„Ich will unbedingt dahin!“
Ich sah auf und direkt in Linas erhitztes Antlitz. Die Wangen rot, die Augen groß, ein Gesichtsausdruck, der kaum Widerspruch duldete.
Ich seufzte und schraubte die Nagellackflasche zu.
Den ganzen Tag war es ungewöhnlich warm gewesen, so als hätte sich der Sommer überlegt, Wochen zu früh zu kommen. So hatte ich den halben Tag im Garten zugebracht, zuerst mit Gartenarbeit, dann zum Relaxen. Schlussendlich lackierte ich mir die Fußnägel. Ein aberwitziges Unterfangen in einem Hängesessel.
„Lina, das ist nur die Bundesgartenschau", versuchte ich sie zu bremsen, "Mir ist das Gewese um diesen einen spektakulären Abschnitt nicht entgangen, aber ehrlich gesagt, kann ich für heute keine Blumen mehr sehen.“
„Mensch Jana“, quengelte sie, „Micha hat schon geblockt. Du bist meine letzte Hoffnung.“
Ich seufzte leise und stieg aus dem Hängemöbel. „Dir ist schon klar, dass geschlossen ist?“
„Ja“, hüpfte sie freudig voraus, „aber der Haupteingang ist offen. Ich bin auf dem Weg zu dir dran vorbeigefahren.“
Sie ließ mir kaum Zeit, in die Schuhe zu schlüpfen, und stand schon an meinem Wagen, als ich träge hinterher geschlufft kam. Im Gehen band ich meine langen dunklen Locken zu einem Zopf, schielte an meiner staubigen Hose runter und dachte, wir würden ohnehin niemandem begegnen.
Wie sehr ich damit einer Täuschung unterlag, würde ich bald am eigenen Leib erfahren.
So brausten wir dahin. Nun ja, zuerst stockten wir durch den Berufsverkehr, aber am Ende lief es auf der Deutz-Mülheimer-Straße immer besser, bis wir die Straße an den Messehallen vorbei in den Rheinpark, wo die Gartenschau stattfand, einen Zahn zulegten.
Ich verstand ihre Neugierde. Lina arbeitete als Botanikerin in einer Baumschule für Bäume und Stauden. Sie liebte ihr Fach. Nichts wäre ihr lieber, als an der Gestaltung der Gartenschau beteiligt zu sein, doch das blieb nur ein Traum. Und seit Tagen wurden wir durch die Medien mit Nachrichten über die ominöse Überraschung im Geheimgarten zu gemüllt.
Als wir den Wagen zwischen großen Bäumen parkten, ging die Sonne unter. Ich wartete, bis Lina ausgestiegen war, dann kramte ich mir eine Strickjacke von der Rücksitzbank und zog sie über. Denn kaum waren die letzten Strahlen erloschen, erinnerte einen das Wetter daran, dass es erst März war. Lina marschierte stramm voraus.
„Es gibt nicht eine Andeutung“, schwadronierte sie aufgeregt, „Nichts. Ein Journalist spekulierte öffentlich, in diesem abgesperrten Bereich würde man eine neue Pflanze vorstellen.“
Ich hechtete hinter ihr her. Auf einem Weg, der zwischen Blumen und Staudenbeeten entlang pflügte, direkten Weges auf das Glashaus zu, das diese geheimnisvolle Attraktion umschloss. „Neue Pflanze“, ich konnte die Skepsis aus der Stimme nicht nehmen, „Eine neuen Rosenzüchtung oder so was kann ja so besonders nicht sein.“
Lina wirbelte herum und ging ein paar Meter rückwärts, um mich ansehen zu können. „Nein, keine neue Züchtung. Eine Pflanze, die es immer schon gab, die aber nie zuvor jemand entdeckt hatte.“
„Das ist äußerst unwahrscheinlich. Auf der Suche nach der Nord-West-Passage hat Franklin so ziemlich jeden Hühnerschiss mit nach England geschleppt. Und auch in die anderen Himmelsrichtungen haben die Engländer Expeditionen...“
„Jana, Mensch!“, ihr Gesicht verzog sich in gespieltem Kummer, „Du bist wirklich schlimm. Es darf ja wohl noch Geheimnisse geben.“
„Bald nicht mehr“, zankte ich und holte ihren Vorsprung auf. Selbstredend durfte es sie geben. Ich hatte eines, mein Leben lang. Vor der hölzernen Brücke, die sich über einen kunstvoll angelegten Teich bog, hielten wir an. Ehrfürchtig deutete Lina auf die direkt dahinter befindliche Tür zum Gewächshaus. Das übrigens überdimensioniert auf mich wirkte. Die Größe reichte bald an die der Orangerie in Schönbrunn heran. Mit blitzenden Augen und in die Unterlippe gekerbten Zähnen schaute sie mich an. „Wollen wir?“
Ich verzichtete auf einen Hinweis auf das Betreten verboten Schild direkt hinter de Brücke und nickte mit einem Anflug von Resignation. Ich linste über das hölzerne Brückengeländer und erhaschte einen Blick auf träge vor sich hin dümpelnde Kois. So entging mir, dass sie durch den offenen Türspalt geschlüpft war. Irritiert hob ich eine Braue, zuckte nur für mich selbst die Achseln und zwängte mich hinterher. Dabei bemerkte ich, dass die Tür mit einem Keil offen gehalten wurde. Ganz eng war der Durchlass. Es wirkte, als wäre jemand hinausgegangen, um etwas zu holen, und würde gleich zurückkommen. Ich nahm mir vor, wachsam zu sein.