Wenn es einer schaffen kann, dann war es Martin mit seinem unübertroffenen Schuss. Als Scharfschütze kannte er keine Gnade und erwischte jeden Feind, der sich seinen Kameraden in den Weg stellen würde. Noch nie hatte Martin einen Schuss daneben gesetzt. Mit klinischer Perfektion landete die Kugel immer da, wo es dem Feind am meisten schaden würde. Kein Ziel blieb vor Martin verschont. Bis zum heutigen Tag...
"Wo ist der Sanitäter?" Ein Soldat schrie sich die Seele aus dem Leib, als er seinen schwer verletzten Kameraden vor sich liegen sah. Er hatte eine schwerwiegende Schussverletzung am Bein und schien bewusstlos. Ohrenbetäubender Lärm verwandelte die Umgebung in einen Ort, an dem keine Menschenseele sein sollte. So ist es immer im Krieg. Eigentlich sollte sich kein lebendes Wesen an solch einem Schauplatz befinden. "Sanitäter!", rief der Soldat erneut aber er sah nur andere bewaffnete Männer an sich vorbeilaufen, als würden sie ihren schlimmsten Erzfeind bekämpfen wollen. Der Soldat mit dem Namen Erwin hielt die Hände auf die klaffende Wunde seines Kameraden. Nichts half. "Bewegung, Soldat!", kam es mit einem Mal von weiter hinten. Jener Ruf brachte Erwin wieder zur Besinnung, bevor er komplett das Bewusstsein verloren hätte im Angesicht seiner momentanen Lage. Er wollte eigentlich gar nicht hier sein. "Ich brauche hier einen Sanitäter! Aber sofort!" Erwin starrte den herbeigeeilten Soldaten an. "Irgendjemand muss ihm helfen!" Der plötzliche Einschlag einer Granate wirbelte die beiden Soldaten umher. Sie hörten für einige Sekunden nichts mehr. Das Erste, was sie nach längerer Zeit wieder hören konnten, war das Geschrei der Kameraden, die weiter über das Schlachtfeld liefen. Gerade als Erwin fast in Ohnmacht fiel, rappelte Lutz ihn wieder auf. "Ich sagte Bewegung, Soldat!! Wir können ihm nicht mehr helfen! Wir müssen weiter! Martin gibt uns Deckungsfeuer!" Mit einem Mal schallte das Geräusch eines Scharfschützengewehres durch die Luft. Ein weiterer Feind war gefallen. "Los jetzt!" Lutz wollte Erwin zum nächsten Treffpunkt seines Trupps führen. Jedoch konnte dieser es einfach nicht wahrhaben. Er musste seinem Freund Tim unbedingt helfen. In Windeseile ging er ein paar Schritte zurück, packte seinen Kameraden und trug ihn auf der Schulter mit sich. "Was machst du da? Der ist viel zu schwer!" Erwin hörte nicht. Sein Freund war ihm gerade wichtiger als sein eigenes Leben. Wenn es so kommen sollte, sterben sie eben beide zusammen. "Keiner bleibt zurück!", kam es aus tiefstem Herzen von Erwin. In diesem Moment lief er so schnell er konnte über das Schlachtfeld, ungeachtet einiger Minen, die eventuell direkt auf seinem Weg liegen würden. Dabei hatte Martin Erwin und Lutz genau im Blick. "Da kommen noch mehr", dachte der Scharfschütze sich und machte die nächste Patrone zum Nachladen bereit. Genau auf den Feind gerichtet, war Martin bereit zum Schuss, zielte noch einmal genau und drückte ab. Daneben. Das erste und hoffentlich letzte Mal. Denn sein Fehlschuss führte dazu, dass Lutz von dem Ziel, das eigentlich tot auf dem Boden liegen müsste, getroffen wurde. Genau in den Kopf. Wie gelähmt fixierte Martin seinen Blick auf das unzählige Meter weiter vor ihm ablaufende Szenario. Seine Hände zitterten. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er verfehlt hat. "Das darf nicht wahr sein. Ich.....ich muss den nächsten Schuss treffen! Sonst stirbt Erwin auch noch!" Unfähig Widerstand zu leisten, stürzte sich Erwin in einen Schützengraben. Tim hatte er bei sich und beschützte ihn so gut er konnte, auch wenn vielleicht nicht mehr viel zu retten war. Die nächsten Schüsse der Feinde verfehlten ihn zum Glück. "Was ist mit Martin? Hat er etwa nicht getroffen? Ist er gefallen? Nein! Er ist doch unser großer Hoffnungsschimmer. Martin kann nicht sterben. Er überwältigt jeden Feind, bevor es ihn selbst trifft." Schockiert sah Erwin den soeben gefallenen Lutz neben sich liegen. Regungslos. Ebenfalls total aus der Fassung, versuchte Martin seinen Fehler wieder gutzumachen. Er beruhigte sich, seine Hände zitterten nicht mehr. Schleunigst gab er sich einen Ruck, lud sein Gewehr nach und suchte nach weiteren Feinden in der Nähe. Dabei sah er erneut zwei Soldaten, die in die Richtung von Erwin stürmten. "Diesmal muss es sitzen!" Die Zeit um Martin schien stillzustehen. Er hielt die Luft an und zielte. Die letzte Atemluft in seinen Lungen musste ausreichen, um zwei Feinde auf einmal präzise zu erledigen. Dann ertönte wie aus dem Nichts der Schuss.
Erwin wartete noch ein wenig. Konnte die Blutung von Tim soweit wie möglich stoppen. Schleunigst stieg er aus dem Schützengraben, nahm seinen Kameraden auf die Schulter und sprintete los. Dabei lief er an zwei Feinden vorbei, die beide gleichzeitig von einem Schuss getroffen wurden. "Martin..." Ohne nach hinten zu sehen, lief Erwin einfach weiter, bis er den Treffpunkt erreichte. Beide waren nun ihn Sicherheit. Martin jedoch kam nicht mehr zurück. Nachdem er den alles entscheidenden Schuss gesetzt hatte, fiel sein Versteck auf und er wurde überwältigt. Trotzdem hatte sein gezielter Schuss zwei Menschenleben gerettet. Und das in den Wirren eines sinnlosen Krieges.