Martina hatte ihren Großvater seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Sie freute sich richtig darauf, morgen mit ihren Eltern endlich nach Spanien zu fliegen. Dort würde ein großes Fest stattfinden, bei dem die gesamte Familie beisamen ist und alle ausgiebig miteinander feiern. Martinas Großvater möchte nämlich seinen 70. Geburtstag mit allen gemeinsam verbringen. Der Stammbaum von Martinas Familie ist wirklich sehr weitreichend. Jeder kommt gefühlt aus einem anderen Land oder einer anderen Kultur. Ihr Vater kommt ursprünglich aus Spanien und hat Martinas Mutter in Deutschland kennengelernt. Ihre Mutter hat teilweise sogar italienische Wurzeln, wodurch eine weitere Kultur aus dem Süden dazukommt. Aus dem Grunde beherrscht Martina mit ihren vierzehn Jahren auch mehrere Sprachen. Am liebsten aber spricht sie erstaunlicherweise auf Spanisch, denn dort wohnt eben ihr Großvater, den sie so sehr liebt. Am nächsten Tag schließlich brachen Martina und ihre Eltern mit dem Flugzeug nach Spanien auf und fuhren vom Flughafen aus direkt zur Residenz des Großvaters nach Barcelona. Dort angekommen wurden alle Gäste erst einmal feierlich begrüßt, bevor es dann im Laufe des Tages richtig mit der Feier losging. Vor lauter Menschen konnte Martina gar nicht mehr zählen, wie viele Gäste wirklich anwesend waren. Auch wenn sie wusste, dass ihre Familie sehr groß war und sie jedes Gesicht in der Menge wiedererkennen würde, lief sie immer wieder einer neuen Person über den Weg, was sie äußerst spannend fand. Am schönsten fand sie jedoch die Begegnung mit ihrem Großvater, der ihr noch so einiges erzählen und mit auf dem Weg geben konnte. Neben den tollen Geschenken, die Martinas Opa von allen bekommen hatte, vertraute dieser seinem Enkelkind ein ganz besonderes Andenken aus Spanien an. Dies tat er immer, wenn Martina ihn besuchte. Diesmal war es ein kleiner Engel aus Silber, der als Schutzengel und Glücksbringer dienen sollte, über den sich Martina riesig freute. Nach der Feier verbrachte sie mit ihren Eltern noch einige Tage in Spanien, bis es nun wieder zurück nach Deutschland ging. Der Abschied fiel Martina zusehend schwer, doch irgendwann sind auch die schönsten Momente leider vorbei. Ein paar Wochen später kam dann der Schock. Das Corona-Virus breitete sich in Spanien massiv und in hoher Geschwindigkeit aus. Spanien rief die Quarantäne aus und machte seine Grenzen dicht. Jetzt hatte Martina erst recht Fernweh. "Hast du das auch gehört?", rief Martina zu ihrer Mutter. "In Barcelona gab es erneut mehrere Neuinfektionen. Wo soll denn das noch hinführen?" Während Martina sich um ihren Großvater Gedanken machte, war ihre Mutter in der Küche beschäftigt. "Vielleicht kann ich ihn telefonisch erreichen", versuchte Martina sich zu beruhigen und hielt dabei den Schutzengel fest in ihrer Hand. Gerade für ältere Menschen kann Covid-19 eine tödliche Gefahr darstellen. Soweit war sie informiert. Aufgeregt griff sie zum Hörer und tippte mit zittrigen Händen die Nummer ihres Opas ein. In dem Moment nahm jedoch keiner ab. Im Verlauf des Tages versuchte sie es immer wieder, doch zu keinem Zeitpunkt konnte man jemanden erreichen. "Hoffentlich geht es Opa gut", sprach sie zu ihren Eltern. Die Sorge stand ihrem Vater gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. Trotz alledem waren sie alle gemeinsam optimistisch. "Dein Großvater ist fit und gesund", betonte Martinas Vater. "Dem geschieht schon nichts."
Einige Tage später erhielten Martina und ihre Eltern einen Brief, der zur Überraschung vom Großvater war. Martina war die erste, die den Brief in die Hände bekam und zu lesen anfing:
"Hallo meine Lieben. Ich hoffe, dass ihr soweit gesund seid und der Brief euch erreichen wird. Das sind ja schwierige Zeiten im Moment aber wir werden das schon durchstehen. In den letzten Tagen konnte ich nicht ans Telefon gehen, da ich mich jeden Tag um die Mitbewohner hier kümmern musste. Hoffentlich habe ich euch keine zu großen Sorgen bereitet. Eines Tages werden wir uns schon wiedersehen können. Aber bis dahin können wir nur an unsere Gesundheit denken und jedem alles Gute wünschen."
Martina las noch die letzten Zeilen zu Ende, als plötzlich ein weiterer Schutzengel aus dem Brief herausfiel.