Das Geräusch, das den Kuder umgab, wurde mit jedem Schritt lauter und je näher er an die Stelle des scheinbaren Ursprungs herantrat, wurden auch die Gerüche deutlicher. Er konnte eindeutig die Spuren der Wölfe wahrnehmen, das Blut, das sie verloren hatten. Doch es war der zweite Geruch, der ihn stutzig machte. Auch dieser zeugte von Erschöpfung, Kraftlosigkeit und einem vergangenen Kampf, aber es war nicht ein Wolf, der diesen ausströmte.
Vorsichtig umrundete Salim einen Strauch, dessen Gipfel ihm die Sicht versperrte und dann kam das zum Vorschein, was er gesucht hatte. Hellbraunes, ja beinahe ockerfarbenes Fell stach aus der Landschaft hervor, wie ein Haufen Schnee es inmitten eines Waldes getan hätte. Blut klebte die einzelnen Haare zu starren, braunen Büscheln zusammen und ließ das einst schöne Fell in grässlichem Zustand zurück. Es dauerte einige Herzschläge, bis Salim realisierte, dass es sich um einen Luchs handeln musste.
„Hallo?“, fragte Salim leise in die angespannte Stille hinein und sofort löste sich das erschöpfte Tier aus seiner Haltung. Mit einem Satz war es auf den Beinen und duckte sich, bereit zu kämpfen. Der Luchs fletschte seine Zähne und stieß ein heißeres Knurren aus.
Salim wich zurück, ging seinerseits in Position. Nicht, dass dieser Kuder hier besonders bedrohlich ausgesehen hätte. Er blutete aus etlichen Wunden und seine einst weißen Pfoten, die an die schneebedeckten Berggipfel höherer Regionen erinnerten, waren rot gefärbt. Unter seinem Fell stachen bereits seine Knochen hervor. Er musste schon lange keine Beute mehr gemacht haben.
„Beruhige dich“, versuchte Salim den erbärmlichen Kuder zu beschwichtigen. „Ich will keinen Kampf.“ Doch von seinen Worten schien sich sein Gegenüber nicht beeindrucken zu lassen. Stattdessen sprang er ab und steuerte direkt auf ihn zu. Es bereitete Salim keine großen Schwierigkeiten ihm auszuweichen, so abgemagert wie sein Gegner war. Beinahe befürchtete er beim Aufkommen auf seine Pfoten, er würde zusammenbrechen und in tausend Teile zersplittern.
Ein weiteres Knurren und mehrere Angriffe des fremden Luchses folgten, aber Salim wurde kaum von den scharfen Krallen getroffen. Er selbst hütete sich, in die Offensive zu gehen. Er wusste, wie gefährlich es war ihm zu nahezukommen und bedrohlichere Verletzungen wollte er sich bestimmt nicht zuziehen.
Nach einer Weile, die sich anfühlte wie mehrere Tage, hielt der Fremde schließlich inne. Sein Atem ging schnell und seine Brust hob und senkte sich in ungewöhnlichem Tempo, als würde er Luft für das Leben nach dem Tode holen. Noch immer konnte Salim die gebleckten Zähne erkennen, die ihn auf Abstand hielten.
„Ich will keinen Kampf“, wiederholte er, trat aber nicht näher.