Ein einäugiger Ork hatte drei Kinder, die allesamt noch beide ihre Augen hatten. Das jüngste hatte jedoch die schönsten Augen, von langen, dichten Wimpern umkränzt. Und für Orks typisch changierten die Augenfarben jedes Kindes zwischen Rot-Braun und Orange-Gelb bis hin zu Grün. (Blau gab es auch, aber blaue Augen waren magisch und ein magischer Ork, den packte man besser gar nicht erst an und sah ihm erst Recht nicht in die Augen.) Und dann gab es den König der Raben, der hatte einen Fetisch für Augen. Als Rabe - wie alle Krähenvögel auch einen Fetisch für alles, das glänzte - und so war es sicher nicht verwunderlich, dass er eines Tages bei den grünhäutigen Orks auftauchte und dem Vater vorschlug, dass er ihn reich belohnen würde, wenn er ihm eines seiner Kinder überlassen würde. Er wolle es mit an seinen Hof nehmen, dort würde es eine gute Erziehung und Bildung erhalten und alles was es dafür tun müsse, sei ihn hin und wieder in diese hübsch-glänzenden Augen sehen zu lassen. Und dabei hatte der König der Raben selbst Diamanten als Augen, mit denen er Meilenweit sehen konnte.
Vater sagte „Nein.“
Da wurde der König der Raben wütend und pickte dem Vater das eine Auge auch noch aus. Der blinde Tor, war aber ein Ork und der ließ sich so was von niemandem gefallen und warf den König Achtkant aus dem Haus. Was so viel hieß wie, auch blind und blutend: Er prügelte ihn mit dem Achtkant. Nun kamen seine Kinder herbei, das älteste war schon erwachsen und verlobt und im Studium. Das mittlere Kind stand kurz vor der Reifeprüfung und hatte sich gerade zum ersten Mal so richtig verliebt: in das Schmiedehandwerk und das dritte und jüngste hatte so gar kein Interesse an der Liebe und noch weniger an der Schule. Keines seiner Kinder sollte zu dem Rabenkönig gehen, doch alle drei stützten ihren Vater zum Kamin und besprachen ihn, dass sie das so nicht auf sich sitzen lassen konnten.
Normalerweise war es immer das jüngste Kind, welches dann auszog, weil die älteren es permanent ärgerten. Aber hier war es das mittlere und es packte seinen Ranzen, kündigte beim Schmied seinen Lehrvertrag und versprach: „Papa, sei unbesorgt, ich bringe dir dein Auge wieder.“ Und zu seinen Geschwistern sagte es: „Passt gut auf ihn auf.“
Als der König der Raben nun erneut kam, stellte sich „Mittel“ ihm gleich am Gartentor in den Weg und zeigte seinen Rucksack: „Geht nur voran, ich komm schon mit.“ Doch es hatte sich eine dunkle Sonnenbrille aufgesetzt und der König der Raben wurde besessen von dem Wunsch dahinter zu blicken. Doch Mittel weigerte sich standhaft. So nicht, erst müsse der Rabenkönig vier Prüfungen bestehen. Vier? Ja, Orks halten nichts von den traditionellen Abläufen mit Drei und Sieben.
Der Rabenkönig sabberte ein wenig: „Alles was in meiner Macht steht.“
„Gebt zuerst meinem Vater sein Auge wieder“, Mittel stockte, „Oder wartet, gebt ihm ein besseres, zur Entschädigung für Eure unnötige Gewaltanwendung. Gebt ihm eines Eurer Augen.“ - Gesagt, getan. Mit einem phänomenalen Diamantauge, mit dem der Vater nun extraweit schauen konnte, verabschiedeten sich alle voneinander.
… Auf dem Rückweg zum Schloß des Königs der Raben begleiteten sie eine ganze Schar von verzauberten Vögeln. Singvögel, Greifvögel, doch vor allem Rabenvögel. Und je weiter sie zogen, desto unwirtlicher und karger wurde das Land.