Kapitel 8: Zähne
»Nein«, kam es zögerlich von Singh, während er sich von Mike herunter arbeitete. »Das war mein Dolch.« Mikes Augenbrauen zogen sich skeptisch nach oben.
»So? Dein Dolch, hm?« Mit einem Grinsen musterte er Singhs Körper, der offensichtlich so einiges an Überraschungen bot. »Bist du sicher, dass es nicht etwas mehr … biologisches … war?«
Mike hatte absolut keine Ahnung, was ihn dazu bewogen hatte, Singh so etwas zu fragen, aber der heutige Tag schien so weiter zu gehen, wie der letzte aufgehört hatte. Ziemlich verwirrend und untypisch. Dennoch war er auch neugierig, was ihm diese Veränderung bringen würde. Er war sich sicher, dass er, wenn er die Kiste durch hatte, nicht nur seine Mutter besser kennen würde, sondern auch seinen ehemaligen Leibwächter.
»Ganz sicher. Ein Dolch aus sorgfältig geschmiedetem Stahl.«
»Aber natürlich«, entfuhr es Mike, bevor er sich auch nur ansatzweise auf die Zunge beißen konnte. Weil das Ganze hier drohte recht seltsam zu werden, nahm er sich wieder das Buch seiner Mutter vor und blätterte zu den Fotografien, die er noch nicht gesehen hatte. Vor allem eine stach ihm dabei ins Auge. »Hey, was ist das denn?«
Das Bild erschien zuerst wie ein Foto, das aus versehen geschossen wurde und eigentlich direkt hätte entsorgt werden sollen. Beim genaueren Hinsehen erkannte man jedoch was es darstellte und der kleine Text darunter ließ Mike erneut grinsen. Da stand: »Amrit, wenn er vollkommen »nackt« ist.« Wobei nackt in diesem Fall nicht bedeutete, dass Mike sich gerade ein schlüpfriges Foto vom Vaters seines Leibwächters anschaute. Nackig hieß hier so viel wie waffenlos. Denn das Bild zeigte einen Stapel von Waffen, die man Amrit Singh wohl abgenommen und, die sich vorher alle an seinem Körper befanden, hatten.
Das brachte Mike auf eine Idee, um die Theorie von »Singhs Dolch aus Stahl« zu beweisen.
»Ich würde gerne wissen, ob deiner größer ist«, rief er aus.
»Was?!«
»Dein Waffenstapel!« Wieder einmal hatte Mike etwas gesagt und erst hinterher kapiert, wie falsch das klang. Was war nur los mit ihm? »Dein Waffenstapel. Wie der auf dem Bild. Ob du mehr hast, wollte ich wissen.« Damit hielt er Singh das Foto vor die Nase und versteckte sich, mittlerweile knallrot, dahinter. »Los, mach dich nackig!«
Es hörte einfach nicht auf …
»Ehm, ich … Wenn du darauf bestehst«, war die zögerliche Antwort. Mit ihr erwachte der Ehrgeiz, ob er tatsächlich bereits seinen Vater übertrumpft hatte, was sein Waffenarsenal am Körper betraf. Mike hätte vor Freude beinahe in die Hände geklatscht, setzte dann aber doch lieber einen abgeklärten Blick auf und räusperte sich.
»Dann mal los. Alles hierher.« Damit zeigte er auf den freien Platz vor sich, auf den er demonstrativ das Holzschwert legte. Dann begann Singh die erste Waffe von seinem Körper zu lösen.
»Da wäre der silberne Dolch, den ich von meinem Vater erhalten habe.« Voller Stolz betrachtete er die Waffe und auch Mike musste gestehen, dass sie sehr imposant aussah. Es folgten zwei kürzere Messer, für die er sich den Kummerbund abwickelte. Als dieser entfernt war, öffnete er sein Hemd ein Stück weit, sodass ein Gurt zum Vorschein kam, der um seinen Oberkörper gewickelt war. In diesem befanden sich zwei weitere Messer.
»Den kannst du mir gleich geben«, meinte Mike, als Singh ihn abwickelte. Er betrachtete das Teil eingehend und fand sogar noch winzig kleine Taschen, in die man Pfeilspitzen oder ähnliches hätte verstauen können. »Verrückt«, murmelte er und legte den Gurt mit auf den Haufen. »War das alles?«, fragte Mike, auf Singhs nackten Oberkörper schielend. Natürlich nicht!
Zwei Messer holte er noch aus den Stiefeln, dazu eine Reihe von Wurfmessern aus einer Tasche an den Hosenbeinen. Mikes Hoffnung wuchs, aber Singh zog sich leider nicht die Hose aus.
»Naja, da wäre jetzt noch der Säbel«, meinte Singh. »Aber den brauche ich an Bord ja nicht zu tragen.«
»Stimmt, du hast ja genug Metall an deinem Körper.« Nachdenklich musterte Mike Singh. »Warum eigentlich?« Sie waren hier an Bord der Nautilus und dennoch war Singh bis an die Zähne bewaffnet und verzichtete »nur« auf seinen Säbel.
»Nun, man weiß ja nie. Außerdem möchte ich dich in jedem Zwischenfall verteidigen können.« Er stockte, überlegte und dann fiel ihm doch noch was ein. »Oh, da ist noch was!«
»Ja?«, machte Mike hoffnungsvoll. Aber nein, die Hose blieb an. Stattdessen kramte Singh noch ein Wurfmesser aus seinem Turban. Der Stapel war nun ziemlich beachtlich und das waren nur die »sichtbaren« Waffen.
»Das waren alle. Wobei man beachten muss, dass ich auch ohne diesen Stahl gut kämpfen kann.« Oh ja, Singhs Hiebe und Tritte waren berüchtigt und gefürchtet! Damit hatte er schon so manchen Gegner entwaffnet und die Beute dann gegen diese benutzt.
»Hm, du könntest das Hemd und die Hose symbolisch drauflegen ...«, kam Mike die Idee, die im Kopf noch echt super klang. Aber Singh schien noch nicht recht überzeugt.
»Ich glaube nicht, dass ich das tun sollte.« Schade eigentlich, dachte er sich im Stillen.