6.
Ich lebe noch und bin immer noch schwanger. Also nichts mit: Ihr Kind muss eher geholt werden, wenn Sie Schwangerschaftsdiabetes haben. So oft, wie mir auch der Chefarzt des Krankenhauses gesagt hat, dass mein Kind groß, aber zart ist und er keinen Grund sieht, sie eher aus ihrer Wohlfühlumgebung herauszuholen, hätte mich das auch gewundert. Ich darf dann im neuen Jahr wieder ins Krankenhaus, einen Tag vor ET. Dann schauen wir weiter. Wenn sich das Kind bis dahin nicht auf den Weg macht. Mittlerweile muss ich aber auch sagen, geht mir meine Verwandschaft ordentlich auf den Zünder, was den Geburtstermin angeht. Nicht, weil sie die ganze Zeit fragen, sondern weil die mir schon seit Beginn der Schwangerschaft damit auf den Sack gehen, dass das Kind ja noch dieses Jahr kommt. Das das ein Weihnachtswunder wird. Oder ein Silvesterkracher. O. ist deshalb schon bei mir völlig ausgeflippt und ich habe meiner Mutter auch schon gesagt, dass mir das auf den Zeiger geht, weil mich das unter Druck setzt. Problem nur: Meine Mutter hört gerne nur das, was sie hören will und ist danach beleidigt, wenn ich vehement auf meiner Meinung bestehe. Teilweise weiß ich ja, woher das kommt, es ist dennoch unglaublich anstrengend.
Das CTG war in der Zwischenzeit mal nicht so der Knaller, weshalb ich jetzt die letzten Wochen zwei Mal innerhalb der Woche zur Frauenärztin musste. Offenbar war mein Kind in der Zeit aber der Meinung, die Seiten wechseln zu müssen, sodass es plötzlich mit dem Rücken auf der linken Seite lag und nicht mehr rechts. Wenn es der Meinung ist, bitteschön. Es wird schon wissen, was richtig für es ist. Angeblich ist es jetzt auch mal ein Stück nach unten gerutscht, aber so richtig im Becken liegt es halt auch noch nicht.
Über die Ernährungsberaterin der Diabetologin will ich gar nicht mehr so viele Worte verlieren. Ich musste seit meinem letzten Termin, zum Glück, nicht mehr hin. Sie hat zwar gemeint, dass sie mich nicht mehr sehen brauch, weil ich ja noch genug Besorgungen zu erledigen habe, aber ich denke Corona und das es Ende des Jahres ist, tut sein Übriges. Ich sollte ihr dann aber halt noch in der Woche vom 14. bis 18.12. mein Protokoll per Foto zusenden. Da ich vorbildlich bin, habe ich das natürlich getan. Mit dem Ergebnisprotokoll aus dem Krankenhaus und dem damit gut zu sehenden Zustand des Babys. Ich zitiere : „... Bis auf kleine Ausnahmen sind die Werte doch super. Versuchen Sie bei großem Appetit die Mahlzeiten etwas zu verteilen...“ Weil ich einen Wert von 8,5 hatte. Anstelle nachzufragen, woher das kommt, kam gleich wieder die Keule mit dem Essen. Meine Antwort darauf war folgende „... Ich bin ehrlich gesagt, etwas irritiert über die Aussage mit dem großen Appetit. Denn den hatte ich nicht. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass Sie den Wert mit den 8,5 meinen. Da kann ich nur sagen: die Portion war sogar kleiner als die vorherigen. Ich habe nur andere Brötchen von einem anderen Bäcker gehabt. Das die aber gleich so rein hauen, kann ich nicht wissen, weil ich ja nicht weiß wie die genaue Zusammensetzung ist.“ Aus der darauffolgenden Antwort konnte ich nicht erkennen, dass sie überhaupt auf meine Aussagen eingegangen ist. Vielleicht waren es die drei Daumen, ich weiß es nicht. Ohne jemandem auf den Schlips treten zu wollen: Ich finde es unglaublich schwierig mit Personen ab einem bestimmten Alter über WhatsApp zu kommunizieren. Weil es ja so eine Fülle Emojis gibt, werden die Dinger überall und nirgends, völlig Random, irgendwo rein geschmissen und ich soll dann damit arbeiten und mir den Rest denken. Meine Mutter ist so, meine Tante hält sich in Grenzen, eine Familienfreundin ist so und die Ernährungsberaterin auch. Das ist anstrengend, aber tut hier ja nichts zur Sache. Ich wollte es nur mal erwähnt haben, weil auch Smileys ja unterschiedlich interpretiert werden können. Wundervoll wird’s vor allem, wenn man die Smileys dahinter noch erklären muss, wie man sie selbst sieht, aber wehe man fragt umgekehrt. Wo ist hier eigentlich der Smiley mit den rollenden Augen? Der wäre gerade überaus passend.
Seit drei Wochen versuchen O. und ich in einem Bett zu schlafen. Zumindest am Wochenende. Und was soll ich sagen? Ich bin frustriert, wütend und verärgert über mich selbst. Und ich habe Angst. Die allererste Nacht habe ich nach drei Stunden unterbrochen. Sein hinterher gerufenes „Nein, bleib hier.“, hat es auch nicht sonderlich besser gemacht. Das schlechte Gewissen hat mich tagelang begleitet. Natürlich weiß ich, dass er mir im Halbdusel nur mitteilen wollte, dass er und ich sicher sind. Das ich nicht gehen muss, dass ich bei ihm bleiben soll, doch meine Angst hat alles geschluckt, was ich irgendwie in mir gefühlt und gespürt habe. Das Wochenende darauf haben wir seine Schlafmedikamente ausprobiert, die er sich hat verschreiben lassen, wenn die Geburt ansteht. Denn durch Corona darf O. nämlich nur im Kreißsaal dabei sein, zwei Stunden nach der Geburt uns verlassen und uns an den darauffolgenden Tagen eine Stunde lang besuchen. Bis jetzt hat sich das auch noch nicht geändert. Zum Glück und trotz hartem Lockdown in Deutschland. Dürftig finde ich es dennoch. Jedenfalls war er sofort weg und hat bis zur Mitte der Nacht gut und ruhig geschlafen. Allerdings hat er gesägt als hätte er sich auf einem Konzert besoffen und nichts und niemand konnte ihn davon abhalten. Ich habe unruhig geschlafen, aber ich habe neben ihm geschlafen. Eine ganze fucking Nacht! War ich stolz auf mich. Weil ich mich auf die Medikamente verlassen habe. Komisch, oder? Den Epilepsiemedis traue ich nicht über den Weg, aber diesem Schlafmittel...
Das letzte Wochenende war dafür der blanke Horror. Natürlich musste ich wieder viel zu zeitig aufs Klo und lag dann wach da. O. hat mich sogar noch angesprochen, dass er mich liebt. Sofort war meine Angst wieder da, der innerliche Druck stieg, das Kopfkino begann loszurattern und machte mich noch wacher, als ich es zu dem Zeitpunkt eh schon war. Und dabei hatte ich die zwei Tage vorher und an diesem Freitag keine Schläfchen gehalten, damit ich auch ja schon fix und fertig bin, um lange neben O. schlafen zu können und dann auch weiter zu schlafen sobald ich vom Klo wieder da bin. Ich habs nicht mal drei Stunden neben ihm ausgehalten. Ich bin nach einer halben Stunde des immer wacher werdens dann rüber ins Arbeitszimmer. Ich habe zuerst meine Meditation gegen meine Angst gemacht und dann eine Einschlafmeditation. Nichts hat geholfen. Letzten Endes lag ich zwei Stunden wach und bin dann immer wieder wach geworden, um mich über mich selbst zu ärgern. Um frustriert zu sein. Um mich schlecht zu fühlen, dass ich es nicht einmal fucking drei Stunden neben meinem Mann ausgehalten habe, weil ich bei jedem Zucken, jedem Drehen, jedem Atemaussetzer mich sofort verspanne. Ich habe dadurch sogar wieder Hüftschmerzen bekommen, weil ich mich dann auch nicht traue mich viel zu bewegen, oder so hinzulegen, dass ich ihn berühren könnte und er dann wach wird.
O. ist dann in der Nacht gegen eins wach geworden und hat gesehen, dass ich nicht mehr neben ihm liege und meinte am Morgen, als ich dann gegen sechs zu ihm kuscheln gegangen bin „Ich dachte mir nur so: Ach Schatz, da hast du es ja doch nicht geschafft.“ Allein an seiner Tonlage habe ich gemerkt, dass er mir keinen Vorwurf macht, weil er ja gut geschlafen hat, aber ich bin in Tränen ausgebrochen, heule jetzt auch schon wieder, weil mich das einfach so unglaublich ärgert. Und er hat Recht, denn eigentlich bräuchte ich die Schlafmedikamente und nicht er, denn ich schlafe nicht durch, habe Schlafstörungen entwickelt, wenn er neben mir liegt. Und ich mache mir Vorwürfe. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als wieder neben ihm schlafen zu können. Mich an ihn ran zu kuscheln und seinem Herzschlag oder seiner Atmung zu lauschen und darüber einzuschlafen. Stattdessen kriege ich es nicht einmal hin, mich neben ihm so zu platzieren, dass mir mein Becken am nächsten Morgen nicht weh tut und ich nicht die ganze Zeit unruhig bin. Ich schaffe maximal eine Schlafphase, die aufgrund meiner Blase unterschiedlich lang, oder kurz ist. Ich kriege es nicht mal hin mit der Einschlafmeditation, die ich btw. immer nehme, seitdem das mit O. war, und die mich eigentlich innerhalb von zehn Minuten ins Land der Träume schickt. Ich halte seine Nähe nicht aus, wenn ich wach werde und mich wieder ins Bett lege, weil ich sehe, wie nah er mir kommt. Teilweise umarmt er mich ja auch im Schlaf so fest. Ich weiß ja, dass er das braucht, dass er sich nach mir sehnt, dass er Geborgenheit und Schutz bei mir sucht, ich ihm das aber nicht bieten kann. Dasselbe wünsche ich mir ja eigentlich auch von ihm, aber meine Angst, meine panische Angst, hat einen Graben zwischen uns gezogen, den er nicht überqueren kann, weil ich ihn nicht lasse und ich es auch nicht schaffe eine Brücke darüber zu bauen. Ich ertrage die Nähe nicht, weil ich das sofort mit den Anfällen kopple. Vor allem auch, wenn es am einschlafen ist. Da hat er eben diese Zuckungen von Beinen, Fingern und Händen. Arme an sich nur unfassbar selten. Also eigentlich alles, was bei seinen Anfällen halt erst zuckt, wenn der Grand Mal kommt, doch für mich ist das sofort ein Zeichen, dass es losgehen könnte. Das etwas passieren könnte. Das er mir wieder in den Armen abschmiert. Das es meine Schuld ist. Und um ihm keinen Stress zu machen, mache ich mir den Stress. Wohl wissend, dass sich das ja trotzdem auf ihn überträgt. Hat man ja an seinem ersten Anfall gesehen. Also setze ich mich unter Druck, dass ich mir keinen Stress mache, damit er keinen Stress hat, damit wir irgendwann mal wieder zusammen schlafen können. Länger als eine Nacht. Aber ich schaffe es einfach nicht.
Mir ist jetzt schon mehrmals der Begriff „Overthinking“ über den Weg gehuscht und ich habe mir gerade einmal kurz die Mühe gemacht, eine Suchmaschine dafür anzuschmeißen.
„Overthinking bedeutet, dass der Mensch zu viel denkt. Wenn dich ein Problem belastet, denkst du so lange darüber nach, bis sich deine Gedanken im Kreis drehen, du vollkommen erschöpft bist und das Problem dann letzten Endes beiseite legst und verdrängst. Du hast das Problem quasi tot gedacht, bis es für dich nicht mehr existent scheint. Handelt es sich um eine Lebensentscheidung, könntest du durch das Overthinking einen großen Fehler begehen.“(1) Und was soll ich sagen? Genau das tu ich. Ich denke immer wieder darüber nach, zerdenke das Problem, weil ich keinen Lösungsansatz habe und alle Ansätze die ich ausprobiert habe, nicht das Ergebnis gebracht haben, was ich mir gewünscht hätte. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu ungeduldig mit mir selbst. Wahrscheinlich aber auch beides. Ich zerdenke das Problem und gebe mir nicht die Zeit, die ich brauche, um damit fertig zu werden. Vielleicht habe ich auch, nach den neun Stunden einfach zu viel von mir erwartet, gedacht dass ich trotzdem nicht vier Schritte zurück gehen kann, oder muss. Ich weiß es nicht. Auch in der geführten Meditation gegen die Angst, die Erwartungen, die innere Unruhe sowie den Sorgen, wird ja auch gefragt, ob dieses Problem noch in einem Monat, einem Jahr, zehn Jahren eine Rolle spielen wird. Vorher konnte ich klar nein sagen, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Weil ich daraus selbst so einen riesigen Elefanten mache, ich darunter leide. Ich mich frage, wie lange ich das noch so aushalte. Ich bin doch gerade erst frisch verheiratet und schlafe jetzt schon getrennt von meinem Mann. O. meinte auch schon, dass er nicht wie seine Großeltern enden will, die jahrzehntelang getrennt voneinander geschlafen haben. Und nicht nur ich leide. Auch O. tut es, auch wenn er eine unglaubliche Geduld mit mir beweist und mir auch immer und immer wieder sagt, dass ich das größere Problem damit habe, weil ich diejenige bin, die das ganze Elend ja mit ansehen muss, wenn er denn einen Anfall hat. Das wir das nach meinem Tempo machen. Aber er brauch diese Nähe ja auch. Er muss ja seinen Bindungstank genauso füllen wie ich. Er tut das nur anders als ich und dieses Bedürfnis kann ich gerade nicht so befriedigen, wie ich es gerne hätte. Ich frage mich – mal wieder – wie das werden soll, wenn das Kind da ist. Kann er dann neben uns schlafen? Halte ich das aus? Schafft er das mit seinem Schlafrhythmus, wenn das Baby ständig wach ist? Was mache ich dann, wenn er in der Zeit einen Anfall hat? Was mache ich, wenn er mir umklappt? Und noch schlimmer: Gebe ich dann dem Kind die Schuld? Gebe ich mir die Schuld, dass ich die Zeichen nicht gesehen habe? Das ich nicht schneller wach war und mich um das das Kind gekümmert habe? Natürlich versuche ich mir zu sagen, dass ich im Hier und Jetzt leben soll. Das ich die letzte Zeit zu Zweit mit ihm genießen sollte. Mit allen Sinnen und in vollen Zügen, aber die Zukunft zieht – für mich – schon ihre Schatten und ich schaffe es ja nicht einmal dieses verdammt Bett als einen sicheren Ort zu sehen, wenn wir beide gemeinsam darin liegen.
Wenn ich das hier so lese, wird für mich immer klarer, so wie ich das auch schon zu O. und E. gesagt habe: Wenn das Kind da und ich einigermaßen fit bin, lasse ich mir einen Termin bei meiner Psychologin geben. Ich kriege das, offenbar, nicht alleine geregelt und in gesunde Bahnen. Hoffen wir mal, dass ich auf diesen Termin nicht allzu lange warten muss.
Und einen Nachtrag hab ich auch noch. Als ich vorhin beim CTG lag schreibt mir O., dass der Neurologe (den wir für die Zweitmeinung ausgesucht haben) den Termin nun doch nach vorne geschoben hat. Und zwar auf den 14.01.2021 anstatt des 09.02. Ich bin gespannt, wie das wird und ob das Baby dann schon da ist und wie es mir im Wochenbett gehen wird. Denn dabei sein werde ich auf jeden Fall. Ich brauche das für meinen Kopf.
Finde ich dennoch faszinierend, dass ich heute wieder über die ganze Scheiße schreibe und dann wird dieser Termin geändert. Ob das ein Zeichen ist?
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(1) Was ist Overthinking: https://open-mind-akademie.de/overthinking-was-kannst-du-tun/