"Wir haben den Auftrag, Jürgen zu einer Grotte hier in Brako zu bringen", erklärte Bumblebore am Abend, nachdem wir Miranda ihren Wein gebracht hatten. "Der Schamane in Serania hat nicht genauer gesagt, was wir dort sollen, und eine Bezahlung gibt es auch nicht wirklich."
"Dann komme ich nicht mit", stellte ich fest und trank noch etwas Rum. Das war inzwischen mein drittes oder viertes Glas – mit der Bezahlung des letzten Auftrages konnte ich es mir leisten. Langsam spielte ich sogar mit dem Gedanken, mir die ganze Flasche zu kaufen.
Jemand trat mir unterm Tisch gegen das Bein, nur um dann entschuldigend darüber zu streichen. "Aber Jürgen ist so niedlich!", flehte Xelan. "Dem musst du doch helfen wollen?"
Misstrauisch sah ich zu der kleinen Echse, die mich aus riesigen Augen anstarrte. "Nah. Ohne Bezahlung läuft nichts."
"Wissen wir überhaupt, wo die Grotte ist?", warf Pargrim ein. "Ihr wart doch schon einmal hier in Brako, oder?"
"Wir haben uns hier kennengelernt", erklärte Olesch stolz, fügte dann aber kleinlaut hinzu: "Das ist aber eigentlich auch schon alles."
"Orks", murmelte Randalf abfällig. "Ich frage nachher mal Miranda, ob sie etwas weiß."
"Gute Idee", brummte Bumblebore mit einem Blick aus dem dreckigen Fenster. Zwischen den grobsteinigen Häusern konnte man die Sonne untergehen sehen. "Ich würde vorschlagen, dass wir wieder hier übernachten und uns um alles weitere morgen kümmern."
Nahezu im selben Moment tippte Xelan mir aufdringlich an gegen die Schulter. "Teilen wir uns wieder ein Zimmer, Gregor?", bettelte er. "Ja? Bitte? Bitte?"
Genervt verdrehte ich die Augen. "Dieses Mal bezahle ich", entschied ich und trank noch etwas vom Rum.
Freudig qiekend holte Xelan sein Notizbuch hervor. "Lasst mich noch ein Gedicht vortragen, um diesen wunderschönen Abend zu untermalen!"
"Alles klar, ich bin weg." Mit einem leisen Ächzen stand Randalf auf und ging zur Theke, zu Miranda.
"Bring Bier mit!", rief Pargrim ihm nach, bevor er Xelan freundlich ansah. "Nur zu."
Xelan räusperte sich und rezitierte: "So erwachte ich des frühen Morgens / Dachte mir nichts fremdes / Fühlte mich sicher und geborgen / Doch es kam anders letzten Endes."
Gespannt lehnte ich mich etwas auf den Tisch, um ihm ins Gesicht sehen zu können, während er weiter vortrug. Die Haut straffte sich ein wenig über seine Wangenknochen, und mir fiel auf, wie sich seine Nasenspitze beim Sprechen leicht verzog.
"Wohl von verbotenen Träumen heimgesucht / Passierte es ganz unbewusst / Das älter werden mich verflucht / Die Entladung der gestauten Lust." Stolz ließ Xelan sein Notizbuch sinken und sah in die Runde.
"Das war... Interessant", kommentierte Olesch und trank seinen Bierkrug in einem Zug aus.
Irgendjemand murmelte "Orks."
"Ich fand es super!", lobte ich den Barden. "Ich könnte mir so etwas den ganzen Tag anhören."
Xelan schenkte mir ein strahlendes Lächeln und wollte gerade etwas erwidern, als sich Randalf wieder zu uns setzte. "Bitte nicht." Dabei hatte er fünf Krüge Bier. "Die gehen aufs Haus."
"Also, eigentlich mag ich Weißwein ja lieber", setzte Xelan zögerlich an.
"Wenn du kein Bier möchtest, dann nehme ich deinen Krug", bot Bumblebore an, während er Jürgen am Kopf kraulte.
"Ist schon gut."
"Warum genau musstest du uns jetzt ein Gedicht über deinen Samenerguss vortragen?", stöhnte Pargrim, den Kopf verzweifelt in die Hände gestützt.
"Ich wollte euch alle an dieser Freude teilhaben lassen, natürlich!", grinste Xelan und trank grazil aus seinem Krug.
Randalf brach in schallendes Gelächter aus. "Gut, dass ich das nicht gehört habe", meinte er, "das klingt, als ob du etwas kompensieren müsstest."
Empört verschränkte Xelan die Arme. "Ich muss überhaupt nichts kompensieren!"
"Deswegen erzählst du uns auch sowas." Frech sah Pargrim ihn an, die gefundene Schwachstelle offenherzig ausnutzend. "Ist klar."
"Du machst es gerade auch nicht sonderlich besser", zog Randalf ihn weiter auf. "Aber ist in Ordnung! Es ist nichts schlimmes, einen kleinen Penis zu haben. Höchstens ein bisschen unbefriedigend."
"Unbe – Ich zeige dir mal, was unbefriedigend ist!" Erbost stand Xelan auf und zog sich kurzerhand die Hose herunter, sodass wir alle freie Sicht auf sein nahezu einschüchterndes Gemächt hatten. "Das hier jedenfalls nicht!"
Schlagartig war es still an unserem Tisch. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg, und so sehr ich es auch wollte, konnte ich doch nicht weg sehen. Das männliche Geschlechtsorgan war mir lange kein neuer Anblick mehr, aber ein solch beeindruckendes Exemplar hatte ich noch nie gesehen. Zufrieden zog Xelan seine Hose wieder zurecht und setzte sich hin, nicht ohne mir einen schnellen forschenden Blick zuzuwerfen. Oder hatte ich mir das nur eingebildet?
"Gut, dass wir das geklärt haben." Als wäre nichts gewesen, umschlossen seine schlanken Finger wieder den Bierkrug und führten ihn zu seinem Mund.
Die Bilder in meinem Kopf überschlugen sich.
"Es gab wohl mal eine Grotte unten am Hafen", wechselte Randalf hastig das Thema, "allerdings ist seit Jahren niemand mehr dort gewesen. Aber Miranda lässt uns heute noch einmal hier schlafen und zeigt uns morgen den Weg."
"Willst du wirklich nicht mitkommen?", wandte Xelan sich an mich.
"Das ist Zeitverschwendung." Zeit, in der ich auch Aufträge annehmen konnte, die mir Geld einbringen würden.
Xelan sah ein wenig beleidigt aus, schien aber nicht weiter darüber diskutieren zu wollen. "Wonach suchen wir eigentlich?", erkundigte er sich stattdessen.
Bumblebore zuckte kurz mit den schweren Schultern. "Der Schamane meinte, wir würden es schon erkennen. Und Jürgen hat ebenfalls ein ziemlich gutes Gespür für die richtigen Dinge, sofern ich es beurteilen kann." Jürgen nickte stolz und krabbelte auf den Tisch, um etwas von Bumblebores Bierkrug zu naschen. Bumblebore hob ihn wieder auf seine Schulter, was Jürgen mit heiserem Geschrei zuließ. "Kein Bier für kleine Echsen", tadelte Bumblebore ihn liebevoll.
Xelan sah ein wenig eifersüchtig aus, schüttelte diesen Gesichtsausdruck aber rasch mit einem kräftigen Schluck Bier ab.
"Also gehen wir morgen früh zu dieser Grotte und suchen etwas, von dem wir keine Ahnung haben, was es sein soll", fasste Olesch zusammen. "Das klingt nach einem sehr sehr gut ausgetüfteltem Plan."
Bald darauf war das Bier alle, die restlichen Gäste gegangen und Miranda kam wieder an unseren Tisch, um uns darauf hinzuweisen, dass wir entweder in die Zimmer oder nach draußen gehen sollten. Sie würde einmal eine großartige Mutter werden, und Randalfs Blick nach zu urteilen dachte er ähnlich über sie. Grimmig bezahlte ich das Zimmer und ging nach oben.
"Habe ich irgendetwas falsch gemacht?", fragte Xelan, als sich die Tür hinter uns schloss und ich mich aufs Bett geworfen hatte.
Überrascht sah ich zu ihm auf. "Wie kommst du darauf?"
Gemächlich setzte Xelan sich auf das andere Bett und legte seine Tasche daneben ab. "Du bist die ganze Zeit total schlecht gelaunt. Und zu der Grotte morgen willst du auch nicht mitkommen. Dabei könnten wir dich uns deine ... deine tierische Gestalt bestimmt total gut gebrauchen!"
Frustriert vergrub ich mein Gesicht im Kissen. "Ich werde diese Gestalt nicht vor den anderen annehmen. Es ist schon furchtbar, dass du davon erfahren hast."
Xelan gab ein leises Schniefen von sich. "Ich finde das überhaupt nicht furchtbar! Im Gegenteil, ich freue mich, das erfahren zu haben." Fast schon konnte ich das Lächeln in seiner Stimme hören. "Ich will dich noch viel besser kennen lernen, Gregor."
Schweigend presste ich das Gesicht noch fester ins Kissen. Wozu? Im Zweifelsfall würden alle Menschen einen verraten und allein lassen. Da hatte es keinen Sinn, überhaupt Bindungen mit ihnen einzugehen. "Und was ist mit dir?", wechselte ich das Thema. Nach irgendwelchen Strohhalmen greifend fügte ich hinzu: "Du siehst Bumblebore die ganze Zeit so komisch an."
Xelans Finger bohrte sich neckend in meine Schulter. "Ist da jemand eifersüchtig? Hm?"
"Ja. Du."
Ich hörte, wie Xelan sich neben mein Bett hockte. "Ich weiß nicht. Ich wünsche mir seit Ewigkeiten ein Haustierchen. Und zu sehen, wie sehr Jürgen an Bumblebore klebt, macht mich wohl ein wenig neidisch. Da magst du wohl Recht haben."
Widerwillig drehte ich mich nun doch zu ihm herum. "Bin ich dir nicht Haustier genug?" Ein kläglicher Versuch eines Scherzes.
Ein breites Grinsen zog sich auf Xelans Gesicht. "Das ist nicht dasselbe", meinte er. "Mit Jürgen will ich schließlich keinen Sex haben."
Mit knallrotem Gesicht verkroch ich mich wieder ins Kissen. "Geh schlafen. Jetzt", keifte ich.
Xelan lachte, stand aber auf und ging zurück zu seinem Bett. "Keine Sorge, Gregor. Alles in deinem Tempo."
Eine Weile blieb es still, dann meinte Xelan leise: "Aber wenn du mein Begleittier sein willst, dann musst du auch morgen mit zur Grotte kommen."
"Meinetwegen", knurrte ich und zog die Decke über meine Schultern, um vielleicht endlich schlafen zu können.