Die aufgehende Sonne warf ihre Strahlen durch schwere Wolken auf den unter ihr liegenden Wald, der mit weißem Schnee bedeckt war. Mit grellen Reflexen wurde jeder geblendet, der ein schönes Bild erwartet hatte und so waren Tiere zwischen den Bäumen nur selten anzutreffen.
Trotzdem hatte sich Salim aus seinem Bau getraut. Nicht, dass er nicht lieber in seiner kuscheligen Höhle geblieben wäre, aber sein Magen brachte ihn beinahe um vor Hunger. Die Todeszeit hatte deutliche Spuren an seinem Körper hinterlassen und sah man genau hin, so bemerkte man die Knochen, die unter seinem dichten Pelz hervorstachen.
Tief sog er die frische und kalte Luft ein, die jegliche Gerüche beinahe zu verdecken versuchte. Rein war sie und für einen kurzen Moment schloss der Luchs seine Augen, um den Duft zu genießen. Er war sich sicher, dass es nicht mehr lange so ruhig und still bleiben würde und er sich bei seiner Jagd beeilen musste.
Für wenige Herzschläge beschleunigte er seine Schritte, bis er plötzlich innehielt. Seine Augen weiteten sich vor Schreck und unruhig peitschte sein Schweif hin und her. Da war ein Geräusch gewesen, ganz sicher. Oder hatte ihm bloß seine Einbildung einen Streich gespielt? Wurde er verrückt? Stocksteif reckte er seine Ohren in die Luft, damit sie auch jedes noch so kleine Geräusch wahrnehmen konnten.
Es war windstill. Kein Rauschen der Wolken oder das sonst gegenwärtige Fallen des Schnees. In der Ferne heulten die Dampfer der Kahlhäute und leise Stimmen waren zu hören. Zu weit entfernt. Nein, das war es nicht gewesen, was er gehört hatte.
Dann aber, ein leises Trampeln auf dem Schnee. Schritte, die immer näher kamen und direkt auf ihn zusteuerten. Durch den fehlenden Wind konnte er kaum etwas riechen und der Schnee trug ebenso nicht besonders zur Tauglichkeit seiner Sinne dazu. Er musste sich auf sein Gehör verlassen. Musste sich konzentrieren. Schnell, bevor er zu spät war! Doch seine Gedanken drehten sich im Kreise, bis nur noch Nebel zurückblieb.
Und plötzlich ein heller Blitz in seinem Kopfe und der Nebel lichtete sich stellenweise. Das Geräusch kam von hinten. Das Tier musste klein sein, wenn es so viele Schritte benötigte, um sich vorwärtszubewegen. Klein hieß aber nicht, dass dieses Wesen nicht gefährlich war.
Er wirbelte herum, Schnee stob um ihn auf, so schnell war die Bewegung geschehen. Seine Augen huschten angespannt zwischen den Bäumen hindurch und suchten nach der Quelle des Geräuschs und der vielleicht nahenden Bedrohung. Salim bleckte die Zähne und machte sich kampfbereit. Wie gefährlich war das Ding für ihn? War es möglich, es zu besiegen? Was wenn nicht? Würde er sterben? Er wollte nicht sterben, aber sein Feind würde ihm wohl kaum nach seiner Meinung fragen und ihm eine Wahl lassen.
Um sich zu beruhigen, saugte er die Luft ein und stieß ein leises Knurren aus, was eine feine Bewegung im Schnee auslöste. Sofort fixierte er die Stelle, versuchte zu hören, was sich dort abspielte.
Langsam formte sich ein Bild in seinen Gedanken, das ganz und gar nur aus Düften der Umgebung bestand. Dort waren die stark riechenden Nadeln von Fichten und Kiefern, der leichte Hauch des Dampfpfades der Kahlhäute und der betörende Duft einer Maus, die unwillkürlich seinen Magen zum Grummeln brachte.
Als Salim realisierte, dass es sich bei dem Tier, seine angebliche Bedrohung, nur um eine Maus handelte, entspannte er sich allmählich. Nur langsam nahm der Kuder wieder seine ursprüngliche Haltung an, wodurch das Beutetier endlich auf ihn aufmerksam wurde und sich schleunigst aus dem Staub machte.
Für einen Augenblick schloss Salim vor Scham die Augen. Wie konnte das nur passieren? Wie hatte er nur auf so eine kleine Maus so panisch reagieren können? Schnell blickte er sich um, um sich zu vergewissern, dass sich keine Luchse in der Nähe befanden, die seine unglückselige Jagd beobachten hätten können.
Schleunigst entfernte er sich von diesem Ort und versuchte all die peinlichen Gedanken aus seinem Hirn zu streichen.