5.
Gestern hatte ich meinen letzten Arbeitstag. Heute beginnt mein Mutterschutz. Ein komisches Gefühl, muss ich zugeben. Irgendwie fühlt es sich an wie Urlaub, obwohl das hier definitiv mehr wird, als nur „Urlaub“. Ab jetzt soll ich mich ja viel ausruhen, viel schlafen für die Zeit, wenn das Kind dann da ist. Klingt blöd, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Denn ich gehe mit O. ja gemeinsam ins Bett. Also zumindest so gemeinsam wie es geht, wenn man in getrennten Zimmern schläft.
Die letzte Woche habe ich versucht auch den Fokus von mir zu verschieben. Nicht mehr so sehr die Angst über mich kommen zu lassen. Außerdem war ich ja bei der Diabetologin, bzw. deren Ernährungsberaterin. Dachte ich da noch, wenigstens die Frau hört mir zu, muss ich das jetzt revidieren. Die hört nicht zu und liest auch keine Protokolle richtig. Ich habe ihr gesagt, dass die letzten Wochen psychisch nicht einfach waren (Ich hab schließlich noch mit ihr geschrieben, nachdem O. seine zwei Anfälle hatte) und ich deswegen auch null auf den Blutzuckerwert geachtet habe. Ich habe ihr aber gesagt, dass die Frauenärztin meinte, unser Kind wäre zwar groß, aber mein Mann und ich ja auch und es dementsprechend noch völlig im Normbereich. Was sagt die Alte? „Ja, achtzigste Perzentile ist schon verdammt groß. Ich würde jetzt das Langzeitinsulin erhöhen und Ihnen auch noch Kurzzeitinsulin dazu geben.“ Da hat sie meinen doppelten Widder in mir ja richtig angetriggert. Ab da hab ich auf stur gestellt und meinte nur, dass ich das ohne das Kurzzeitinsulin probieren will und ich mich jetzt, was das Essen angeht, halt zusammenreißen muss. Da hat sie nicht mal nachgefragt, was ich damit meinte und hat weiter auf dem Kurzzeitinsulin herum gehackt. Sie wollte nur wissen, ob ich hungere und weil ich ja nicht zugenommen hätte, müsste man halt schauen ob ich Ketogene ausscheiden würde... Mir aber dann sagen, dass ich mir noch mehr Insulin spritzen soll. Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz. Ich werde auch langsam immer unleidlicher, was dieses scheiß Gepiekse angeht. Durch dieses „vorher, nachher, nüchtern, aber wirklich genau eine Stunde nach dem Essen“ macht einen so null flexibel. Dann wurde ich auch noch angekackt, warum ich denn vor dem Schlafen nicht auch noch messen würde. Weils mir keiner gesagt hat?! Daraufhin war dann plötzlich Ruhe. Ich bin jetzt so dreist und habe seitdem gerade gestern mal meinen Blutzuckerspiegel vorm Schlafen gehen gemessen. Ich lass mir nicht auf diktieren, wie ich meine letzten Wochen schwanger zu verbringen habe. Klingt vielleicht assi und null reflektiert, wie auch unverantwortlich, aber ich habe keine Lust mehr. Wenn ich nicht wüsste, dass ich nur noch zweiundvierzig (mein Kind ist heute die Antwort auf Alles!) Tage hätte, würde ich die Praxis wechseln. Und sollte mich mal irgendeiner fragen, wie die da sind, dann weiß ich nur eins was ich sage: Die Schwestern sind voll ok, lieb, mitteilsam. Ärztin und Ernährungsberaterin kannst du in der Pfeife rauchen, also such dir bloß einen anderen Arzt! Apropos Schwestern. Als ich beim Blutzucker messen war und eben beim Gewicht bin ich mit der einen Schwester ins Gespräch gekommen. Ich hätte ja nicht zugenommen – woraufhin ich meinte, dass ich sogar letzte Woche 3 Kilo weniger auf den Rippen hatte -, ob ich Stress hätte. Also habe ich mich auch mit der Schwester unterhalten. Lustigerweise kommt irgendwie immer, wenn ich auf die Kernaussage der Neurologin zu sprechen komme folgende Reaktion: „Das geht gar nicht! Sie können doch nicht die nächsten Jahre getrennt voneinander schlafen! Dann müssen die Medikamente richtig eingestellt werden und das Ihr Mann irgendwie die Ruhe in der Nacht findet.“ Sie hat mir natürlich auch geraten, weiterhin bei der Selbsthilfegruppe dran zu bleiben und in Facebook-Gruppen nach Hilfe zu fragen, wie das die Leute da mit Kindern gemacht haben. Da wird man mir bestimmte helfen können. Sie selbst sei in solchen Gruppen unterwegs (ich weiß nicht, ob es nur daran liegt, dass ihr im Labor mal einer umgekippt und dann einen epileptischen Anfall gerutscht ist, oder ob da noch mehr ist) und hätte jetzt auch mitbekommen, dass durch Corona, dieser externe Stress mit Lockdown, den generellen Maßnahmen und die Medienberichte dazu führen, dass selbst gut eingestellte Epileptiker – die seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten keinen Anfall mehr hatten – jetzt plötzlich wieder welche bekommen. Und dann auch noch gleich gehäuft. Das gab mir schon irgendwie zu denken. Nicht nur zu denken, sondern gab mir irgendwie einen kleinen Hoffnungsschimmer. Es geht nicht nur mir so, sondern auch momentan anderen Angehörigen auch so. Natürlich ist mir bewusst, dass ich mit meinen Sorgen, Nöten und Ängsten nicht alleine bin. Das es andere sogar noch viel schwerer haben als ich. Doch ich bin momentan so unfassbar auf meine kleine Familie fokussiert, das da für das Leid anderer einfach kein Platz ist. Außer ich nehme mir dafür ausdrücklich die Zeit. In diesen „erlauchten“ Kreis gehört eigentlich momentan nur eine Freundin, die mir momentan dahingehend Halt gibt. Nur langsam öffne ich wieder meine Bubble und lasse die anderen hinein. Vor allem schade finde ich es für meine Arbeitskollegin und Freundin, die ja mein Bauchbuddy ist, auch wenn deren Kind schon seit fast einem Monat auf der Welt ist. Als wir letztens miteinander telefoniert haben, meinte sie nur so, dass sie wegen uns unserer momentan Situation sogar das Weinen angefangen hat, weil sie so mit uns gelitten hat und das so nervig findet, dass sie nicht helfen kann. Das sie so weit weg wohnen. Aber ich solle immer anrufen, wenn was ist. Auch mit der Aussage ist sie nicht alleine. Die meisten meiner Freunde, vor allem die von außerhalb, sind unheimlich bestürzt, dass sie nicht helfen können. E. hat mir sogar gesteckt, dass sie überlegt hatte für die Anfangszeit hier aufzuschlagen, um zu helfen. Doch sie ist körperlich auch eingeschränkt und ihr tu ich das bestimmt nicht an, vierzehn Tage oder länger das Sofa zuzumuten. Das war ja schon ne Belastung für mich und ich habs nicht chronisch mit der Hüfte.
Letzte Woche war O. ja auch wieder arbeiten. Mir war es wichtig, dass ich ihn zumindest die erste Woche fahre, einfach das wir unsere „normalen“ Uhrzeiten halten können, die wir davor etabliert hatten. Mein Vorteil war in dem Moment, dass ich vollständig im Homeoffice war und sein konnte, aufgrund von Corona. Das hat gut funktioniert und O. meint auch, dass er meist so gegen fünf Uhr das erste Mal wach wird. Also eigentlich perfekt, wenn er mit dem Fahrrad die Strecke fährt. Die Frage ist halt nur: Will ich das? Auch im Winter? Jetzt im Dezember, wo es hier jetzt so langsam ordentlich mal mit den Temperaturen anzieht? Noch vor den Anfällen, hätte mich das gefreut. Ich liebe den Winter, aber er muss halt weit und lange fahren. Zwanzig Kilometer eine Strecke … Ich weiß nicht, wie wir das machen, wenn die nächste Woche ist, denn diese Woche ist er zu Hause. Da sein Chef bis einschließlich Dezember Kurzarbeit angemeldet hat, sind die Erodierer jetzt halt eine Woche zu Hause. Gut für uns, wir können endlich das Chaos in der Wohnstube beseitigen, vor allem weil morgen auch die Hebamme kommt und es sieht hier halt einfach aus, als wäre die Wohnung explodiert, oder wir gerade erst frisch eingezogen. Funfact: Wir wohnen seit 2016 hier. Heute kommt dann auch noch unser Vermögensberater rum. Zum Glück sind wir mit dem auch noch befreundet, sodass man den dann auch mal kurz in unseren Saustall reinlassen kann. Wenigstens sind jetzt sämtliche Babyklamotten einmal durchgewaschen und auch schon nach Größe sortiert und sogar endlich in einem Schrank verschwunden. Jetzt muss nur noch die bunte Wäsche da rein und das Tragetuch. Es wird also langsam. Mein Freund und kostenloser Therapeut D. hat sowieso gesagt, dass ich mich mehr auf meine Erfolge und mein Selbstvertrauen konzentrieren soll. Das ich anerkennen soll, was ich geschafft habe und nicht, was noch vor mir liegt. Oder das ich eben nicht nur Durchschnitt wäre, so wie ich das immer sage. Ich könnte zum Beispiel ja noch mal erwähnen, dass ich heute die zweite Nacht im Doppelbett geschlafen habe. Diesmal ohne Alpträume und einem Herzschlag, der dem Hufgetrappel eines galoppierenden Pferdes alle Ehre gemacht hätte. Die erste Nacht war von Samstag auf Sonntag und das war echt alles andere als cool, sodass wir beschlossen hatten, dass ich von Sonntag auf Montag noch mal im kleinen Bett schlafe, um halbwegs ausgeruht meinen letzten Arbeitstag anzugehen. Aber danach war klar, dass ich wieder zurück ins große muss, um Frieden mit dem Ding zu schließen. Um mich darauf vorzubereiten, da zu schlafen, wenn das Kind da ist. Um da zu schlafen, wenn O. und ich zu den Weihnachtsfeiertagen zusammen schlafen wollen.
Ich muss es die Woche halt auch noch einfach mal schaffen, mich für mehrere Meditationen hinzusetzen, um mich wieder zu fokussieren und nicht meine Sorgen überhand werden zu lassen. Denn ich bin irgendwie ziemlich unsicher, was die Geburt angeht. O. muss schlafen und da sind wir uns auch ziemlich einig. Das steht außer Frage. Aber eine Geburt kann nun einmal in der Nacht beginnen, oder enden, oder über mehrere Tage gehen. Ich kann es mir nicht leisten, dass er dann umfällt, wenn das Baby gerade mal zehn Minuten auf der Welt ist, oder einen Tag später. Und dann auch noch, wenn er ganz alleine ist und sie schlimmstenfalls was tut. Denn ich werde dann ja im Krankenhaus sein. Für mindestens zweiundsiebzig Stunden. Natürlich wäre es schön, wenn er die ganze Zeit bei mir sein könnte, mich unterstützen könnte, aber eben durch Corona und seine schlafinduzierte Epilepsie ist das jetzt alles irgendwie... Beschissen. Oder besser gesagt, seitdem er die drei Anfälle in der kurzen Zeit hatte. Vorher habe ich daran ja keinen einzigen Gedanken verschwendet, denn bei Festivals ging es ja ab und zu auch mal länger.
Nächste Woche muss ich gleich zwei Mal in unser Wunschkrankenhaus. Einmal um mit nem Arzt zu sprechen, weil ich ja jetzt eine Risikoschwangerschaft habe, aufgrund einer insulinpflichtigen Gestationsdiabetes und dann muss ich noch einmal zur Hebammensprechstunde, um meine Geburt anzumelden. Ich habe ja irgendwie die Hoffnung, dass die schon Epileptiker als Patienten hatten. Also nicht die Schwangere, sondern den werdenden Vater und das die darauf vorbereitet sind. Und nicht, dass die uns dann sagen: Ja, dann müssen sie deswegen in die Uni. Ich will mein Kind nicht in der Uni kriegen. Nicht, wenn ich es mir aussuchen kann. Frage ist dann halt nur: Geht mir das Wohl von uns allen als kleine Familie über mein eigenes? Wahrscheinlich schon. Und ich habe mir sagen lassen, dass die Wöchnerinnenstation, wie auch die Hebammen da viel besser sein sollen, als der allgemeine Ruf der Uni an sich. Und da ist zumindest schon klar, dass die Männer bei der Geburt dabei sein können. Also von Beginn bis Ende, weil die da der Meinung sind, dass wenn die Mutter Corona hat, der Vater es auch aller Wahrscheinlichkeit nach haben wird. Stand zumindest in der LVZ und hat mir meine Frauenärztin gesagt. Also warum dann noch unterscheiden? Schließlich können sie eine Frau mit Wehen nicht abweisen, nur weil sie infiziert ist.
Zumindest habe ich mit O. ausgemacht, dass er an dem Tag dann mit ins Elisabeth kommt. So das er auch weiß, wie das abläuft und was wir tun können. Und wenn es gar nicht anders geht, wird er dann bei der nächsten Blutabnahme bei der Neurologin ansprechen, dass er Schlafmedikamente brauch, oder man die Dosis für diese Zeit erhöht, oder was auch immer. Obwohl ich immer weniger will, dass er da hin geht. Denn wenn ich mir überlege, wie die Schwester bei der Diabetologin reagiert hat, als ich den Namen nannte, denke ich mir halt auch meinen Teil. Dieses schon fast wissende und desillusionierte „Ah“, war mir schon Aussage genug. Und als sie dann auch noch versuchte hatte so neutral wie möglich zu sagen „Naja, man hört von Ärzten ja immer Gutes und Schlechtes“, da dachte ich mir auch nur: Wie gut, dass wir eine Zweitmeinung einholen werden und wie gut, dass eigentlich schon klar, dass er die Ärztin wechseln wird.