Herkunft stattete mich mit hochsensiblen Sinnen aus.
„Jana!“, schrillte sie plötzlich.
Ich stürzte vor, in das Grün, verlor den Halt und robbte auf den Knien nach vorne, wo ich sie auf den Boden geworfen fand. Auf dem Bauch liegend versuchte sie, sich von irgendetwas zu befreien.
Zuerst war mir unklar von was, bis ich sah, dass ihre Beine umschlungen von lianenartigen Trieben der Pflanze waren.
Heilige schieße!
Ich kroch zu ihr, umklammerte die Schlingen und versuchte, sie auseinander zu zerren. Mir hämmerte das Herz gegen die Brust wie eine Kriegstrommel, was sich verschlimmerte, als ich sah, wie sich für jede auseinandergerupfte Liane eine neue um Linas Arme und Beine wickelte.
„Jana“, hilf mir“, wimmerte sie kleinmädchenhaft und ruderte mit den an den Körper gewickelten Händen. Langsam schlängelten sich immer mehr Ranken heran, die roten Blüten erschienen mir wie Augen.
Lina versuchte, sich aufzustemmen, aber das Grün hielt sie auf dem Boden fest, wollte sie begraben.
Du liebe Güte, mir würde es auch bald so ergehen. Aber noch sah ich keine Schlinge, die sich auf mich zu bewegte. Eilig riss ich eine Liane nach der anderen von ihr runter. Ich rupfte und zog wie von Sinnen, hörte meinen keuchenden Atem. Lina jammerte immer eindringlicher.
Es lebt, dachte ich, es lebt, aber nicht auf die Art, wie Pflanzen sonst lebten.