Was ist in der Truhe?
(Ergänzung zu den WriteInktober-Drabbles)
Kapitel 1: Fisch
Eigentlich sollte Mike nur einige Tüten mit dem getrockneten Fisch aus dem Frachtraum holen. Trautman war gerade dabei, seinen berühmten Fischauflauf zu machen und die gehörten da einfach dazu. Jedenfalls sagte er das immer. Der Fisch, der auf besondere Weise wochenlang vor sich hin getrocknet hatte, machte den Auflauf zu etwas Besonderem. Jetzt wo er wusste, was alles drin war, hatte er eigentlich keine Lust mehr auf den Auflauf, dennoch nahm er sich pflichtbewusst einige der Tüten und wollte schon den Rückweg antreten, als ihm etwas auffiel.
In der Ecke stand eine Kiste.
Er hatte sie schon öfter dort gesehen und nie groß beachtet. Sie war recht grob gezimmert und sah beinahe schon verwittert aus. Ein Teil, das er schon längst entsorgt hätte, dennoch stand es da und zog ihn nun magisch an. Eine riesige Schicht Staub, war das nächste, das ihm daran auffiel. Mike zuckte mit den Achseln, ließ den Verschluss zurückschnappen und öffnete den Deckel. Was er dann erblickte, verschlug ihm die Sprache:
Die Kiste war randvoll mit irgendwelchen Sachen gefüllt und ganz oben lag ein Zettel. Mit zitternden Fingern nahm er ihn heraus und las still den Text. »Für meinen Sohn Dakkar.« Das war sein Name. Der Name, den man für ihn benutzt hatte, bevor man ihn inkognito nach Indien und dann zur Ausbildung nach London geschickt hatte. Dakkar, der Name, bevor aus ihm Mike Kamala wurde. »Ein paar Dinge, die dich an eine Zeit erinnern sollen, von der du vielleicht nicht mehr viel weißt. In Liebe, deine Mutter.«
Mit einem lauten Knall fiel die Truhe wieder zu. Mike, der schon lange nicht mehr mit Dakkar angesprochen wurde, schaute darauf. Sein Herz klopfte wild und er konnte kaum glauben, was er da gefunden hatte. Sein Vater hatte ihm einiges an Briefen hinterlassen. Er hatte sie alle gelesen und sich so ein grobes Bild machen können, was für ein Mensch er gewesen war. Aber wenn es um seine Mutter ging, dann war alles schwarz. Ein Loch, das er schon immer bedauert hatte. Und nun das: Wie es schien, hatte seine Mutter ihm einen ganzen Schatz hinterlassen. Mit einem Lächeln und Tränen in den Augen, öffnete er die Truhe wieder.