"Meine Güte! Wieso funktioniert das bloß nicht?" Lydia spürte, wie ihr Kopf langsam vor Aufregung rot anlief. Seit Tagen versuchte sie den magischen Trank zu brauen, den ihre Schwester Margaret immer mit Bravur zusammenbraute. "Meine Schwester schafft das doch auch! Warum bekomme ich das dann nicht hin? Irgendetwas muss da doch fehlen!" Völlig angestrengt und entmutigt setzte sich Lydia auf einen kleinen Stein vor ihrem Hexenkessel. Sie war wirklich kurz davor, das Handtuch zu schmeißen, bis ihr plötzlich ein Geistesblitz in den Kopf kam. "Moment mal. Könnte es vielleicht sein......?" Wie von einer Schlange gebissen, verließ Lydia ihre Feuerstelle und sprintete zu dem Haus ihrer Schwester. "Margaret!!!"
Alle Leute im Dorf schauten sie verwundert an und wunderten sich wahrlich, was dieser Aufruhr zu bedeuten hatte. "Seht mal! Diese Hexe, die den ganzen Tag nur am Brauen ist und dabei scheinbar nie einen nennenswerten Erfolg hat. Das kann ja noch was werden." Lydia beachtete die Worte der anderen Dorfbewohner in keinster Weise. Sie hatte gerade nur ein Ziel vor Augen. Das Haus vor Margaret. Ohne sich überhaupt sicher zu sein, ob ihre Schwester gerade Zeit hatte, stürmte Lydia in deren Haus. Der recht gelangweilte Blick von Margaret ließ darauf deuten, dass sie genau wusste, was jetzt in den nächsten Sekunden kommen würde.
"Margaret!" Sie keuchte und röchelte, als hätte Lydia gerade einen Marathonlauf hinter sich. "Ich habe es wieder versucht aber....."
"Spare dir deine Worte", unterbrach Margaret ihre Schwester. Ein urteilender Blick formte sich auf ihrem Gesicht. "Ich weiß genau, was du mir sagen willst. Du hast es wieder nicht geschafft, den Trank zu brauen, habe ich Recht?" Als wäre das Gespräch bereits abgelaufen, nickte Lydia einfach nur zustimmend. "Ja...", gab sie bedrückt von sich. "Aber ich habe eine Idee, wie ich es endlich schaffen kann, den Trank zu brauen, der meine Haare so schön wachsen lässt wie deine!" Völlig unbeeindruckt von dem Ehrgeiz ihrer Schwester, ging Margaret einfach nur langsam auf Lydia zu. Wie eine Seelsorgerin, die sich liebevoll um ihre Patienten kümmerte, legte Margaret eine Hand auf Lydias Schulter. "Wenn du es unbedingt versuchen möchtest, werde ich dir natürlich dabei helfen. Aber sei dir darüber im Klaren, dass du auch so schön aussiehst, ohne irgendwelche Tränke für das Haarwachstum zu verwenden." Obwohl Margaret es ausnahmsweise einmal gut mit ihrer Schwester meinte, übermannte Lydia jedoch eine extreme Zielstrebigkeit.
"Ja du hast Recht aber.......hm.....egal! Ich werde jetzt diesen Trank brauen! Ich muss es einfach schaffen! Los, komm mit!" In ihrem Tunnelblick zog Lydia ihre zunächst völlig irritierte Schwester blitzschnell zur Feuerstelle zurück. Der Kessel brodelte immer noch, als hätte jemand vergessen, die entsprechende Herdplatte auszustellen. Lydia war weiterhin total aufgeregt. Sie wollte es ihrer Schwester zeigen und zeigte stolz zum Kessel. "Jetzt pass mal auf! Bevor ich zu dir gelaufen bin, ist mir etwas Wichtiges eingefallen. Eine Zutat, die möglicherweise fehlt, damit der Trank überhaupt gebraut werden kann." Mit einem Blick, der so aussah wie "Was zur Hölle willst du eigentlich von mir?" schaute Margaret ihre Schwester nur an, als diese im nächsten Augenblick hunderte Zutaten gleichzeitig in den Kessel schüttete.
"Was macht sie da eigentlich? Ich glaube sie ist so von sich überzeugt, dass sie nur noch mehr Fehler macht." Mit der Zeit konnte man regelrecht sehen, wie die Hoffnungslosigkeit in Lydias Gesicht geschrieben war. "Mist! Es will aber auch einfach nicht klappen! Die gewünschte Farbe der Mixtur und der entsprechende Geruch tritt nie ein! Nichts davon! Das ist doch im wahrsten Sinne echt verhext!!!" Bevor sowohl Lydia vor lauter Aufregung als auch der Kessel voller Zutaten allmählich zu explodieren begann, trat Margaret schleunigst herbei, kippte urplötzlich den Kessel um und sprang Lydia in die Arme. Über die Situation völlig verwundert, erstarrte Lydia, als würde sie ein Monster oder ähnliches angreifen wollen. "Ich werde dir jetzt einmal einen guten Rat geben", fing Margaret mit leiser Stimme an zu sagen. Ihr Gesicht hielt sie gegen die Schulter ihrer Schwester, wodurch ihre Worte leicht gedämpft klangen. "Es ist doch im Grunde völlig egal, ob du lange, kurze, schwarze, braune oder was weiß ich für Haare hast. Wichtig ist doch nur, dass du dich so nimmst wie du bist! Vergiss das nicht!" Durch diese Aussagen liefen Lydia Tränen in die Augen. "Ich bin die Einzige von euch, die keine Haare hat. Das sieht doch scheußlich aus." "Quatsch! Die Hauptsache ist doch, dass du gesund bist. Du hast eine Schwester, eine Heimat. Was willst du mehr?" Die Worte von Margaret sickerten allmählich in Lydias Bewusstsein. "Sie hat Recht. Warum immer nur an schöne Haare denken? Ich bin doch auch so schön!" Gemeinsam verließen die Schwestern die Feuerstelle und ließen diese hinter sich.