Aachen anno Domini 2020 um 23 Uhr auf den angewitterten Zinnen des Aachener Domes. Die Uhr am Turm tickte so wie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde. Doch an diesem heiligen Tag fließt das Blut der Zeit durch die erzenen Adern des Domes. Erst in der letzten Stunde vor Mitternacht regt sich ein schwacher Puls bei den Gargoylen aller Kirchen in Europa. Master Dragon ist immer der erste, der aus seiner Lethargie erwacht. Seiner Form nach ähnelt er einem Drachen mit Hörnern und mächtigen Klauen. In der Minute vor Mitternacht kann er endlich seine Augen öffnen und spürte den eigenen ehernen Herzschlag in seinem Körper. Langsam streckte er sich und belebt seine versteinerten Muskeln. Noch träge schaute er sich nach seinen Freunden um, die noch Zeit brauchen um die Müdigkeit der letzten Wochen abzuschütteln.
Mit seinen steingrauen Augen durchdringt Dragon jede Mauer und jeden Dompfeiler des alten Doms, der diese archaische Gewölbe trägt. Die Glocken beginnen sich schwach zu bewegen und erst verzögert zu läuten, erst jetzt bricht sich der Strom des magischen Lebens durch die Herzen aus Stein, die die Gargoyle in sich tragen. Mit seinen Augen beobachtet Dragon die witzigen zweibeinigen Kürbisköpfe, Hexen und Monster, die durch die Gassen rund um seinen Wohnsitz schlendern und dabei zügellos entspannt lachen. Manche sind trunken und andere nur erhitzt durch die Hatz auf Süßigkeiten. Daneben erspäht er Zweibeiner in Geisterkostümen und Kleidung, die neumodischen Horrorerfindungen ähneln. Mit einem Kopfschütteln schiebt Dragon diese bedeutungslosen Eindrücke beiseite. Dragon ist der Herr dieser Nacht und der Verteidiger der Seelen.
Dragon entfaltete zuerst seine Flügel, um die brodelnde Lava durch seine Adern zu pressen und das Leben mit all seinen Facetten in sich zu spüren. Die Augen in seinem Haupt begannen zu glühen, wie das mörderische Morgenrot und die Lava in seinen Adern. Nach einem Schütteln erhebt Dragon seine raue Stimme. Menschen können seine Stimme nicht hören, denn der Zauber von Halloween verhindert, dass unsere Ohren mehr als ein leises Knistern hören. "Freunde der Nacht und Beschützer der sakralen Steinbastionen in den urbanen Steinwüsten. Wir waren und bleiben die Beschützer der zweibeinigen Narren, lasst uns den Willen von Alisanus folgen, der uns diese besondere Magie schenkte. Verteidigen wir nun unsere naiven Kinder und helfen ihnen vor den bösen Geistern dieser Nacht, die fremde Götter in dieses Land trugen. Besonders schlimm waren diese Nordkeltischen pseudochristlichen Kuttenträger, die mit jedem verlogenen Wort die Tore für die fremdartigen Geister öffneten. Hiesige Götter wurden in ihrem frömmelnden Hass einfach ermordet oder auf Scheiterhaufen verbrannt. Religiöser Wahn hat leider zu viele Götter der Gerechtigkeit aus unzähligen Ländern vertrieben. Trotz allem verteidigen wir die naiven Narren in dieser Stadt."
Er rief seinen alten Begleiter, bei dem auch schon die Augen im feurigsten Rot glühten. "Lupus Stegon komm. Wir vertreiben wieder die alten Geister aus den Flüssen und Wäldern, die die Seelen der Zweibeiner vergiften wollen. Thales und Zurcix, ihr rettet alle Tiere in Not und die anderen Gargoyle kümmern sich um die Zweibeiner, die in ihren närrischen Kürbiskostümen durch die Gassen ziehen oder schwanken. Mit euren Augen könnt ihr jeden Geist, gleichgültig – wie gefährlich er erscheinen mag, in Asche verwandeln. Iovantucaros wird euch auf all euren Wegen begleiten, denn die Jugend neigt dazu unvorsichtig zu sein. Lauscht dem bösen Gewisper der Geister und der jungen Narren. Löscht jeden Geist aus, denn das ist unsere Pflicht in dieser heiligen Nacht. Meine jungen Freunde, die aus neuem Stein geschlagen wurden. Verzagt nicht, denn unseren steinernen Herzen kann kein Geist etwas anhaben. Ihre Zauber wirken bei uns nicht.“ Mit mächtigen Schlägen seiner Schwingen erhob sich Dragon in die Nacht. Zugleich ließ er seinen Schattenbruder an dem angestammten Platz zurück. „Auf meine Freunde, beginnt eure Runden zu drehen und äschert die finsteren Gesellen der Nacht ein, die mit irischen Mönchen in unsere Region gelangten, als sie christliche Texte im Kerzenschein verbreiteten. Verschont keinen Gegner, selbst wenn er sich als Kürbiskopf tarnt.“
In kleinen Gruppen zogen sie durch die Straßen und Gassen von Aachen. Dragon kreuzte mit Stegus Lupus auf seinen Schwingen zum Hohen Venn. Immer wieder glühten ihre Augen auf und versengten die Geister, die sich aus den Wäldern erhoben. Egal ob es Eulums, Spirobel, Waldgeister oder Dilldappe waren, alle Geister traf sein magischer Blick. Auch Wassergeister, Rattone und Strombus Borbonii wurden bei der Hatz aufgespürt und rasch in asche verwandelt. Hunderte böse Geister wurden von ihnen zurück in die Finsternis gejagt. Erst kurz vor der Dämmerung kehrten sie zum Dom zurück und nahmen wieder ihre angestammtem Plätze ein, so als hätte es diese Nacht nie gegeben.