Er zog sich mühelos an der Mauer hoch. „Ach herrje.“
Er lachte kurz trocken auf und landete wieder auf seinen, in Espadrilles steckenden Füßen.
„Mein Anruf erweist sich als weitsichtig.“
„Was?“ Ich nahm das Haargummi vom Handgelenk und machte mir einen Zopf.
„Wir müssen die Frau aus dem Wasser kriegen?“
„Was?“
„Jana“, er umfasste meine Schultern, und wieder wurde es mir an den unmöglichsten Stellen heiß, „nach was sieht das denn aus?“
„Nach Irrsinn? Schwachsinn? Nach jemandem, der völlig den Verstand verloren hat?“, spitzte ich genervt.
„Nun, meine Liebe, da schwimmt eine Frau. Und der unansehnliche Kerl scheint sie zu beschützen.“
„Das ergibt doch keinen Sinn.“
„Auf den ersten Blick nicht. Und auch auf den Zweiten nicht eben mehr. Aber wenn wir die Frau aus dem Wasser kriegen, schaffen wir eine Situation, die wir vielleicht besser auflösen können.“
Ich seufzte erleichtert. Bei seinem Anblick vergesse ich leider allzu leicht, wie klug er ist.
Allein weil er sein Telefon wieder aus der Hosentasche zog, merkte ich, dass er es auf lautlos gestellt hatte und einen Anruf entgegennahm. Mit wem er sprach, begriff ich erst, als er zu mir sagte. „Angesichts der Lage, hat mein Kumpel seinen Bruder geschickt.“
„Ist vielleicht auch besser so“, schnappte ich leise, da ich ahnte, von wem er sprach „der ist vernünftiger.“
Und da knallte es auch schon. Ein Donner, wie eine explodierende fünf-Zennter-Bombe. Selbst ich, die wusste, wer dahinter steckte, zuckte vor Schreck zusammen.
Davide und ich zogen uns die Mauer hoch und beobachteten genau, was im Schwimmbad vonstatten ging, während über uns der Himmel sich verdüsterte und die Blitze zuckten.
„Eddy!, schrie die Frau im Becken, die ihre Bahnen eingestellt hatte und nun ein Stück auf dem Rücken trieb, „Eddi, ich muss raus! Ein Gewitter!“
Der gedrungene, rotgesichtige Kerl wurde, selbst auf die Entfernung erkennbar, bleich wie ein Laken.
Die zusammengepferchte Menge unter dem Vordach geriet in Bewegung. Geschrei brach los. Einige drängten nach vorne, darunter der junge Muskelprotz, andere fürchteten das Gewitter mehr, als den Mann mit der Waffe und drängten ins innere des Gebäudes. Die Bademeister, unsicher, was sie tun sollten, strebten zu Eddi.
„Lassen sie die Waffe fallen!“, rief einer über das nächste Donnergrollen, „wir müssen ihre Frau raus holen!“
Der Wind nahm stetig zu und über Davide und mir rauschten die Blätter der Esche. „Thor“, konstatierte ich trocken, „Du hast Loki angerufen und der meinte, es wäre eine Sache für seinen Bruder.“
Davide nickte und erklomm die Mauer in Gänze.
„Was hast du vor?“
Statt mir zu antworten, streckte er mir eine seiner schlanken kraftvollen Hände entgegen.
Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel.
Die Leute kreischten. Die Frau im Pool jaulte, und niemand hielt uns auf, als wir uns, Hand in Hand, dem Becken näherten.
Thor machte seine Arbeit verdammt gut und ich bezweifelte, dass er einen Blitz genau in das Wasser niedergehen lassen wollte. Und dennoch: Von Zeit zu Zeit kräuselte sich die glatte Wasseroberfläche, als ob sich in ozeanischer Tiefe ein mysteriöses Lebewesen im Schlaf bewegte.
Die Bademeister glotzten uns fragend an, aber Eddi jagte auf den Beckenrand zu. „Komm raus!“, blökte er seine Frau an.
„Ich habe Angst!“
Eddi legte die Pistole an den Beckenrand, zog das Hemd über Kopf, wobei er eine gewaltige behaarte Plauze frei gab, und stürzte sich in das Wasser.
„So was habe ich schon mal eleganter gesehen“, mokierte Davide und begutachtete dabei seine Fingernägel, ehe er die Waffe vom Boden aufklaubte.
Die Frau schrie, der Donner grollte, schwarze Wolken fegten über den Himmel und Blitze zuckten.
Und die etwa 100 Menschen, die sich vor dem Gebäude mit den Umkleidekabinen versammelt hatten, zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen, viele davon kreischend.
Die Bademeister begaben sich, nach einem skeptischen Blick auf uns, in die Menge. Sie gaben ihr Bestes, um die aufgebrachte Meute zu beruhigen. Ich hörte, wie einige Frauen außer sich vor Wut daneben stehenden fremden Männer vorwarfen, sie, die Gunst der Lage nutzend, unsittlich berührt hatten.
Unerlaubte Kontakte, die in der Situation herangewuchert waren, wie eine fleischfressende Pflanze.
Angewidert runzelte ich die Stirn, und half den Bademeistern, nicht ohne hin und wieder einen Blick auf Davide zu werfen, der ungerührt im Regen stand und die Rettung des Weibes abwartete.
Eine halbe Stunde später saßen wir mit der Polizei im Büro des Bademeisters.
„Ich wollte nur schwimmen gehen“, hickste die mittlerweile in ein Handtuch gewickelte Frau. Ihr Haar war so stark blondiert, dass es ihr wie kaputtes Stroh vom Kopf abstand, „aber das ging ja nicht....“
Eddi betrachtete seine behaarten Beine. „Online anmelden“ spie er aus, „Ham wir immer versucht, aber nie haben wir einen Platz gekriegt.“
„Und da gehen sie hin und überfallen ein Schwimmbad“, der Polizist klang ganz und gar ungläubig, aber ehrlich, ich bin eine Hexe. Ich habe schon Schlimmeres erlebt.
Eddi beugte sich vor, seinen wuchtigen Kopf zwischen die Hände stemmend „War ja nicht anders möglich.“
„Ich wollte doch nur schwihihihmmen“, heulte die Frau.
Ich schielte zu Davide, der wie hingegossen in einem Stuhl lehnte. Als sich unsere Blicke kreuzten, hob er als Aufforderung beide Brauen.
Es war Zeit zu gehen.