Heißhunger war nur eine der dusseligen Nebenwirkungen in ihrer Schwangerschaft. Zum Glück nichts ausgefallenes. Einfach nur ein guter Salat, danach stand ihr ständig der Sinn. Und welch glücklicher Zufall, nebenan hatte die Frau Nachbarin im Hochbeet schneckensicheres Blattwerk angepflanzt. Schwuppdiwupp, da war der Gatte wieder rüber geklettert und mit einer Handvoll zurück. Das wiederholte er ständig, bis es der Nachbarin auffiel und sie ihn sich schnappte. Das gab Ärger.
Aber nichts im Vergleich zu dem Ärger, den er erst bekam, als er zu Hause beichtete, was er der Nachbarin für die die paar blöden Blätter hatte versprechen müssen. Da verging der werdenden Mutter aber der Appetit. Und wäre sie nicht bei der Geburt gestorben, weil weit und breit keine Hebamme kam und weil es sehr weit her war mit medizinischer Versorgung zu der Zeit, war der Mann wohl sogar ganz froh, dass er das Bündel Mensch was ihm schon vor der Geburt solche Schwierigkeiten gemacht hatte, abgeben konnte.
Die Nachbarin bekam ihren Lohn, der Vater floh, die Mutter wurde anonym beigesetzt und das Kind…
… wuchs auf als Valerianello, der Sohn der Salatbauerin. Er war ein hübscher Knabe und von guten Benehmen. Und als er zum Mann reifte sperrte ihn die Mutter in das Erkerzimmer ihres Eckhauses, welches über die Mauer hinaushing und unerreichbar war von außen und aus dem er niemals würde klettern können. Denn Mutter kannte die Jugend nur zu gut. Sie selbst hatte einst einen Jungen geliebt, der sie dazu verführt hatte aus ihrem Zimmer zu klettern, damit sie sich im Garten unterm Rosenbogen lieben konnten. Und was war dabei herausgekommen? Eine Fehlgeburt und ihr zerstörter Ruf, nebst geraubter Unschuld und keinerlei Beweisen, so dass sie niemals ein Kranzgeld erhalten hatte und auch niemals einen Mann fand in dieser Stadt. Und zog darauf nach Torelore um.
Doch nun hatte sie ihren Valerianello und sie würde niemals zulassen, dass er sich so schändlich benehmen würde. Nein, sie musste ihn vor sich selbst schützen, bis er alt genug war und über dem Leichtsinn und der Hitze der Jugend stand.
Doch das tat er nicht. Als er alt genug war, dass sie ihm das Frühstück brachte und ihn wild unter der Decke fuchtelnd an sich selbst Hand angelegt, erwischte, wusste sie, dass das womöglich nicht reichen würde. Sie verbot ihm das Ausgehen nach der Schule. Dann fand sie ihn wild knutschend im Hof unten mit der Müllerstochter und verbot ihm das Rausgehen und stellte ihm einen Hauslehrer an. Dann fand sie den Hauslehrer ausgesperrt in der Latrine, während Valerianello es ungeziemt im Arbeitszimmer gemütlich an einer Klassenkameradin schleckte, welche ihm „nur die Aufgaben vorbei gebracht hatte“. Da war es ihr genug, sie sperrte ihn in sein Zimmer und weil auch das noch nicht reichte. Und er, wann immer es möglich war, das Schloß aufbrach, um sich mit wer-weiß-wem zu treffen, selbst in der Besenkammer, da mauerte sie die Tür zu. Von nun an ward die Wand zu seinem Zimmer verputzt und mit einem Gobelin behangen und niemand wusste mehr, dass es dort noch eine Stiege gab zu einem wunderschönen Zimmer.
Welch Auftakt für eine Geistergeschichte, möchte man glauben. Aber Mutter vergaß ihren Liebling nicht. Sie liebte ihn, nur war sie seiner Triebe nicht Herrin. Also wählte sie einen umständlichen Weg außen herum am Gemäuer und hieß ihn das Hanfseil jedes Mal herablassen, damit sie zu ihm konnte.
„Valerianello, Valerianello, lass das Seil herunter, deine Mutter kommt und macht dich munter.“
Dann brachte sie ihm einen ganzen Korb mit leckerem Essen. Mit Früchten und Brot und Früchtebrot. Und Salat natürlich - Valerianello war strikt vegan erzogen. Dann nahm sie seine Dreckwäsche wieder mit und begutachtete seine Hausaufgaben. Oft brachte sie ihm auch neue Bücher mit. Schließlich sollte der Junge ja was gescheites mit seiner Zeit anfangen.