Genre: Angst
Rating: P12
Typus: Geschichte
Disclaimer: Alles meins.
Upload: Sporadisch
Kurzbeschreibung: Mein Mann hat Epilespie. So weit, so gut, so – normal? Doch er muss die Anfälle nicht ertragen, dass muss ich. Er hat das Gewitter im Kopf und ich muss zusehen wenn es ausbricht. Und ich kämpfe mit der Angst
Anmerkung der Autorin: Nichts gebetat. Aber wer lässt auch schon Tagebucheinträge und Gedankenfetzen Korrekturlesen? Deswegen dürfen alle Zeichensetzungs- und Tippfehler vom Finder behalten werden.
Außerdem ist es wirr und nicht irgendwie sonderlich strukturiert. Ich versuche hier lediglich meinem inneren Druck Herrin zu werden. Deshalb erwartet auch keine grandiose Wortgewalt.
Vielleicht findet ja ein Austausch mit ebenfalls Betroffenen statt. Das würde ich mir wünschen. Hoffentlich nimmt dann auch meine momentane Angst und mein Unwohlsein ab.
Gewitter im Kopf – Und ich muss zusehen
1.
Mein Mann hat Epilepsie. Aufwach-Grand-Mal, wie ich herausgefunden habe. Also zumindest wie man es auch gerne fachsprachlich nennt. Oder besser gesagt, wie ich es durch willkürliches Googlen herausgefunden habe. Die Diagnose wurde am 24./25.03.2019 gestellt. Da hatte er einen Anfall bei einer LAN-Party. Vorteil: Ich war nicht dabei und musste mir das nicht mitansehen. Nachteil: Mich rief ein Kumpel an und meinte nur: „O. Ist umgefallen.“
„Wie umgefallen?“
„Der ist einfach vom Stuhl gefallen. Was sollen wir jetzt machen?“
„Na den Notarzt rufen?!“
F. muss wohl direkt daneben gesessen haben, als es passiert ist. Heute, drei Anfälle später die ich selbst ertragen musste, kann ich nachvollziehen, warum er so überfordert war.
Nur ich hab damals nicht an Epilepsie gedacht. Ich war ja vier Jahre mit meinem jetzigen Mann zusammen und hatte bis dahin keinen einzigen Anfall miterlebt. Und dabei sind wir beide Festivalgänger, wo Schlafmangel und exorbitanter Alkoholkonsum ja an der Tagesordnung sind. Er ist ja sogar auch ohne mich aufs Festival gefahren und da war auch nie was. Es war alles „gut“, bis zum 23.03.2019 – vier Tage vor meinem 29. Geburtstag. Mein größtes Geschenk war also er, als er zwei Tage vorher wieder aus der Uniklinik entlassen wurde. Ich hatte ja schon an Tumor, Schlaganfall oder sonst was gedacht, weil man mir ja sagte, er wäre ohnmächtig und danach orientierungslos gewesen, konnte nicht sprechen, hat viel vergessen. Er wollte ja sogar noch am selben Tag entlassen werden, wo aber nicht nur ich dagegen war. O. hat sich dann – glücklicherweise – gegen eine Entlassung und für einen Klinikaufenthalt entschlossen.
Wo war ich? Er wurde entlassen. Mit Medikamenten. Lamotrigin, die er ab sofort nehmen sollte und er sollte sich natürlich schnellstmöglich einen Neurologen suchen. Fußläufig von uns befindet sich, zum Glück, eine und wir, bzw. O. war/ist mit ihr auch sehr zufrieden. Bei ihr habe ich auch dann endlich mal ein ordentliches Aufklärungsgespräch bekommen, dass nicht nur auf dem Gang im Krankenhaus aus einem Satz bestand. „Sorgen Sie einfach dafür, dass er genug schläft.“ Das wars dann auch. Mir hat keiner gesagt, auf was ich noch achten, oder wie ich damit umgehen soll, wenn er mal einen hat. Ich hatte ja auch gesagt, dass ich bei dem Anfall nicht dabei gewesen bin. Aber das war völlig egal. Auch über Os Wunsch, mich bei dem Aufklärungsgespräch zur Rückenmarksbiopsie dabei zu haben, wurde gnadenlos darüber gerammelt, als hätte es seine oder meine Wünsche nie gegeben.
Jedenfalls habe ich mich bei der Neurologin besser aufgehoben gefühlt. Ich hatte sogar das Gefühl, dass sie meine Ängste und Sorgen verstünde, wo ich mir heute – über anderthalb Jahre später – nicht mehr so sicher bin. Die Neurologin sagte mir, worauf ich achten soll, wenn er denn einen Anfall bekommen sollte, wo ich in der Nähe bin.
- Nicht versuchen ihm irgendwas in den Mund zu stopfen, wo er drauf beißen kann. Entweder breche ich ihm den Kiefer, oder er beißt mir die Finger ab. Beides nicht sonderlich schön. Und wenn wir mal ehrlich sind – und ich um drei wundervolle Anfälle reicher – da kriegst du auch nichts rein geschoben. Da tut man ihm nur noch mehr weh.
- Danach einfach stabile Seitenlage, damit er die Zunge (oder Erbrochenes) nicht verschlucken kann und dann abwarten. Mehr als warten, bis es vorbei geht, kann man nämlich eh nicht. Einen Anfall kann man nicht aufhalten, außer mit Notfall-Medikmenten, die wir nun einmal nicht zu Hause haben. Die werden ja auch nur mitgegeben, wenn sich die Anfälle jetzt exorbitant häufen.
- Und am besten schaut man dabei noch auf die Uhr, damit auch ja nicht die magischen fünf Minunten überschritten und aus dem epileptischen Anfall kein lebensgefährlicher Status epilepticus wird. Dann muss der Notarzt alarmiert werden.
- Bestenfalls schiebt man alle potentiell gefährlichen Dinge aus seinem Bereich und achtet darauf, dass sein Kopf gesondert geschützt werden soll und – wenn nötig und möglich – soll alles um den Hals herum entfernt werden. Mittlerweile frage ich mich ernsthaft, wie das bei einem Grand-Mal gehen soll.
- Nicht festhalten! Da können, wenn es ganz doof kommt, auch obendrein noch Knochen brechen. Aber das hab ich mich eh nicht getraut.
- Und ganz wichtig: Ruhe bewahren und den Patienten nicht alleine lassen, weil die meist orientierungslos und verletzlich sind. Ich verstehe das. Ich habe an meinem Mann gesehen, dass das wirklich Wunder wirken kann. Das ihm das hilft. Aber hat auch nur mal einer daran gedacht, was das mit dem Angehörigen macht? Demjenigen der das sieht? Das ist der blanke Horror, die nackte Angst, die grenzenlose Panik.
Geht der Anfall nicht zu lange? Hat er Schmerzen währenddessen? Was ist, wenn er zu lange keine Luft mehr bekommt? Behält er dann einen Hirnschaden zurück? Was ist mit seinem Herz? Schlägt das weiter? Hört das vielleicht irgendwann auf? Diese blauen Lippen, dieses verkrampfte Gesicht, dieser orientierungslose Blick danach. Dieser, sich verkrümmende Körper. Diese riesigen Pupillen. Diese verzerrte Fratze... Anders als verzerrte Fratze kann ich es einfach nicht beschreiben, als hätte er eben wirklich Schmerzen. Aber da muss ich mich auf die Worte von O. verlassen. Wenn er sagt, dass er in dem Moment überhaupt nichts spürt und das noch mal wie Sekundenschlaf ist, dann muss ich ihm das glauben. So wie ich aushalten und zusehen muss. Das Zusehen ist das Schlimmste.
Aber ich greife ja vor. Ich greife anderthalb Jahre vor. Denn anderthalb Jahre war ja einfach nichts. Mehr oder weniger gut hat O. das regelmäßige und ausreichende Schlafen durchgezogen und durchgehalten. Wir sind sogar wieder aufs Festival gefahren, wobei O. Dann einfach den Alkohol weggelassen, bzw. sich mal maximal zwei Bier am Tag gegönnt hat. Wir werden ja auch nicht jünger und er hat auch festgestellt, dass ihm die Sauferei nicht fehlt. Ihm waren die Leute und die Mucke wichtig. Und da ich auch bis dato nie einen Anfall gesehen hatte, hatte ich auch nie wirklich Angst. Ich habe darauf geachtet, ob seine Augenlider flackern – das taten sie vor der Medikation nämlich sehr oft und ich wusste, dass da irgendwas nicht stimmt, aber greifen konnte ich es nie – und wenn sie es nicht taten, war ich beruhigt. Er hat Sport getrieben, sich einen Nebenjob angelacht und da einen unheimlich großen charakterlichen Sprung gemacht. Und das obwohl seine Donnerstage da immer länger als alle anderen Tage waren. Dafür hat er freitags genug geschlafen. Meist sind wir zusammen gegen zehn Uhr auf dem Sofa vor einem Stream, nem Youtube-Video oder einem Film eingeschlafen. Und am Wochenende war auch spätestens um halb zwei Schicht im Schacht und er hat sonntags dann bis neun geschlafen.
Das Einzige, was ihn wirklich gestört hat war die Tatsache, dass man ihm ein Fahrverbot von einem Jahr reingeprügelt hatte. Natürlich ist das verständlich. Wir glaubten zwar, dass es sich um eine „Epilepsie aus dem Schlaf heraus“ handelte, aber genau konnten wir das ja gar nicht sagen. Also bin ich ein Jahr überall hingegurkt, wo wir hin mussten. Zum Glück hatte O. einen Kollegen, der ihn immer mit auf Arbeit genommen hat, der jetzt aber seit Ende Oktober in Rente gegangen ist. Wir er jetzt also auf Arbeit kommt und wieder zurück und für wie lange er das durchhalten kann, weil er dadurch um einiges zeitiger aufstehen muss, beschert mir graue Haare. Und nicht nur mir, ihm auch. Er will nämlich auch nicht auf jemanden angewiesen sein. Ihm fehlt die Freiheit, da hin zu fahren, wo er möchte. Wann er möchte. Und natürlich ob überhaupt. Ich bin ja immer noch der Meinung, dass er zumindest den einen Kollegen ja mal fragen könnte, ob er den Weg über unsere Wohnung macht. Ich hoffe, ich kriege ihn noch dazu.
Als er jedenfalls dann wieder fahren durfte, wurde ich auf den Beifahrer verbannt und ich fand es gut so. Ich hatte ja gesagt, dass er dann alles fahren müsste, was lange Strecken angeht, denn er vermisste ja das schnelle Fahren auf der Autobahn und die kurvenreichen Strecken in meiner Heimat. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, dass diese Fahrten ihn auch anstrengen könnten. Vor allem die zu meiner Mutter, weil auf der Strecke die Autobahn freitags gerne mit Stau über weite Kilometer gesegnet ist. Aber auch dazu komme ich später.
Es war schön so, die Diagnose rückte immer in weiter Ferne, weil er ja super auf das Lamotrigin ansprach. O. hat sogar auf eine geringere Dosis angesprochen, auch wenn das EEG noch nicht perfekt ausgesehen hat. Aber daran wollte die Neurologin im neuen Jahr – irgendwas um den 20. Jänner herum – noch mal nachschauen. Seine Arzttermine bei der Neurologin wurden ja auch von einem im Quartal auf einmal im halben Jahr verlängert. Das lief perfekt. Zu perfekt, will ich jetzt meinen. Denn im April wurde ich, nach zweieinhalb jährigen Probieren und Hadern, schwanger.
Unser Leben war perfekt. Ja, trotz Corona war das schon verdammt gut. Ich durfte aufgrund von Home-Office zu Hause bleiben, er ging arbeiten. Ich konnte meine Schwangerschaft die ersten Monate gut geheim halten und er hatte auch keinen großen Menschenkontakt. Wir mussten zwar unsere große Hochzeitsfeier absagen, die wir schon ein Jahr vorher zu planen begonnen hatten, aber nach anfänglichen (und hormonellen) Jammereien meinerseits hatten wir uns auf eine kleine Feier Ende September eingestellt und gefreut. Nur die engsten Freunde und Familie, ein Abendessen in meiner Heimat, damit auch mein Vater im übertragenen Sinne irgendwie dabei sein konnte und das wars. Natürlich wurde es auch da später als sonst und auch die Nacht davor war jetzt nicht von viel Schlaf geprägt. Dann natürlich das Frühstück neun Uhr im Hotel. Auch da musste ich schon nachts sehr oft aufs Klo, aber nichts ist passiert. Rein gar nichts. Als hätten wir uns zu sehr auf die Medikamente verlassen. Oder die Tatsache, dass unsere erste Schwangerschaft nach so vielen Startschwierigkeiten einfach wunderbar und komplikationslos an uns vorbei zieht. Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie wir das mit dem Schlafdefizit machen, wenn unser Kind dann da ist, aber ich hatte mich im rosa Wattefluff eingenistet und gedacht: Ja, mit nem Beistellbett wird das schon gehen, weil das Kind dann nicht so wach wird und ich auch nicht. Also kriegt O. bestimmt genug schlaf. Beim Wickeln muss ich zwar dann raus auf den Flur, aber auch das geht irgendwie. Er ist ja gut eingestellt. Wie verflucht, beschissen, verkackt naiv ich war.
Dann kam der 24.10.2020.