Der Rum war etwas zu süß für meinen Geschmack, aber wenigstens brannte der Alkohol angenehm in meiner Kehle. Den hatte ich nach diesem Tag bitter nötig. Schon die ganze Zeit hatte es so furchtbar geregnet, als würde der Ozean auf die Erde ausgegossen werden. Nur Fische waren nicht dabei gewesen; Tatsächlich hatte ich den gesamten Tag über nichts Wildes zu Essen gefunden. Kaufen wollte ich mir nichts, dafür reichte mein Geld nicht. Nur diesen fürchterlichen Rum konnte ich mir gerade noch leisten. Das übernächste Glas würde ich wahrscheinlich stehlen müssen.
"Höret her, meine lieben Freunde!", ertönte eine laute Stimme hinter mir, dicht gefolgt von verspieltem Geklimper. Irritiert drehte ich mich von der Bar weg. Ein junger schlanker Mann hatte sich auf einen freien Tisch gestellt und grinste in die Gesichter der erschöpften und größtenteils durchnässten Tavernenbesucher. Als er sicher war, die Aufmerksamkeit aller zu haben, fuhr er fort: "Erlaubet mir, Euren Tag mit ein wenig Gesang zu versüßen!" Wieder spielte er ein paar Töne auf seinem Instrument und fing an, eine fröhliche Melodie zu singen: "Gesellet euch zu mir, so lasset uns trinken! Ob Wein oder Bier, reicht Humpen und Schinken."
Amüsiert nahm ich einen weiteren Schluck aus meinem Glas. Es war lange her, seit ich zuletzt einen Barden gesehen hatte, und trotz meiner schlechten Laune musste ich zugeben, dass seine Fröhlichkeit ansteckend war.
"Tanzen wollen wir, ausgelassen und fröhlich. Seid frei, hebt die Tassen – vielleicht etwas töricht." Sein Blick wanderte keck durch die kleine Menge, und kurz streifte er den meinen. Bildete ich mir das nur ein oder verharrte er sogar kurz bei mir? Mir wurde ganz warm, aber das lag wahrscheinlich eher am Alkohol.
"Der Morgen ist uns doch vorerst egal. Drum feiert, meine Freunde, zum letzten Mal!" Damit verbeugte sich der hübsche Barde und stimmte die nächsten Töne an.
Nach einigen Liedern war mein Rum leer. Gerade wollte ich mir ein weiteres Glas bei der Barfrau bestellen, als die Tür aufschwang und den Blick auf eine schlanke Gestalt freigab, die zügig zur Bar eilte. Etwas langsamer kam ein älterer Mann mit dichtem Bart hinter ihm her und schloss die Tür.
"Entschuldigen Sie", sagte der Jüngere an die Frau gewandt. Er sprach leise, sodass es mich ein wenig Anstrengung kostete, etwas über die Musik hinweg zu verstehen.
Die Barfrau kam die paar Schritte zu ihm. "Ja?"
"Ich habe gehört, dass Sie Hilfe benötigen? Wir würden uns gerne anbieten."
Neugierig lehnte ich mich nach vorne, um besser lauschen zu können. Gab es Geld für den Auftrag?
Die Frau nickte bestätigend. "Meine Weinlieferung ist immer noch nicht angekommen. Jemand müsste nach Serania fahren und nachschauen, was damit geschehen ist. Ich würde ja selbst reisen, aber..."
In dem Moment schob sich ein lächelndes Gesicht vor mich. "Hallo!", sagte der Barde freundlich. "Mein Name ist Xelan. Dürfte ich deinen erfahren?"
Überrumpelt stammelte ich "Gregor" und starrte ihn an. Warum sprach er mit mir?
"Welch ein reizender Name!", plapperte Xelan weiter. "Mir ist aufgefallen, dass dir meine kleine Vorstellung anscheinend sehr gefallen hat."
Vergeblich versuchte ich, dem Gespräch hinter seiner Schulter weiter zu folgen. "Ja. Sicher."
"Wie überaus erfreulich!", lachte er. "Ich treffe zwar recht häufig auf Menschen, die meine Arbeit wertschätzen, natürlich tue ich das, aber nur selten fällt mir jemand so auf wie du es tust."
"Ja", unterbrach ich ihn, "warum spielst du dann nicht weiter?" Die Bardame deutete gerade in meine Richtung, aber ich konnte noch immer nicht verstehen, was sie sagte.
"Ich habe mich gefragt, ob ich dir vielleicht ein Getränk ausgeben könnte?", fuhr der Barde fort.
"Hm?"
"Wein vielleicht? Ich bestelle uns Wein, mein Lieber. Verzeihung!"
"Eigentlich mag ich Rum lieber", murmelte ich, doch im nächsten Moment hatte ich schon ein Glas mit hellem Wein in der Hand.
"Auf die Kunst, die Lieder und die schönen Menschen!" Mit einem Zwinkern stieß Xelan mit mir an.
Der junge Mann, der eben noch mit der Barfrau gesprochen hatte, trat zu uns. "Entschuldigt bitte, aber wir suchen ein paar Leute, die mit uns nach Serania reisen. Möchtest du mitkommen?" Sein Blick sagte mir bereits, dass es eine schlechte Entscheidung wäre, abzulehnen.
"Gibt es eine Bezahlung?", fragte ich daher.
"Mit dir springen für jeden etwa vierzig Goldstücke raus."
"Verstehe. Bin dabei."
An der Stelle mischte sich Xelan ein. "Ich würde euch ebenfalls gerne begleiten, wenn es nichts ausmacht!"
Kritisch musterte der Fremde ihn. "Du bist ein Barde, nicht wahr? Wie kannst du uns schon nützlich sein?"
"Du wärst überrascht", grinste Xelan. "Denn was wären all die Abenteurer ohne Barden, die ihre Geschichten erzählen können?"
"Wir sollen einen Handelswagen suchen, keinen Drachen bekämpfen."
"Das edelste Abenteuer von allen."
Der junge Mann verdrehte die Augen. "Meinetwegen. Wir versammeln uns an dem Tisch da hinten. Kommt, wenn ihr soweit seid, damit wir die Details abklären können." Damit ließ er uns stehen.
Xelan nahm mir mein Weinglas aus der Hand und folgte ihm. "Kommst du?"
An dem Tisch saß bereits der vollbärtige Mann, mit dem der jüngere vorhin die Taverne betreten hatte, und ein Ork mit einem Spitzhut.
"Vielleicht sollten wir uns einmal alle vorstellen", schlug der junge Mann vor, sobald Xelan und ich uns gesetzt hatten. "Mein Name ist Randalf. Ich bin ein Kräutersammler, und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit."
Als nächstes räusperte sich der Ork, der neben ihm saß. "Ich bin Olesch", sagte er. "Ihr wundert euch wahrscheinlich wegen meiner Größe. Ich weiß, ich wirke sehr groß, an die zwei Meter sagen die meisten. Tatsächlich bin ich aber nur ein Meter neunundneunzig groß."
"Danke für diese Information", kam es leise von Randalf.
Unterm Tisch legte sich eine Hand auf meinen Oberschenkel. Sofort spürte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss, und fast schon stolpernd rutschte ich in die Richtung des älteren Mannes, der sich gerade als Flechtbart Bumblebore vorstellte. "Für euch Bumblebore", fügte er hinzu.
Dann gehörte die Aufmerksamkeit der Runde mir. Bestimmt schob ich Xelans Hand weg und sagte: "Ich heiße Gregor." Anscheinend erwarteten sie noch mehr. Unsicher fuhr ich mir über die kurzgeschorenen Haare. "Das ist alles." Hilfesuchend sah ich zu Xelan, der Einzige, der sich noch nicht vorgestellt hatte.
Ich weiß nicht, ob er mich verstand, oder ob das einfach seine Art war, aber in jedem Fall sprang er auf, holte seine Laute hervor und trällerte ein wenig schief: "Zum Gruße, geehrter Fremder / möcht mich kurz vorbringen / Reise stehts durch viele Länder / um zu reden, musizieren und zu singen. / Ihr seht recht, ein Barde bin ich / Xelan von Gadros um genau zu sein. / Erfüll ich pflichtbewusst meine Pflicht / und finde immer den passenden Reim." Charmant lächelte er in die Runde, um die vergriffenen Töne zu überspielen, bevor er fortfuhr: "Meine Waffe ist das Wort und die Kunst / doch seid gewarnt / steht ihr, nicht erwartend gegen meine Gunst..." Seine Stimme hatte einen düsteren Tonfall angenommen, doch schlagartig wurde sie wieder fröhlicher. "Ach, das wird schon nicht passieren. / Nun sprecht, womit kann ich euch dienen?"
Restlos begeistert über die kleine Vorführung applaudierte ich. Schon jetzt hatte ich heute mehr Kulter erlebt als in der gesamten Zeit, seit ich das Meer verlassen hatte. Grandios. Die anderen schienen nicht so angetan zu sein von der Musik. Randalf hielt sich die Ohren zu und Olesch hatte einen Ausdruck auf seinem Gesicht, als hätte er gerade eine Krabbe mit Schnauzbart gesehen. Auch Bumblebore kniff angestrengt die Augen zusammen.
"Du kannst uns dienen, indem du nicht mehr singst", brummte er misswillig und rieb sich die Stirn. "Wie wäre es mit einem Trinkspiel zum kurzen Kennenlernen?"
"Alkohol klingt gut", meinte ich und schwenkte mein Weinglas, von dem ich mir noch immer wünschte, dass Rum drin wäre.
Der Abend wurde zur Nacht, und bald waren wir die letzten in der Taverne. Wir waren fast mit der zweiten Runde unseres kleinen Spieles durch, als die Barfrau zu uns kam. "Langsam muss ich euch rausschmeißen, meine Herren. Ich mache gleich die Taverne zu." Dabei schwang sie drohend ihren Besen.
Randalf drehte sich zu ihr um. Der Ausdruck auf seinem Gesicht veränderte sich zu einem sanften Lächeln, als er fragte: "Miranda, meine Liebe, ist dies hier nicht auch ein Gasthaus? Könnten wir hier schlafen, bevor wir morgen aufbrechen?"
Miranda nickte. "Natürlich. Ein Zimmer kostet pro Nacht fünf Goldstücke."
Ich konnte kaum verstehen, was als nächstes gesagt wurde, denn Xelan griff nach meinem Arm. "Gregor, lass uns ein Zimmer teilen, ja?" Ein gewisses Glitzern lag in seinen dunklen Augen.
"Das ist billiger", überlegte ich. Das könnte ich mir gerade noch leisten. Andererseits könnte er etwas sehen, was nicht für seine Augen bestimmt war, und mir Probleme machen.
"Ach was, ich zahle für dich", meinte Xelan und gab mir keine Gelegenheit, etwas einzuwenden. Stattdessen gab er Miranda das Geld und zog mich hinter den anderen nach oben.
Das Zimmer war klein, aber immerhin standen zwei getrennte Betten darin. "Die können wir zusammenschieben", schlug Xelan vor.
Mir wurde unwohl. Er war den ganzen Abend so freundlich zu mir gewesen, etwas aufdringlich, aber zuvorkommend, und er hatte diese Schlafmöglichkeit bezahlt. Andererseits war ich keine Hure und obwohl ich körperliche Nähe durchaus vermisste, konnte ich sie nicht zulassen. "Ich würde sie lieber so stehen lassen", räumte ich also kleinlaut ein.
Xelan sah mich etwas überrascht an, dann knuffte er mich grinsend in die Seite. "Jetzt guck doch nicht so gequält. War nur ein Vorschlag." Damit warf er sich in eines der Betten.
Ich verkniff mir eine Entschuldigung, als ich mich in das andere Bett legte. "Gute Nacht, Xelan", sagte ich.
Ein Gähnen kam von der anderen Seite des Raumes. "Gute Nacht, Gregor. Schlaf gut!"
Ich spürte dieses altbekannte Kribbeln in mir, doch musste ich es unterdrücken. Auf keinen Fall durfte ich Xelan meine andere Gestalt zeigen, die tierische Gestalt, die Bestie, wie er mich nennen würde.