Kapitel 5: Klinge
Mit der Klinge in der Luft herumfuchtelnd stand Trautman ziemlich erbost im Türstock. »Kann mir jemand erklären, wie ich Fischauflauf machen soll, ohne Fisch?«, fragte er. Aber Mike war sich nicht sicher, ob er dem alten Mann darauf wirklich eine Antwort geben sollte. Außerdem brachte er sich wegen dem Klingengefuchtel lieber hinter Singhs Rücken in Sicherheit. Der wusste immerhin, wie man jemanden zielsicher entwaffnete und würde das nicht mit seinem Körper versuchen, wie es Mike vielleicht passiert wäre.
Nun, es war überflüssig zu erklären, dass Trautman natürlich keinen von ihnen mit dem Messer attackieren würde und umsichtig wie er war, legte er die Klinge nun auch auf eine der Kisten beiseite. »Was macht ihr hier eigentlich? Gibt es was zu Feiern?« Der Blick auf das Grammophon war vielsagend. »Warum erzählt mir keiner was? Ich hätte noch einen guten Tropfen in meiner Kabine.« Schließlich stockte er und blickte lauernd von einem zum anderen. »Oder wolltest ihr unter euch sein?«
»Nein!«, entfuhr es Mike und Singh beinahe gleichzeitig, was ihnen wieder einen skeptischen Blick von Trautman einbrachte.
»Also gut: Wo bleibt nun der Fisch und warum hängt ihr beide hier im Frachtraum fest?«
Mike beschloss ihrem Steuermann nun reinen Wein einzuschenken, warum er andauernd die wichtigste Zutat für ihr heutiges Essen vergessen hatte und deutete auf die große Truhe, die mitten im Raum stand.
»Ich hatte die Tüten schon, aber dann ist mir das da aufgefallen: Sie ist von meiner Mutter und ich hab dann einfach alles um mich herum vergessen.« Neugierig trat Trautman auf die Kiste zu beugte sich nach vorne und überflog den Inhalt mit einem schnellen Blick.
»Da ist ja Amrits Momentum!«, rief er erfreut aus, nahm das goldene Kästchen heraus und stellte sich neben Mike. »Lächeln!« Und schon blitzte es wieder. Nur diesmal schaffte er es, nicht ganz so dämlich zu gucken. Geblendet war er dennoch. Diesmal sah das Foto von ihm eher zerknirscht aus, wahrscheinlich weil ihn jeder ständig einfach fotografierte, ohne ihn vorher zu fragen, ob er das überhaupt wollte. Trautman betrachtete das Bild kurz lächelnd, steckte es dann in die Tasche seiner Kochschürze und beugte sich nach vorne, um das Album aufzuheben. »Darf ich?«, vergewisserte er sich bei Mike, bevor er es aufschlug. Dieser nickte, was Trautman wieder zum Schmunzeln brachte. Mit einem Gesichtsausdruck, der in alten Zeiten schwelgen versinnbildlichte, blätterte er die Seiten des Buches durch, bis er bei einer stehen blieb. »Ah, ich erinnere mich genau an den Tag, als ich dieses Foto geschossen habe!«
Mike nahm ihm das Buch ab und studierte das Bild genau. Es zeigte Singh, der noch recht jung sein musste, weil er anstatt des Turbans noch seinen Patka trug, und einen älteren Mann, der Singh so ähnlich sah, dass es sich dabei nur um dessen Vater handeln konnte. Beide grinsten in die Kamera, als hätten sie gerade ein Wunder bewerkstelligt, das Seltsame war aber ihr Anblick. Oder eher der von Amrit Singh, Ghundas Vater. Er sah ziemlich übel zugerichtet aus. Hatte einiges an blauen Flecken und Schrammen am Körper, viel mehr, als das bei Ghunda der Fall war.
»Oh Gott, was ist denn da mit auch passiert?«, entfuhr es Mike entsetzt. Seltsamerweise tauchte auf Singhs Gesicht nur ein stolzer Ausdruck auf und nicht das gleiche Entsetzen, das Mike gepackt hatte.
»Das war ein großer Tag, für meinen Vater und mich«, erklärte er, aber Mike konnte das nicht so wirklich glauben.
»Es sieht eher so aus, als wäre es der schlimmste eures Lebens gewesen!«
»An diesem Tag bin ich zum Mann geworden und habe mir den Posten als dein Leibwächter verdient.« Aber auch diese Erklärung verstand Mike nicht so ganz. Aber etwas dämmerte es in ihm, nur erschien ihm das ziemlich absurd.
»Doch nicht etwa, indem du deinen Vater verdroschen hast?«
Jetzt fing Trautman an zu lachen. »Doch, genau so! Ich hätte nie geglaubt, dass so ein Dreikäsehoch den guten, alten Amrit so durch die Gegend scheuchen kann, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. An diesem Tag konnte man wirklich behaupten, dass Ghunda seine Ausbildung abgeschlossen hatte.«
Ungläubig blickte Mike zwischen den beiden hin und her. In den Augen der beiden Männer sah man deutlich die Nostalgie und den Stolz, mit dem sie dieser Moment im Leben erfüllt hatte. Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte eine solche Tradition sein eigen zu nennen, freute er sich für Singh und war ebenfalls stolz auf diesen. Und ja, Amrit Singh hatte wirklich gute Arbeit geleistet, was die Erziehung seines Sohnes anging. Aus diesem war ein Mann geworden, von dem Mike heimlich träumte, wenn er ehrlich zu sich selbst war.
»Es war der Tag, an dem ich mir diesen Dolch verdient habe«, sagte Singh, während er die silberne, fein geschwungene Waffe wie ein heiliges Relikt in den Händen trug. Mike hatte sie schon oft an Singh gesehen. Der Dolch gehörte zu ihm, wie der Turban oder das lange Haar, dennoch hatte er sich noch nie groß Gedanken darüber gemacht. Jetzt hatte die Waffe gar etwas romantisches an sich.
»Hm«, macht er, weil er nicht wusste, was er sagen sollte und sich irgendwie von seinen Gefühlen zu Singh überrollt fühlte.
»Nun«, sagte Trautman. »Dann lass ich euch und den Schatz dort wieder allein.« Damit nahm er sich den Fisch und steuerte auf die Tür des Frachtraums zu. Bevor er ihn verließ, drehte er sich jedoch noch einmal zu den beiden um. »Da wäre übrigens noch eine Sache.« Erschrocken blickten Singh und Mike sich an. Hatte Trautman etwas von dem Moment, den sie vorhin hatten, mitbekommen und wartete jetzt mit der großen Standpauke auf? »Ich muss den Auflauf leider vertagen und Fischsuppe kochen.«
»Warum?«, entfuhr es Mike. Er hasste Trautmans Fischsuppe.
»Nun, ich musste so lange auf den Fisch warten, dass ich den ganzen Käse gegessen habe!«