Was soll ich sagen? Im Grunde ist die Kurzform: Mein Leben geht den Bach runter. In vielerlei Hinsicht. Die Fragen, die sich daraus erschließen kann ich mir selber nicht beantworten. Ich verstehe es nicht. Das nicht und vieles andere ebenfalls nicht.
Es gibt eine Kleinigkeit die man über Dämonen wissen sollte. Sie haben keine Emotionen. Grundsätzlich nicht. Sie handeln aus Instinkt. Gefühle spielen da keine Rolle. Aber nun…
Wenn die Dämonen jedoch in eine menschliche Hülle schlüpfen, in der noch die Seele des Menschen steckt, kann es unter anderem dazu kommen, dass die Emotionen des Menschen durchsickern. Meist passiert das jedoch nur, wenn der Mensch äußerst starke Emotionen verspürt.
Da ist diese Frau. Angel heißt sie, was witzig ist, denn sie ist tatsächlich ein Engel. Sie ist seit wenigen Monaten auf der Erde, hat sich gerade erst ein Leben hier aufgebaut. Und dann komme ich. Armidor. Der Handlanger des Königs der Hölle. Vor fünf Jahren wurde ich herauf auf die Erde geschickt, um die Arbeit der anderen zu vollenden. Die Demonhunter auslöschen. Punkt 1 auf unserem Plan. Punkt 2. Die Welt einnehmen. Punkt 3. Den Himmel beherrschen.
Als ich Angel gesehen habe vergaß ich alles. Ich weiß nichts mehr von meinem Plan, von der Gefahr in der ich schwebe, von den Legenden. Einzig und allein zählt ihr Blick. Ihre ozeanblauen Augen, die in der Bankfiliale auf meine trafen. Ihre leise gemurmelten Worte der Entschuldung, als sie an der gläsernen Schwingtür in mich hineinlief.
Das ist bereits eine Woche her. Oder sind es zwei? Puh…
Plötzlich fühle ich mich in der Hülle falsch. Dieser Mann. Schwarze Haare, so schwarz wie Ruß. Dunkle Haut, sonnengebräunt und eine ordentliche Größe für einen Mann.
Eigentlich sind dies die perfekten Voraussetzungen, wenn ich ein Menschenswesen wäre. Aber nun. Als Dämon bringen mir diese Kleinigkeiten rein gar nichts.
Mein Magen knurrt laut, im selben Moment klingelt es an der Tür. Seufzend rapple ich mich auf. Eigentlich habe ich keine Lust darauf und ich erwarte auch niemanden. Eigentlich will ich liegen bleiben.
Einen negativen Aspekt hat das Liegen jedoch. Sobald ich die Augen schließe sehe ich ihre sanften Gesichtszüge, die deutlich erkennbaren Wangenknochen. Die Ozeanblauen Augen. Ihr dunkelblondes Haar. Ihre helle Haut, die im Sonnenlicht leicht schimmert.
Es macht mir Angst, dass ihr Gesicht nicht aus meinen Gedanken verwand und noch mehr Angst macht es mir, dass ich ihren Namen weiß. Denn ihren Namen hat sie mir nicht verraten.
Ich drücke die Türklinge hinunter und schob sie auf.
„Guten Tag, Sir!“ Ein freundlicher Mann steht davor und blickt in meine dunklen Augen. „Sie haben eine Pizza bestellt?“
Was? Ich blinzele. Ich habe nichts bestellt gehabt. Dann ging alles ganz schnell. Der Mann schleudert mir die Pizzaschachtel entgegen und um ein Haar hätte sie mein Gesicht getroffen. Ich ducke mich. Als ich mich kaum eine Sekunde später wieder aufrichte hält er eine Seraph Klinge in der Hand. Na super… Ein Demonhunter!
In mir drin tobt ein Sturm ich spüre, wie sich die die Gedanken und Emotionen des Menschen an die Oberfläche kämpfen.
Mit all meiner Kraft stürme ich auf ihn zu, lege meine Hände auf seine Brust und schleudere ihn durch die gegenüberliegende Betonwand. Er fällt krachend hindurch und stöhnt schmerzerfüllt, als ein paar Betonstücke und Staub auf ihn fallen.
Es war eine Sekunde in der die Emotionen des Menschen durchsickerten und die Handlungen. Aber diese kurze Zeit reichte aus den Demonhunter am Leben zu lassen. Ich stürme die Treppe hinunter und nach draußen.
Die Sonne strahlt heute wieder besonders viel Wärme aus. Einmal werfe ich einen Blick über meine Schulter und sehe mich um. Nichts. Mein Verfolger ist weg und ich habe ihn vertrieben, ohne ihn zu töten.
Ich verlangsame meine Schritte wieder. Die Straße hoch und an der Ampel links über die Straße. Dort erstreckt sich mir der Stadtpark.
Menschen gehen händchenhaltend die Straße entlang. Hunde flitzen einer Frisbeescheibe hinterher. Vögel zwitschern.
Aber viel wichtiger… warum fallen mir jetzt plötzlich all diese Kleinigkeiten auf?
„Hallo…“ Eins sanfte, leise Stimme die ich kenne. Ich blinzle und drehe mich langsam herum. Es ist sie. Angel. „Hey“, bringe ich heiser über meine Lippen. Sitzt mein Haar richtig? Ich streiche nervös hindurch. Diese Emotionen! Immer mehr nahm der Mensch seinen Platz ein und verdrängte mich. Egal wie ich dagegen rebellierte.
Muss sie nicht eigentlich spüren, dass ich ein Dämon bin? So wie ich spüre, dass sie ein Engel ist?
Ihre Berührung wird mich verbrennen. Die Engelsmacht, auch bekannt als das blaue Feuer, war für Dämonen Gift.
Meine Berührung wird sie verbrennen. Die Dämonenmacht, bekannt als das Dämonenfeuer oder das rote Feuer, war für die Engel Gift.
So heißt es in der Dämonologie. So wurde es mir vor drei Jahren beigebracht.
„Ich bin doch neulich in dich hinein gelaufen…“
„Eh, ja…?“
Worauf möchte sie hinaus?
„Du bist ein Dämon…“, murmelt sie. Ihre Stimme war nun beinahe in einem Flüsterton.
„Ja… und du ein Engel.“
Sie nickt, wobei ihre Locken leicht mitwippen. Statt weiter zu reden warte ich nun, ob Angel noch etwas sagt.
Aber es kommt nichts mehr. Vorerst.
Als ich mich abwende und den Trampelpfad entlang ging folgt sie mir.
„Was machst du hier?“, fragt sie.
„Ich weiß es nicht.“ Ich muss ihr ja nicht erzählen, dass vor kurzer Zeit ein Todeskommando vor meiner Tür aufgetaucht ist und ich nur knapp entkommen bin.
„Empfindest du was?“ Ihre Ozeanblauen Augen mustern mich neugierig. Warum möchte sie das wissen?
„Nein… Nein, ich glaube nicht.“
„Du glaubst?!“ Sie hebt ungläubig eine Augenbraue. Als ich nicke wird ihre Miene noch skeptischer. Sie glaubt mir anscheinend nicht.
Dann plötzlich bleibt sie abrupt stehen und mustert mich. Ihre Miene wirkt beinahe ein wenig ärgerlich.
„Ich fass mal zusammen. Du heißt Armidor. Du bist der Handlanger von dem König der Hölle. Seit ein paar Monaten oder Jahren besiedelst du die Erde, das kann ich nicht genau sagen. Ich bin in der Bank in dich hinein gelaufen. Seitdem Zusammenprall kannst du mein Gesicht nicht vergessen. Du siehst immer mich, sobald du deine Augen schließt. Du empfindest etwas. Etwas für mich. Aber dir ist bewusst, dass du nie ein Menschenleben führen kannst. Ein Leben mit einem anderen Menschen. Dir wird bewusst, dass du nicht normal bist. Du entwickelst Gefühle!
„Bullshit!“, fauche ich ärgerlich. Ich spüre, wie die Wut kocht, wie meine braune Augenfarbe schwand und meine schwarze Augenfarbe ihren Platz einnimmt. Die Augenfarbe des Dämons in mir.
„Du bist traurig. Der Mensch verdrängt dich immer mehr“, murmelt sie. Sie legt ihren Kopf leicht schief und mustert mich. Ein leichtes Lächeln stiehlt sich auf ihre Lippen. Beinahe wirkt es ein wenig schadenfroh.
„Ich bin nicht traurig. Ich empfinde gar nichts. Ich bin ein Dämon. Ich handle nach Instinkt nicht nach Emotionen!“
Mit jedem Wort wird meine Stimme lauter, mein Handeln unmenschlicher. Ich greife blitzschnell nach ihrem Arm und nehme nicht wahr was Angel tut.
Sie quiekt durch die plötzliche Hitze auf. Aber sie tötet mich nicht, obwohl sie die Chance dazu hätte. Sie stößt mich von sich.
Und da wurde mir eins klar. Angel war kein Engel, der auf die Erde geschickt wurde um Dämonen zu töten. Sie war der Engel, der die besessenen Menschen retten konnte. Sie legte ihre Hand an meine Stirn. Ein stechender Schmerz fährt durch meinen Leib. Das war die Austreibung eines Dämons. Von den Engeln. So blieb der Mensch, die Hülle am Leben. Immer mehr verschwand die Sichtweise des Dämons und ich kehre zurück. Ich, Domenic. Angel befreite mich von Armidor. Ich bin wieder ich selbst, meine ganzen Erinnerungen waren wieder da. Allerdings habe ich eine Kleinigkeit von Armidor behalten.
Ich empfinde nichts. Gar nichts. Ich bin emotionslos. Der Teil von meinem Gehirn, der Emotionen kontrollieren konnte war mit Armidor verschwunden.