So schnell sie aufgetaucht war, verschwand das Leuchten wieder.
„Ähm, sieht jemand die Kugel noch?“, fragte Olesch. Das Geräusch von Metall an Leder verriet mir, dass er sein Schwert angespannt umklammert hielt.
"Wir sehen genauso viel wie du, du Depp", erwiderte Randalf bissig.
Von Bumblebore aus kam ein leises Quieken. "Jürgen scheint es zu kennen", meinte er.
Ich spürte, wie Gregor sich etwas dichter neben mich schob. In der Dunkelheit konnte ich nichts sehen, aber seinen Geruch würde ich überall erkennen. "Ist sie gefährlich?"
An diesem Punkt kam mir eine riskante aber eventuell sich auszahlende Idee. Wenn ich etwas von dem Ictus, welches Randalf mir mitgebracht hatte, essen würde, vielleicht könnte ich die Kugel dann sehen. Immerhin verändert sich schon schnell nach Einnahme die Wahrnehmung und es ist ja durchaus möglich, dass sich dieses leuchtende Etwas auf einer anderen Ebene der visuellen Greifbarkeit bewegt. Die Gefahr des berauschenden und psychodelischen Haupteffekt dieses Wunderkrauts würde ich dafür wohl in Kauf nehmen müssen.
„Leute, ich werde etwas vom Ictus konsumieren, vertraut mir“, rief ich und ignorierte die Zurufe, dass dies eine dumme Idee sei. Sie waren selbst Narren, wenn sie diesen grandiosen Plan nicht verstehen würden. Und schon benetzte ein mir allzu bekannter Geschmack meine Zunge. Eine gewisse bittere Note, gepaart mit einer leichten Schärfe war wohl vererst die letzte Wahrnehmung, die ich nüchtern erlebte.
Wie aus dem Nichts bewegte sich alles sehr schleierhaft und stark verzögert, nur um im nächsten Moment unglaublich scharf und deutlich zu werden. Jede Kante, jedes noch so vage Muster stach deutlich heraus und die Farben begannen sich zu verändern. Alles wurde bunter und begann sich zu drehen; Die zuvor unsichtbar gewordene Kugel konnte ich allerdings leider immer noch nicht erblicken. Mist, mein Plan hatte nicht funktioniert und zu allem Überfluss merkte ich, dass die Situation und das Umfeld in diesem Moment nicht das Beste für einen psychodelischen Trip waren. Meine Gedanken wurden immer tiefer, ich war in ihnen gefangen, bis ich kaum noch eine Verbindung zur Realität hatte.
Was mache ich hier bloß? So bin ich doch nicht kampffähig. Sind wir überhaupt gerade kurz vor einem Kampf? Und was ist, wenn Gregor meine Hilfe braucht und was, wenn er sie gar nicht will? Wer will schon einen solch unnützen Barden, wie ich es bin? Aber ich liebe ihn doch, was tue ich, wenn er mich nicht liebt? Ist Liebe überhaupt existenziell? Eigentlich bringt sie doch mehr Schaden als Glück! Nein, Liebe ist etwas wundervolles, allerdings nur wenn man auch zurück geliebt wird. Vielleicht ist Liebe ja auch nur… Oh, die Ecke sieht gemütlich aus, ich setze mich mal dahin.
Ich habe Angst. Angst, diesen Zustand nie wieder verlassen zu können. Angst, dass wir den Kampf, dessen ferne Geräusche zu mir durch dringen, verlieren würden und die anderen aufgrund meiner Nutzlosigkeit mir böse sein würden. Angst, dass Gregor nicht das empfindet was ich für ihn fühle. Ich schaute in Gregors Gesicht, seine Augen schienen sich rhytmisch von eninander weg zu bewegen. Seine Nase war unglaublich klein und seine Lippen schienen sich endlos in die Länge zu ziehen. Olesch guckte mich mit seinem lila-grün verschwommenen Gesicht wütend an.
Ich begann zu weinen. Die ganze Welt schien mir sinnlos. Ich verlor langsam das Gefühl zu meiner eigenen Existenz. Wer bin ich eigentlich und was bedeutet es, zu existieren? Bin ich ich?
Und plötzlich musste ich lachen, welch eine urkomische Situation. Während die anderen den Kampf gegen die inzwischen wohl sichtbar gewordene Kugel aufnahmen, saß ich völlig abwesend und in einen schlechten Trip vertieft in der Ecke. So gerne würde ich jetzt meine Finger in Gregors weichem Fell vergraben, aber er war bei der Kugel. Aus seinem Rücken schossen dunkle Strähnen, und als ich ihn länger anstarrte, schlangen sich die Härchen umeinander und ineinander, wurden immer tiefer. Ein warmes Gefühl durchdrang meine Glieder und ich war erfüllt von Euphorie und Kreativität… als mir wieder einfiel, dass ich mich in einer ungünstigen Lage befand und mich nach Gregors Zuneigung sehnte. Ich begann erneut zu weinen. Das alles hier war viel zu anstrengend!
Aber eines konnte ich doch tun, um ihm zu helfen, um ihn zu unterstützen. Irgendwie bekam ich meinen Flüsterzauber zu greifen, wisperte ihm ein paar Worte zu und schickte sie zu Gregor. Ob er es bemerkt hatte wusste ich nicht, alles wurde plötzlich wieder unglaublich bunt und bewegte sich in symmetrischen Formen. Und ich, benebelt wie ich war, hatte keine andere Wahl, als mich dem hinzugeben.
Als ich wieder zu mir kam, schaute ich in 5 vorwurfsvolle Gesichter, von der Kugel war keine Spur. "Was ist passiert?", fragte ich und setzte mich auf. Anscheinend hatte ich mich irgendwann hingelegt. Mein Rücken schmerzte und mein Schädel hämmerte leicht. "Habt ihr die Kugel besiegt?" Hilfesuchend sah ich zu Gregor. Zumindest er würde mir nicht allzu böse sein, oder?
Doch auch er sah mich erbost an. "Nicht dank dir", knurrte er.
Etwas in mir riss. Ich war kurz davor, wieder loszuheulen, aber das wollte ich mir nicht erlauben. Ich hatte mich heute bereits albern genug angestellt.
"Bist du denn wieder bei Sinnen?", erkundigte sich Olesch. "Wir haben hier eine gefühlte Ewigkeit auf dich gewartet."
Ich nickte und stand auf. Meine Beine fühlten sich immer noch an wie Pudding. "Warum seid ihr nicht schon weiter gegangen? Ich wäre nachgekommen!"
Gregor gab ein Schnauben von sich. "Als ob." Vielleicht war er doch nicht ganz so böse auf mich?
"Sieh mal hier." Lächelnd kam Bumblebore auf mich zu und hielt offen seine Hand vor mich. In ihr saß Jürgen, dessen kleine Ästchen am Kopf angefangen hatten zu brennen. Er schnattere mich vergnügt an, bevor er wieder zurück auf Bumblebores Schulter krabbelte. "Ich glaube, das hast du nicht mitbekommen."
"Das stimmt." Verblüfft sah ich das kleine Kerlchen an. Das Feuer schien keinen Schaden anzurichten, weder ihm noch Bumblebore. Dafür leuchtete er hell.
Liebevoll kraulte Bumblebore noch einmal Jürgens Kinn. "Die Leuchtekugel ist irgendwann runtergefallen und hat nur einen roten Stein übrig gelassen. Den hat unser kleiner Freund hier gegessen. Ich schätze, unsere Mission ist damit beendet."
Jürgen nickte zufrieden.
"Dann können wir ja jetzt weiter", entschied Randalf, der inzwischen den Rest des Raumes absuchte. "Hier ist eine Leiter nach oben, vielleicht kommen wir so raus." Ohne ein weiteres Wort kletterte er hoch.
Schweigend folgten ihm die anderen, bis ich als letztes die Leiter bestieg. Sie führte in einen überraschend gut eingerichteten Raum. Doch der interessierte mich recht wenig, ich musste an die frische Luft. Die Nachwirkungen des Ictus und das Schamgefühl über mein Versagen drückten mir die Brust zusammen, und so ging ich zügig an Teppichen, Truhen und teuren Gewändern vorbei zur nächsten Leiter, die mich tatsächlich nach draußen brachte. Die Kälte des Abends schnitt scharf in meine Lungen, aber das kümmerte mich nicht. Sofort ging es mir besser.
Ich befand mich auf einer Straße in Brako, unweit vom krähenden Hahn. Erleichtert ging ich einige Schritte. Ganz allmählich gewöhnte ich mich wieder an das Gefühl, nüchtern zu sein. Ictus wirkte schnell, kräftig und vergleichsweise kurz, dafür spürte man die fremde Substanz aber noch relativ lange im Körper.
Am Ende der Kopfsteinstraße konnte ich die Sonne über den Häusern verschwinden sehen. Sie färbte die wenigen Wolkenstreifen rot und orange, aber ansonsten war der Himmel klar. Vereinzelt konnte ich bereits Sterne erkennen.
Hinter mir kam noch jemand die Leiter hochgeächzt. "Xelan", rief mich eine nur allzu vertraute Stimme, "Geht es dir wirklich gut?" Etwas ausgelaugt klopfte Gregor sich die schmutzigen Hosen ab.
Schief lächelte ich ihn an. "Dasselbe könnte ich dich fragen. Wurdest du von der Kugel verletzt?"
Er schüttelte den Kopf. "Sie hat Blitze geschossen, aber die waren nicht besonders stark."
Ein unbehagliches Schweigen entstand.
"Hör mal", sagte Gregor.
"Ich wollte...", sagte ich.
Grimmig schmunzelnd strich Gregor sich über sein Haar. "Tut mir leid. Du zuerst."
"Nein, du. Bitte." Etwas beschämt sah ich zu Boden.
Gregor gab ein tiefes Seufzen von sich. "Ich habe mich verwandelt, als du dich verkrochen hast", sagte er schließlich. "Du sahst so hilflos aus, und du hast geweint, da ist mein Beschützerinstikt durchgekommen. Ich wette, dass mein Säbel für dieses Ding vollkommen genügt hätte, aber in dem Moment..."
Vorsichtig hob ich den Blick, nur um in ein emotional zerrissenes Gesicht zu sehen. "Alles, was ich wollte war, dass ich mich nicht verwandeln muss! Weißt du eigentlich, wie gefährlich das sein kann? Früher hatte ich noch meine Crew, aber alleine gegen vier würde ich verlieren." Hastig wischte er sich über die Augen. "Du hast versprochen, nichts Dummes mehr anzustellen."
"Das war nicht dumm", warf ich kleinlaut ein. "Mit Ictus habe ich Zugang zu anderen Sinnesebenen. Ich dachte, ich könnte dann mit der Kugel reden oder sie wenigstens -"
"Du hast Drogen in einer Grotte genommen, kurz vor einem Kampf", unterbrach Gregor mich. "Das ist ziemlich dumm. Und damit hast du nicht nur dich in Gefahr gebracht, sondern auch mich." Angespannt stapfte er von mir weg. "Mit Menschen darf man sich eben nicht anfreunden. Eigene Dummheit."
"Wohin gehst du?", rief ich ihm verwundert nach.
"Weg. Ihr könnt ohne mich weiterziehen."
Was? Niemals! Stolpernd rannte ich ihm hinterher. "Ich hätte selbst auch an dich denken können!", sagte ich, als ich ihn erreicht hatte. "Ich weiß doch, dass du ein, ein Friskana und deshalb nicht besonders beliebt bist. Das hätte ich beachten müssen!" Er ging immer noch weiter. "Du hast schlechte Erfahrungen gemacht", fuhr ich fort, "das sehe ich ein. Aber du lebst doch noch, oder? Die anderen haben deine andere Gestalt gesehen und dich nicht umgebracht!"
Endlich hielt Gregor an. "Aber sie hätten es versuchen können."
"Haben sie aber nicht", fuhr ich fort und hielt ihn an den Schultern fest. "Mein Punkt ist, diese Welt besteht nicht nur aus Humanoiden, die dich umbringen wollen. Und zumindest unsere Gruppe scheint in Ordnung zu sein. Nicht wahr?"
Zaghaft begegnete ich seinem nachdenklichen Blick. "Meinetwegen", lenkte er schließlich ein. "Das war trotzdem dumm von dir."
"Ja, weiß ich, ich war dämlich, das tut mir leid", räumte ich ein. "Aber du kannst nicht einfach so abhauen! Tu mir das nicht an!" Erst jetzt merkte ich, dass ich mich in sein Oberteil gekrallt hatte und ließ ihn schnell los. "Entschuldige." Reumütig sah ich zu meinen Schuhen.
"Du hast mir noch etwas zugeflüstert während des Kampfes, oder?" Gregors Stimme klang nicht mehr ganz so harsch, und wenn ich mir das nicht einbildete, konnte ich auch einen Hauch Amüsierung darin wahrnehmen.
"Habe ich?" Meine Schuhe sahen abgetragen aus. Ich sollte demnächst mit ihnen zu einem Schuster. "Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern."
"Du hast gesagt, dass du mich liebst."
Schlagartig schoss mir das Blut ins Gesicht. Das hatte ich gesagt!? War es dafür nicht noch etwas zu früh? Ich wollte ihn schließlich nicht bedrängen. Aber dass es stimmte, konnte und wollte ich nicht leugnen, also nickte ich zögerlich.
Vorsichtig tippte Gregor mir ans Kinn, sodass ich zu ihm aufsah. "Ich spreche das nur an, weil, uhm, ich dich auch." Er sah verlegen zur Seite.
Ich war baff. Natürlich hatte ich darauf gehofft, es aber immer als Tagträumerei abgetan. Und jetzt stand er hier und machte mir eine Liebeserklärung.
Hüstelnd drehte er sich zur Seite. "Wie peinlich. Das ist wohl falsch angekommen. 'Tschuldige."
Da umarmte ich ihn stürmisch. "Ich liebe dich", sagte ich noch einmal und drückte ihn fest an mich. "Das tue ich wirklich!"
Er erwiderte die Umarmung etwas verwirrt, dann schmiegte er sein Gesicht in meine Halsbeuge. Einen Moment verharrten wir so, ich ertrank in seinem Geruch und er schien sich beinahe hilflos an mich zu klammern. Ich spürte jeden Atemzug, den er tat, auf meiner Haut, und genoss die Nähe und die Wärme, die sein Körper ausstrahlte und mich so gegen den kalten Wind abschirmte.
"Ey, ihr zwei Turteltauben!"
Hastig löste Gregor sich von mir und stolperte zwei Schritte zur Seite. Liebevoll griff ich nach seiner Hand, und er ließ es zu. Es gab keinen Grund, etwas zu verstecken.
Grinsend kam Randalf auf uns zu, hinter ihm stieg gerade Olesch als letzter aus dem Schacht. "Wollen wir dann mal zurück zum krähenden Hahn?"
"Nichts lieber als das", gab ich lächelnd zurück und gemeinsam setzten wir uns in Bewegung.