Eigentlich sollte ich die Polizei rufen, aber das war gar nicht meine Art.
Ich zückte das Handy und rief zuhause an. Es war Davide, der dran ging.
„Jana, meine Schöne. Du hast das Familientreffen überstanden“ seine Stimme verursachte das altbekannte Kribbeln in meinem Inneren, das ich davon schickte, „wolltest du nicht schwimmen gehen?“
„Das ist es ja eben“, zischte ich, halb geduckt an die Mauer gelehnt. „Hier gehen eigenartige Dinge vor.“
„Bitte werde etwas konkreter.“
Ich verzog den Mund gereizt, was er nicht sah. Mir wurde klar, warum ich Leandro mehr liebte.
„Du willst es konkreter? Meinetwegen. Ein Typ, der aussieht, wie ein Preisboxer im Ruhestand, bedroht die Bademeister und Besucher mit einem Rechen und einer Waffe, derweil eine blondbezopfte Frau in aller Gemütssruhe im 25-Meter-Becken ihre Runden zieht. Seltsam genug?“
„Heilige Scheiße.“
„Die ist nicht mal bei uns heilig, Davide. Wir brauchen eine Lösung. Die Leute drehen bald durch.“
„Ich bin unterwegs.“
„Ja, aber bitte nicht zu auffällig.“
Ich kaute nach dem Gespräch eine Weile auf der Unterlippe herum und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Ich wünschte, Leandro würde kommen. Davide hatte einen Hang zum Drama und vor allem zur Inszenierung.
Auf der anderen Seite kannte er allerlei Leute aus allen möglichen Dimensionen.
Ich entschied, an der Mauer sitzen zu bleiben. Die Gefahr, durch die Gitterstäbe von diesem Schwachkopf mit der Waffe entdeckt zu werden, erschien mir zu groß. Mit angewinkelten Beinen hockte ich da, verzichtete auf eine weitere Zigarette und wartete. Ab und zu gellte panisches Weinen über das Gemäuer, gefolgt von beschwichtigenden Worten.
Es schien mir durch und druch absurd, was sich hinter der Mauer abspielte. Als ich Davides Sportwagen herannahen hörte, stieß ich mich vom Boden ab und rannte ihm entgegen.
Nur, um einen halben Meter vor ihm abzubremsen.
So überwältigend sah er mal wieder aus.
Mir wurde bewusst, warum die Beta-Hexen ihre Ränke spielten, indem sie immer wieder neue Kerle mit dem Aussehen Catwizles überredeten, mit ihrer Hilfe Davide den Körper zu stehle.
Die Hexen, die es ihm nicht verziehen, dass er die Gemeinschaft verlassen hatte, um ein unabhängiges Leben zu führen.
Der Körperklau war ihre Rache, und immer und immer wieder brachte Leandro sämtliche Kräfte auf, um seinen Bruder zurück in den eigenen Leib zu stopfen.
Genaus so hatte ich die Jungs kennen gelernt. Bei der Bundesgartenshow. Leandro, durch und durch vernünftig und nett anzusehen, und Davide, der zu diesem Zeitpunkt in eine fleischfressende Pflanze verwandelt worden war.
Da stand Davide aber jetzt, von der Sonne beleuchtet, die sein kastanienfarbenes Haar wie Herbstlaub nach einem Regenguss leuchten ließ. Das weiße Leinenhemd hochgekrempelt, um sein schmales Handgelenk baumelte das geflochtene Lederarmband, das ich ihm jüngst geschenkt hatte. Er stopfte sein Smartphone in die Hosentasche. Seine Augen leuchteten ein lang bewimpertes Sternenstrahlen, als er mich gewahr wurde und das Haar mit der freien Hand nach hinten schob.
Sein Lächeln war ein schiefes, wissendes und unwiderstehliches.
„Ich hab‘ schon mit einem guten Freund telefoniert“, erklärte er schelmisch.
„Mit wem denn“; ich ließ mich kurz umarmen und hetzte dann zur Mauer zurück, „ich hoffe, nicht wieder mit einem dieser unzuverlässigen Vögel aus dem Norden. Dein Kumpel da baut nur Mist. Er würde alles nur noch schlimmer machen.“
Mir eine Antwort schuldig bleibend, schlenderte er mir nach.
„Sieh`selbst“, forderte ich mit einer Handbewegung.