Isaac ließ sich gähnend neben mir auf die Couch fallen. Er streckte Arme und Beine weit nach vorne, bevor er den Kopf gegen meine Schulter lehnte. »Du bist noch wach?«
»Ja. Ich war noch nicht wirklich müde und dachte, ich schau nochmal, ob es neue Wohnungsangebote gibt.« Dabei deutete ich auf meinen Arbeitslaptop, der auf meinem Schoß stand und noch immer eine Immobilienseite im Browser anzeigte. Weitere waren in den anderen Tabs geladen.
Die Beine auf die Couch ziehend, kuschelte sich Isaac dichter an mich. »Und, wie sieht es aus? Ich glaub nicht, dass sich zu heute Nachmittag etwas geändert hat.«
Auf den unterschwelligen Tadel reagierte ich gar nicht erst. Er hatte recht, dass es auch nichts brachte, wenn ich mich zu viel da reinsteigerte, das wusste er auch, ohne das ich ihm das bestätigte. »Nicht wirklich. Ich hab im Grunde nur ein wenig rumgespielt, mal geschaut, wie es aussieht, wenn ich den Mietrahmen etwas nach oben anpasse. Aber im Endeffekt hab ich damit auch nur Wohnungen gefunden, die eigentlich zu teuer und zu groß sind.«
Sein Blick wanderte kurz zu den Einstellungen, die ich vorgenommen hatte, und er nickte.
Ich war nicht sicher, ob er es sich denken konnte, aber da ich nur geringfügig höher hatte gehen können, wurden mir nun vor allem größere Wohnungen in den nicht ganz so begehrten Vierteln der Stadt angezeigt. Ich war wirklich nicht wählerisch, wo ich wohnte, aber was sollte ich mit einer Wohnung, in der auch eine kleine Familie Platz fand? In Isaacs Wohnzimmer konnte ich aber auch nicht für ewig leben, also musste ich zumindest schauen und notfalls in den sauren Apfel beißen.
»War denn gar nichts dabei, was dir ansonsten gefallen hätte?« Isaac griff nach meiner Kaffeetasse, deren Inhalt komplett kalt war, und trank einen Schluck daraus.
Manchmal war ich mir bei solchen Fragen nicht sicher, ob er sich wirklich dafür interessierte oder ob nicht die einzige Motivation war, mich schnellstmöglich loszuwerden. Auch wenn ich ihm Letzteres nicht so wirklich hätte verübeln können, war der Gedanke unangenehm. Ich hoffte wirklich, dass es unserer Beziehung nicht schadete, dass ich gezwungenermaßen so lange blieb.
»Nur eine, die gar nicht so viel teurer ist, die aber scheinbar bisher ausgefiltert wurde, weil ich die Anzahl der Zimmer beschränkt hatte.« Ich rief den Tab auf, den ich offengelassen hatte, weil ich eben auch nicht so viele andere Optionen hatte.
Langsam blätterte ich für Isaac erneut durch die Bilder. An sich war die Wohnung echt schön, auch wenn sich der geringe Mietpreis sehr schnell durch die Schienen der T erklärte, die direkt vor der Tür verliefen. Tatsächlich bezweifelte ich aber, dass es sehr viel schlimmer als eine Hauptstraße vor dem Schlafzimmerfenster war. Außerdem befanden sich links und rechts noch weitere Mieteinheiten, sodass es nur an zwei Seiten Fenster gab. Was mich jedoch deutlich abhielt, waren die zwei bis drei Zimmer zu viel. Neben Wohn- und Schlafzimmer brauchte ich nicht wirklich weitere. Vielleicht das zweite im ersten Stock noch als Arbeitszimmer, aber was sollte ich mit zwei weiteren im Keller anfangen?
»Hey, warte! Geh nochmal zurück«, holte mich Isaac aus meinen Überlegungen.
Ein kurzer Blick auf die Bildübersicht genügte, damit ich zu dem Bild zurückkonnte, das ziemlich sicher seine Aufmerksamkeit erregt hatte: Jemand hatte einen der Räume im Keller komplett schallisoliert – ähnlich wie Isaac es mit dem begehbaren Schrank getan hatte, den er Arbeitszimmer nannte; nur eben in einem deutlich größeren Maßstab.
»Ha, das ist dann mein Zimmer!«, witzelte er, als er fertig war mit Staunen.
Lachend legte ich den Arm um ihn. »Ach, dann kommst du nicht mehr nur zum Ficken vorbei, sondern auch zum Arbeiten?«
»Genau!« Er kuschelte sich gegen meine Brust und küsste mich von unten auf das Kinn. »Oder ich erspare mir den Stress, ständig hin- und herzufahren, und ziehe einfach gleich in den Keller.«
»Alles klar, so machen wir das.« Amüsiert schnaufte ich und beugte mich vor, um ihn zu küssen.
Als sich unsere Blicke trafen, erstarrte Isaacs Lachen plötzlich. Das amüsierte Funkeln wurde von einem mir unerklärlichen Schrecken ersetzt. Für einen Moment fürchtete ich, er würde eine Panikattacke erleiden, doch tatsächlich schluckte er nur nach einigen Sekunden schwer, befreite sich aus meiner Umarmung und setzte sich auf.
Besorgt streckte ich die Hand nach ihm aus, zog sie jedoch zurück, bevor sie ihn berührte. Ich wusste nicht, was seinen plötzlichen Stimmungswandel ausgelöst hatte und im schlimmsten Fall würde die Berührung ihn noch verschlimmern.
Langsam drehte er den Kopf zu mir. »Tut mir leid, ich wollte mich nicht aufdrängen.«
»Warum aufdrängen?« Verwundert schüttelte ich den Kopf. »Das war doch nur Spaß ... oder?«
Er lächelte leicht. »Ja. Oder sollte es zumindest sein. Aber«, er atmete tief durch, »mir ist gerade aufgefallen, dass es durchaus auch die Lösung für das Problem sein könnte; weil du meintest, die Wohnung ist zu groß für dich allein.«
»Hm. Ja, sicher wäre eine WG daraus machen eine Möglichkeit. Ich hab nur nicht so wirklich darüber nachgedacht, weil in eine WG zu ziehen für mich immer eine Notlösung gewesen wäre, weil ich auch nie gewusst hätte, wie gut das mit den Mitbewohnenden und den Leuten klappen würde, die mich regelmäßig besuchen.«
»Ja klar, versteh ich. Ich hab ja auch ein paar Jahre in einer größeren WG aufm Campus gelebt. Das ist manchmal echt nervig, vor allem weil wir jeweils zu zweit auf den Zimmern waren.«
Eindringlich beobachtete ich Isaacs Miene. Sie war neutral, seine Worte und sein Ton ebenfalls, doch es war fast schon zu neutral. Ich hatte das Gefühl, er versuchte etwas dahinter zu verstecken.
Er erwiderte meinen Blick offen und zog nach einem Moment einen Mundwinkel leicht nach oben. »Ich glaub, ich sollte ins Bett gehen.« Im Aufstehen hauchte er mir einen Kuss auf die Lippen. »Schlaf schön und mach nicht mehr so lange. Du hast sicher noch ein paar Tage, um dir zu überlegen, ob du die Wohnung haben willst.«
Ich erwiderte den Gute-Nacht-Kuss. Während er noch meine Tasse vom Tisch sammelte und sie in die Küche brachte, klappte ich den Laptop zu, um seiner berechtigten Aufforderung nachzukommen. Dabei fiel mein Blick noch einmal auf die Bilder der Wohnung, insbesondere das noch immer vergrößerte des schallisolierten Zimmers. Für Isaac war das sicher ein Traum ...
»Isaac?«, hielt ich ihn ruhig auf, gerade bevor er das Zimmer verlassen konnte.
Mit einem fragenden Laut drehte er sich zu mir um und legte den Kopf leicht schief.
»Magst du mir sagen, was wirklich deine Gedanken dazu sind?«
»Zu der WG-Sache?«, fragte er nach und zuckte auf meine Bestätigung seufzend mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich hab es eigentlich nur, ohne nachzudenken, im Scherz gesagt. Aber im Grunde wäre es halt eine Lösung. Und je länger ich darüber nachdenke, desto eher denke ich, dass es durchaus recht cool sein könnte.«
Erneut sah ich ihn eine Weile nachdenklich an. Ich war nicht ganz sicher, wie ich darauf reagieren sollte.
Wieder zuckte er mit den Schultern und hob diesmal auch die Handflächen an. »Was soll ich dir sagen? Die letzten Monate waren manchmal echt nervig, aber wir haben es trotzdem irgendwie hinbekommen und eigentlich fand ich es ganz nett. Aber ich kann auch absolut verstehen, wenn du lieber für dich allein bist. Dachte ich eigentlich für mich auch.«
Leicht schüttelte ich den Kopf. Irgendwann würde ich auch noch lernen, dass er es als Aufforderung zum Weiterreden sah, wenn ich ihn musterte. Und daher schaffte ich es kaum, meine Gedanken zu ordnen, weil immer wieder neue dazukamen. »Hat dich das gerade so erschrocken?«
Wenig begeistert runzelte er die Stirn und schob die Lippen hin und her, bevor er nickte. »Für mich war eigentlich klar, dass ich nie wieder mit jemandem zusammenziehe; aus vielen Gründen. Darum hat es mich erschrocken, dass ich mir das wirklich vorstellen kann. Aber gerade fällt mir kein Grund ein, bei dem ich nicht das Gefühl hätte, dass wir das hinbekommen würden.«
»Bitte nimm es mir nicht übel, aber: Du verrennst dich da aber nicht gerade in einen Gedanken, oder?« Es wäre nichts Neues, dass er einen Gedanken erst sehr euphorisch guthieß, nur um später festzustellen, dass es ihm doch zu viel war.
Er lächelte leicht, auch wenn es kein fröhliches Lächeln war. »Ich weiß es gerade nicht. Aber ist doch auch egal. Du möchtest es nicht und das ist in Ordnung. Tut mir leid, wenn es so wirkt, als wäre ich deshalb wütend oder enttäuscht; es ist wirklich nicht der Fall. Ich bin nur müde und etwas überfordert mit mir selbst.«
»Komm mal her.« Ich winkte ihn mit der Hand zu mir und zog ihn neben mich auf die Couch, als er nah genug war. »Ich habe nicht gesagt, dass ich vollkommen dagegen bin. Aber ich bin etwa genauso überrascht von der Möglichkeit wie du. Und während für dich dabei scheinbar einige Sorgen nicht dabei sind, die du bei anderen hättest, ist es bei mir spontan eher andersherum. Zum einen die Angst, dass du dich verrennst und es bereust, zum anderen ... Ich bin nicht sicher, wie berechtigt die Sorge bei dir ist, aber es wäre gerade in der Situation sehr schwierig, wenn wir nicht mehr 100% übereinstimmen würden, in welchem Verhältnis wir zu einander stehen.«
Isaac lachte; und diesmal war es wieder ein ehrliches Lachen. »Also in kurz: Du befürchtest, dass wir nicht mehr dasselbe aus unserer Beziehung wollen könnten, während ich mir eigentlich sicher bin, dass es nach wie vor so ist?«
Etwas verstimmt nickte ich. Ich wusste nicht, was es daran zu lachen gab.
Entschuldigend küsste er mich. »Tut mir leid. Es ist nur echt erleichternd, wenn ausnahmsweise mal nicht ich derjenige bin, der sich verrückt macht. Ich versteh es; gerade im Bezug aufs Zusammenziehen. Darum: Wirklich, ich bin nicht böse, wenn du das nicht möchtest. Und ich sehe auch keinen Grund, das jetzt, mitten in der Nacht, zu entscheiden.«
Ich zog ihn an mich und küsste seine Stirn. »Du hast recht. Wir sollten beide darüber schlafen und dann ausgeschlafen reden.«
Wohlig seufzend lehnte er sich gegen mich. »Ist es kontraproduktiv, wenn ich frage, ob ich heute Nacht mit dir auf der Couch schlafen kann? Mir wäre gerade sehr nach Kuscheln.«
»Können wir dann lieber in dein Bett? Da ist etwas mehr Platz und bequemer.«
Begeistert lächelnd stand er auf und reichte diesmal mir die Hand, um mit mir gemeinsam das Zimmer zu wechseln.
Als wir nach einiger Zeit endlich gemeinsam in seinem Bett lagen, kuschelte sich Isaac an mich und murmelte leise: »Ich liebe dich und das ändert sich nicht, auch wenn wir in der Sache nicht zusammenfinden.«
Liebevoll streichelte ich durch seine Haare. »Ich weiß, Isaac. Ich weiß.«