Wichtig: Fortführender Teil. Es ist von Vorteil erst Zerbrechlichkeit zu lesen!
Magische Worte gibt es viele. Aber was waren die magischen Worte für Kinder?
Mia hatte nach den vier Waldwochen eine Beziehung zu dem Betreuer Benny aufgebaut. Er war der einzige, der ihr Halt geben konnte, wenn niemand es schaffte. Er war der Einzige, der da war, wenn alle anderen weg gingen. Nachdem die Sache mit ihrer Mutter Frau Fischer vorgefallen war bei der Mia derart eskaliert ist, hat Benny eine Entscheidung getroffen. Nichts half Mia. Sie benötigte keine ständigen Beziehungen, sie benötigte Leute, die für sie da waren.
Benny hatte seinen Job gekündigt und sich als Pflegeperson im Sozialsystem registrieren lassen. Jemand, der ein Kind aufnahm. Es war nicht dasselbe wie eine Adoptivfamilie. Im Prinzip war eine Pflegefamilie dasselbe wie ein Heim, nur das alles in einem familiären Raum stattfand, es keine Rückführung gab und es nie mehr als zwei Kinder waren. Benny wollte nur Mia. Er hatte dies eingereicht. Das Verfahren wurde von dem Jugendamtsmitarbeiter Herr Heinrich abgesegnet. Die Probezeit lief. Drei Wochen ohne Auffälligkeiten, ohne Ausraster.
Das konnte etwas werden. Es war beinahe unmöglich. Nachdem Mia vor anderthalb Wochen vor seinen Augen so zerbrochen war, wie sollte sie sich dann jetzt zusammenreißen können, wenn sich absolut nichts verändert hatte? Ihre Mutter war noch nicht mal in der Kinderpsychiatrie um ihre Tochter zu sehen.
Selbst Benny schmerzte es, wie allein dieses Mädchen war. Wie sehr es litt.
Langsam öffnete er die Zimmertür. Seine Freundin Ava stand neben ihm und blickte unschlüssig in das Zimmer.
„Verpiss dich!“, schrie das kleine Wesen im Bett und schmiss ein Buch in Richtung Tür. Gerade noch rechtzeitig zog Benny Ava außer Schussweite. Das Buch fiel mit einem leisen Plumps auf den Boden. Benny schloss die Tür und hörte wie Ava scharf die Luft einsog. Sie bekam Angst. Aber sie vertraute Benny und würde seine Entscheidung nicht anzweifeln.
„Ich bin’s Benny!“, sagte er ruhig und kam mit erhobenen Händen näher.
„B-Benny?“, fragte das kleine Mädchen heiser. Ihre Augen hatten rote Ränder. Ihre blauen Augen verloren das kindliche Glitzern.
„Ja.“ Er zeigte auf das Bett. „Darf ich mich setzen?“
Sie nickte schwach. Während Benny sich setzte versuchte er die richtigen Worte zu finden, denn er hatte die schöne Aufgabe bekommen Mia zu berichten, dass sie in eine Pflegefamilie kommen wird. Das Mama- Thema wird das nächste Mal von Herrn Heinrich vertieft werden. Eher nicht. Das würde Mia bloß schaden.
„Wie geht’s dir?“, fragte er geradeheraus. Aber Mia antwortete nicht. Sie schwieg.
„Gut…“, murmelte er leise zu sich selber. Er bedeutete Ava mit einem Handzeichen näher zu kommen. Sie kam langsam näher. Vor dem Bett blieb sie stehen, sie traute sich nicht zu setzen. Benny hatte ihr alles über Mia erzählt. Sie hatte Mitleid mit ihr, aber sie hatte auch Angst. Ein wenig. Dennoch vertraute sie auf Bennys Entscheidung. „Mia… das ist Ava meine Freundin. Sie ist heute hier, weil sie dich kennenlernen möchte und weil das Gespräch auch mit ihr zu tun hat.“
Wieder keine Antwort. Benny fuhr unbeirrt fort.
„Du musst zwei Sachen wissen, bevor du gleich dein Theater abziehst“, sagte Benny deutlich.
„Ich arbeite nicht länger in dieser Wohngruppe. In keiner Wohngruppe. Ich und Ava haben uns als Pflegefamilie existieren lassen.“
„Nehein…“, jammerte Mia. Ihre Stimme klang kratzig. Sie griff nach Bennys Hand, die auf dem Bett abgestützt war. Ihr Griff wirkte beinahe hilflos. „Nein, geh nicht! Bleib!“
Sie war nicht mal wütend, sie war… traurig. Sie klammerte sich an die einzige Person, die immer da war.
„Hör zu! Hörst du mir zu?“, fragte Benny und sah sie aufmerksam an. Mia sah zu ihm auf und nickte schwach.
„Ich habe mit Herr Heinrich gesprochen. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass du in eine Pflegefamilie kommen wirst. Das ist das was du brauchst!“
„Nein!“, schrie Mia und fuhr auf. „Nein. Nein. Nein. Nein. Ich will zu Mama!“, kreischte sie. Benny reagierte schnell und schloss seine Arme um sie. Er hielt sie fest. „Eine Pflegefamilie ist wie ein Heim. Nur mit weniger Kindern und keine wechselnden Betreuer. Wenn Mama bereit ist wird es eine Rückführung geben. Und was du noch wissen musst! Es ist keine fremde Pflegefamilie. Du wirst zu Ava und mir kommen!“
Mia verstummte und blinzelte. „Z-Zu euch?“, fragte sie leise.
„A- Aber…“
„Aber?“, fragte Benny und hob eine Augenbraue. Mia drehte sich in Bennys Umarmung und lehnte sich an ihn.
„Ich habe dir Ärger gemacht. Ich hab geschlagen, gebissen. Zerstört… wieso bleibst du?“
„Was wäre diese Welt ohne die magischen Worte der Entschuldigung?“ Auf Bennys Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab.
„Ich hab nicht mich entschuldigt…“, nuschelte sie.
„Manchmal, Mia, sagen Blicke und Handlungen mehr als Worte es tun können. Ich seh dir an, dass es dir Leid tut. Und ich seh dir noch so viel mehr an.“
Dann löste Benny sich. „Wir haben einen Probezeitraum von drei Wochen. In diesen drei Wochen darf nichts vorfallen. Bekommst du das hin, Mia?“
Sie nickte und schloss Ava in die Arme. „Danke!“, rief sie strahlend. „Drei Wochen Mia! Du schaffst das, ich glaub an dich.“
Benny stand auf, er bewegte sich in Richtung der Tür.
„Benny?“, nuschelte sie und der Angesprochene verharrte in der Tür. „Was wenn ich es nicht schaffe…?“
„Dann werde ich mich wieder für dich einsetzen!“
Ob das die Wörter waren die Mia hören wollte. Aber ihrem Lächeln nach zu urteilen waren dies anscheinend Mias magische Wörter: „Ich setze mich für dich ein“ und „Ich glaube an dich.“
Kleine Mut-mach-Sätze, die ihr offenbar eine Menge bedeutenden.