»Hey!« Ich begrüßte Lance mit einem Handschlag und rückte dann in die Bank ein, damit er sich neben mich setzen konnte.
Er grüßte zurück und blätterte bereits durch die Karte, bevor er richtig saß. »Weißt du, was Latisha mit uns besprechen wollte und wie lange das Treffen etwa dauern wird?«
»Nein, keine Ahnung. Hast du noch was vor?«
»Jupp. Ich hatte für heute eigentlich ein Date geplant und musste es jetzt auf später verschieben.«
»Sorry. Tish hat mir auch erst heute Bescheid gesagt. Ich weiß nicht, was so dringend war.« Hilflos hob ich die Hände. »Aber das wird sie uns ja gleich verraten.«
Wie immer auf die Sekunde genau betrat unsere Managerin das Diner. Seit wir sie zuletzt gesehen hatten, hatte sie sich grüne Strähnen in ihre langen Flechtzöpfe gewoben.
Über den Tisch hinweg umarmte sie uns. Erst Lance, dann mich. Noch in der Umarmung fragte sie: »Warum ist Lance hier? Ich wollte nur mit dir reden.«
Lance warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Wenn es um die Band geht, dann sind wir beide Ansprechpartner.« Etwas verwirrt sah ich sie von der Seite an. Sie arbeitete so lange mit uns, das wusste sie doch, dass wir unsere Businesstermine immer zu zweit machten.
»Yeah ... Aber es geht nicht um die Band. Nicht wirklich.«
»Äh ... okay.« Jetzt war ich umso mehr überfragt, was sie besprechen wollte. Es war noch nie vorgekommen, dass sie mit mir über etwas reden wollte, was nicht die Band betraf. Das war mir etwas suspekt.
»Du kannst aber natürlich trotzdem bleiben und bist ebenfalls eingeladen«, wandte sie sich an Lance, der bereits vorsichtige, aber skeptische Anstalten machte, aufzustehen.
Noch einmal sah er mich von der Seite an, zuckte dann mit den Schultern und nahm wieder die Karte auf. »Was soll’s. Jetzt bin ich einmal hier.«
Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Nein, das lag ganz sicher nicht an der Essenseinladung.
»Ihr habt noch nicht bestellt?«
Ich schüttelte den Kopf und warf ebenfalls einen Blick auf die Karte vor mir. Jetzt musste ich mich wohl beeilen, wenn sie so fragte, hatte sie Hunger und würde ungeduldig werden.
Erst nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten, wagte ich, zu fragen, weshalb sie uns – oder besser eher mich – treffen wollte.
Mit einem Fingerzeig bedeutet sie mir, kurz zu warten, während sie in ihrer Tasche wühlte. Erst nachdem sie eine kleine, doch sehr offiziell aussehende Mappe herausgezogen hatte, sah sie mich wieder an. »Ich hab mir die Songdemos für das neue Album angehört.«
Erneut konnte ich mir einen skeptischen Blick nicht verkneifen. Das klang doch sehr nach einer Bandangelegenheit.
Unbeirrt sprach sie weiter: »Das meiste ist gut und die Details besprechen wir ein anderes Mal. Deshalb wollte ich jetzt nicht mit dir reden.«
»Sondern?«, fragte ich nun doch. Mir gefiel nicht so wirklich, wie sie das Gespräch einleitete.
»Ich muss mit dir meckern, Isaac!« Aus ihrer Stimme erkannte ich nicht wirklich, ob sie das ernst meinte oder es eher eine Übertreibung oder sogar scherzhaft gemeint war. Ich meinte, durchaus einen Tadel zu hören, aber es klang dennoch nicht nach einem wirklichen Meckern.
Das Blatt, das sie aus der Mappe zog und mir überreichte, half mir in der Sache auch nicht weiter.
Es dauerte einen Moment, bevor ich erkannte, was darauf stand, da nicht alles gut lesbar und richtig war. Offenbar hatte sie den Songtext von ›Demon‹ auf der Demo mitgeschrieben. Dem Song, den ich Lance vor einigen Monaten nach meinem Streit mit Tino vorgeschlagen und nach seiner Zustimmung für das Album fertig geschrieben hatte.
»Was ist damit?«
»Isaac, das könnt ihr nicht bringen! Das bringt euch in Teufelsküche!«
Während Lance kurz über den ungewollten Wortwitz lachte, schüttelte es mich. Unweigerlich hatte ich den Gedanken, dass es eher des Dämons Küche sein sollte. Und ich dort nie wieder hin wollte!
Dennoch verstand ich noch immer nicht ihr Problem. Lance und ich waren sichergegangen, dass niemand erkennen würde, um wen es in dem Lied ging. Zumindest niemand ohne näheres Hintergrundwissen. Hintergrundwissen, das sie nicht haben konnte.
Es sei denn natürlich, jemand – es musste Lance sein – hatte ihr etwas erzählt. Entgegen jeglichem Versprechen.
Bevor ich ihn deshalb anmotzen konnte, seufzte Latisha und sprach weiter. »Jungs ... Ihr versteht es nicht, oder?«
Vorsichtig schüttelten wir die Köpfe.
»Ihr meintet es sicher gut und dachtet euch ›Hey, n wichtiges, aktuelles Thema, lass mal was dazu machen‹. Löblich und so. Aber Blutlaster ist eine reine Männerband. Euch nimmt das niemand ab. Nicht so. Ganz im Gegenteil, ihr werdet dafür in der Luft zerrissen werden! Das ist kein Thema, das ihr euch einfach so aneignen könnt. Das solltet ihr Betroffenen überlassen.«
Hilflos suchte ich Lance’ Blick. Jetzt war ich froh, dass es ein Missverständnis gegeben hatte und er ebenfalls bei dem Gespräch dabei war. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Lance wirkte ebenfalls etwas überfordert. »Ich versteh nicht ganz. Wir sind doch nicht die erste Band, die das Thema Beziehungsgewalt aufgreift.«
»Das Problem ist in erster Linie nicht das Thema, sondern das wie. Würde das Lied einfach nur darauf aufmerksam machen, dann wäre das okay. Aber das hier«, sie tippte mit Nachdruck auf das Blatt vor mir, »das geht zu weit. Isaac, du kannst dich nicht auf die Bühne stellen, das singen und erwarten, dass die Leute sich denken ›der Kerl weiß, wovon er redet‹. Im schlimmsten Fall glauben die Leute, dass du selbst Täter bist, im besten nehmen sie es einfach nicht ernst.«
Ja, das wäre wohl die logischste Schlussfolgerung ...
»Scheiße«, murmelte Lance halblaut vor sich hin und ließ sich nach hinten gegen die Rückenlehne fallen.
Latisha verstand das wohl als Eingeständnis, dass sie recht hatte. Zumindest sah sie zufrieden aus.
Andererseits konnte das auch am Essen liegen, das gerade vor uns abgestellt wurde. Omelett mit Bacon für mich, eines mit Hummerfleisch für Latisha, dazu Toast und Bratkartoffeln, und ein Burger mit Salat statt Pommes für Lance.
»Die Sache ist: Das Lied ist gut. Zu gut, um es wegzuwerfen. Ich habe daher eine Band kontaktiert, für die das passen könnte, und gefragt, ob sie Interesse hätten, dir die Rechte abzukaufen. Sie haben ein Angebot für dich. Ihre Sängerin kommt«, Latisha sah kurz auf ihre altmodische Armbanduhr, »in einer halben Stunde her, um die Details mit dir abzusprechen.«
»Nein!« Dass Latisha ihre Gabel zur Hand nahm, war eigentlich ein deutliches Zeichen, dass das Gespräch vorerst beendet war. Doch ich konnte das nicht einfach so hinnehmen.
Etwas verärgert legte sie das Besteck zurück neben ihren Teller und sah mich eindringlich an. »Du hast aber schon verstanden, was ich euch gerade klar gemacht habe, oder?«
»Ja.« Ja, hatte ich. Ich hatte es sogar sehr gut verstanden. Dennoch war ich nicht einverstanden.
Ich knirschte mit den Zähnen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ihr könnt den Song nicht performen und auch nicht veröffentlichen. Isaac, das ist doch nicht der erste, den du verkaufst.«
Bei jedem anderen Lied hätte ich auch sofort zugestimmt. Schließlich nahm ich als Songwriter mittlerweile mehr ein, als mit der Band an sich. Aber nicht dieses Lied! Entweder sang ich es oder niemand.
Latisha sah es wohl als einlenken, dass ich nicht widersprach, sondern seufzte und mich wieder nach vorne lehnte, die Ellenbogen auf den Tisch stützte und das Gesicht in die Hände legte. Sie nahm ihr Besteck wieder auf und aß.
Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Lance mich noch einen Moment beobachtete, bevor er sich ebenfalls seinem Essen widmete.
Auch wenn ich mich von ihm alleingelassen fühlte, hatte er doch recht: Ich musste allein entscheiden, was geschehen sollte.