»Pauper or prince, every man can be bought.«
- Leigh Bardugo, "Shadow & Bone"
»Anything worth doing always starts as a bad idea.«
- Leigh Bardugo, "Shadow & Bone"
Mein Name ist Fra Glich und ich spreche heute mit dem hobbymäßigen Autor @Roy Wilson. Herzlich Willkommen, schön, dass du da bist! ;)
Stell dich doch bitte mal vor.
Vielen Dank, dass ich hier sein darf.
Genannt werde ich meistens Roy, aber auch scherzhaft ab und an Tiger. Ich war ursprünglich nur „Künstler“ doch seit Ende 2018 zähle ich zu den Schreiberlingen und später kam auch noch Coverdesign hinzu.
Mein bevorzugtes Genre ist in allen Belangen Fantasy und ich mag es gerne auch ein bisschen düsterer mit grauen, dreidemensionalen Charakteren und Krimi- bzw. Mysteryelementen.
Wodurch ist dein Interesse an der kreativen Lebensart geweckt worden, sodass du letztendlich auch zum Schreiben gefunden hast?
Nun, da kam so betrachtet eins zum anderen. Wirklich zu zeichnen habe ich angefangen, als ein Kunstlehrer, für den ich leider nicht viel Respekt aufbringen kann, weil menschliche Vernunft zu kurz kam und er nicht ganz die neutrale Position vertreten hat, die ein Lehrer haben sollte, in Kunst nur noch dumme Aufgaben aufgegeben hat. Beigebracht hat er uns kaum was, bewertet hat er nicht fair, also habe ich beschlossen mir das Zeug selbst beizubringen, damit ich weiß, dass ich es kann und wirklich die besseren Noten verdient habe, die andere bekommen haben.
So habe ich zum Zeichnen gefunden. Für das Schreiben war so gesehen auch der Kunstunterricht verantwortlich, denn ich brauchte Recherche für einen Vortrag und habe mich deshalb auf einer Social Media Seite angemeldet. Durch ein paar Begegnungen dort und da Manga (mein Vortragsthema war Manga-Stile im vergleich zu Realismus) auch mit dem Schreiben von Geschichten zu tun hat und ich einfach neugierig wurde, habe ich dann eben auch auf der Seite einen Weg zu den Schriftstellern gefunden.
Gruß an der Stelle an meine Lieblingseule, die mir damals für eine Geschichte aus Lust und Laune ein Cover gemacht hat. Das hat mich fasziniert und ich wollte es auch versuchen – außerdem bin ich ein Mensch, der nicht gerne andere um Hilfe bittet, deshalb kann ich meine Sachen gerne selbst machen.
Wie gesagt, irgendwann habe ich einfach mal meinen ersten Mist getippt. Natürlich tendiert das Hirn des heranwachsenden Autoren (auch unabhängig vom Alter der Person) gerne zu Übertriebenheit (Oberpowerte Charaktere, unrealistische Plots ohne Ziel etc.) und Fanfictions. Das ich nicht besonders gut in dem war, was ich tat, gereichte mir wohl zum Vorteil, denn die aus Serien und Filmen übernommenen Charaktere waren sehr in einer Art Headcanon versumpft, dass ich wirklich nur die Namen hätte tauschen müssen und keiner hätte den Einfluss bemerkt. Nun denn, so entstanden dann die eigenen Dinge. Der Großteil wird für immer verschwinden, aber einige Charaktere von damals und Elemente der Welt haben überlebt und sich in mein aktuelles Buch gerettet – alles andere hätte mich vor allem bei einem unsterblichen Wesen bitter enttäuscht.
Was ist die größte Herausforderung in deinen Bereichen, hast du sie schon überwunden? Und was gefällt dir am Besten?
Herausforderungen… Davon gibt es zu viele und immer Neue. Beim Zeichnen angefangen – ich glaube, da höre ich beinahe jeden Künstler hier nicken – sind Hände immer noch Mitglieder der Armee meiner Erzfeinde. Nur, wenn man sie allein erwischt, wird man ihnen Herr, sonst kommen die Angriffe von allen Seiten.
Bei Buchcovern wird immer die Frage bleiben: Wo kriege ich gute Bilder her? Aber das sind nette Konstanten, die auch ab und an entspannen – sie sind vorhersehbar.
Und beim Schreiben – was hier und heute eigentlich das Hauptthema sein sollte – da stehe ich, mich am Kopf kratzend, vor einer Frage, die mir keine Antwort geben will: Wie grenze ich eine Geschichte ein?
Was ich damit meine – und womit auch auch aktuell zu kämpfen habe – ist, dass manche Geschichten ein Eigenleben entwickeln, wenn sich alles organisch entwickelt – das ist das, was mir am Schreiben am besten gefällt. Wenn sich die Ranken entfalten und die Charaktere ein Leben bekommen, man weiß, wer sie sind und wieso, aber wie stoppt man das? Ich wollte ein(!) Buch schreiben und jetzt? Jetzt habe ich eine ganze Hand voll ineinander verwobener Charaktere, die mich mit Hundeaugen ansehen und mich bitten, ihre Geschichte zu schreiben. Natürlich will man nicht nein sagen, aber man muss wohl.
Gibt es Werke, an denen du derzeit arbeitest?
Im Moment bemühe ich mich um einen düsteren Fantasy Roman. Er folgt hauptsächlich einem Ex-Soldaten und einer Hexe, die versuchen herauszufinden, wer oder was für vier zerfetze Leichen mit orangenen Augen verantwortlich ist, die in einer Nacht an den verschiedensten Stellen der Stadt aufgetaucht sind.
Geplant war ein Buch, geplottet auch. Jetzt werden es zwei, weil ich kein Buchschreiben will, mit dem man jemanden einfach erschlagen kann und unter Umständen wird es sogar noch einen 3. Band geben. Zwei Bücher, die vor den anderen spielen und jeweils einem der Charaktere folgen werden, hängen noch in der Schwebe. Die Welt mit ihrer Geschichte hat sich entfaltet und wünscht sich wohl, entdeckt zu werden.
Worauf legst du besonderen Wert beim Kreieren von düsteren Geschichten?
Meiner Meinung nach zeichnen sie sich dadurch aus, dass eben nicht nur alles schwarz und weiß ist. Es ist langweilig, wenn der Hauptcharakter immer nur den Moralapostel spielt und der Böse nur die Welt beherrschen will. Wo bleibt da die Abwechslung?
Die Umstände, in denen die Charaktere leben tragen viel zur Düsternis bei. Armut, Hunger, Krieg, das sind alles Dinge, die Menschen sehr stark beeinflussen und da wird es erst richtig interessant. Das ist das Wichtigste: Der Einfluss von Geschichte und Umgebung auf die Charaktere.
Was passiert mit ihnen in Extremsituationen? Was sie tun wird nicht immer richtig sein, nicht immer heroisch. Es ist wichtig, eine Balance zu finden zwischen Taten, die für den Leser Empathie aufbringen kann, dass er die Handlungen des Charakters vielleicht sogar verteidigen würde, wenn jemand, der die Umstände nicht kannte, sagt, dass sie falsch waren.
Kaum einer kann richtig für einen Serienkiller fühlen, der einfach nur zum Spaß irgendwelche Menschen abschlachtet. Aber was ist mit einem Jungen, der dafür, dass er seine Eltern gefoltert und ermordet hat, hingerichtet werden soll, aber das alles nie getan hat? Was, wenn er bei dem verzweifelten Versuch, wenigstens irgendeine Form von Gerechtigkeit für seine Eltern zu erlangen und den wahren Mörder zu finden, an Leute gerät, die gefährlicher sind, als er ahnen konnte und er muss, um zu überleben ein paar von ihnen töten?
Selbst wenn ein Antagonist am Ende vollkommen den Verstand verloren hat und Unschuldige abschlachtet, kann ein Leser unter Umständen sogar noch mit ihm fühlen, wenn er nachvollziehen kann, wie es zu dem allen kam.
Aber vor allem muss nicht am Ende für einen Charakter immer alles sein wie früher. Manche Wunden heilen nie. Manche hinterlassen Narben. Ich finde es wichtig das alles nicht zu romantisieren oder am Ende einfach die Löschen-Taste für die Sektion „Vergangenheit“ zu drücken. Manche Helden fallen und manche Charaktere waren nie welche.
Ich suche immer nach dem „Wie?“ und dem „Warum?“. Man muss seine Charaktere verstehen, da führt kein Weg vorbei und auch wenn man beim Schreiben merkt, dass, wenn man das tut, was geplant war, den Protagonisten in einen Abgrund treibt, aus dem er vielleicht nie wieder herauskommt, darf man das nicht einfach ignorieren und ihn weiter als Helden schreiben. Die Leser werden es merken und drauf zeigen. Das wird das Buch für sie Ruinieren. Es tut weh einen Charakter zerbrechen zu sehen und zu verlieren, aber manche Dinge müssen geschehen, damit eine Geschichte den Lauf nehmen kann, den sie haben sollte.
Würdest du empfehlen, beim Plot immer von einer Extremsituation in die nächste zu planen, um die Spannung am Laufen zu halten?
Ja und nein. Gerade bei Hintergrundgeschichten ist erstmal eigentlich nur Ursache und Wirkung wichtig.
Also zum Beispiel ein Soldat verstaucht sich den Fuß und kann deshalb einen Tag nicht an die Front, aber genau da wird sein Freund erschossen. Jetzt gibt sich der Soldat die Schuld, dass er nicht das war, um ihn zu retten.
Das Problem, wenn man einfach nur direkt alle Extremsituationen direkt durchplant, ist meistens, dass man, wenn man die erste Szene dann schreibt, merkt, dass sich der Charakter etwas anders verhält als gedacht und dass ihn das, was passiert ist auf andere Weise beeinfluss als man dachte. Wenn man da eine Kleinigkeit übersehen hat und sich schon alles vorgenommen und recht detailliert geplant hat, muss man alles neu schreiben. Für meinen Teil halte ich da wieder einen groben Plan mit Ursache und Wirkung für effektiver, weil er sich leichter korrigieren lässt. Und was noch eine Sache ist, dass nicht alles direkt Spannung auslöst. Manchmal sind es nur kleine Details, die einen Charakter aber dreidimensionaler wirken lassen. Also zum Beispiel hat ein Charakter mit einer Seuche zu tun gehabt und macht jetzt einen großen Bogen um bestimmte Kräuter, weil der Geruch ihn immer daran erinnert.
Wie legt man eine falsche Fährte für die Leser*innen?
Falsche Fährten sind am einfachsten aus Halbwahrheiten, Annahmen und Missverständnissen zu konstruieren.
Jeder Charakter hat seine Geschichte hat seine eigene Wahrnehmung und sieht andere Details. Manche können Lügen besser entlarven, manche glauben Menschen einfach gerne oder hören nur, was sie hören wollen.
Jeder Charakter hat seine eigene Wahrheit und das muss man als Autor ausnutzen. Der Begriff „unreliable Narrator“ (also unzuverlässiger Erzähler) ist vielleicht manchen schon untergekommen und genau das nutzt man aus. Auch sehr schön kann man einen Leser in die Irre führen, wenn man zwei verschiedene Charaktere hat, die über ein Ereignis verschiedene Dinge wissen. Unter Umständen zählt der Leser 1 und 1 zusammen und glaubt, dass er das Geheimnis entschlüsselt hat, aber das ist dann ein Missverständnis, das genau darauf abzielt, dass der Leser denkt alles zu wissen. Mit Charakteren innerhalb der Geschichte funktioniert das natürlich genauso gut.
Deine Charaktere sind, wie du sagst 'ineinander verwoben'. Wie erschaffst du eine Beziehung zwischen den einzelnen Figuren?
Vieles basiert im Grunde auf Gemeinsamkeiten. „Like calls to like“, um hier Leigh Bardugo zu zitieren. Gemeinsam erlebte Ereignisse können eine sehr breite Basis sein, vor allem, wenn das, was passiert ist, ganz anders verlaufen wäre, wäre einer der Charaktere nicht dabei gewesen. Aber auch ähnliche Erfahrungen können eine Verbindung schaffen, weil es Verständnis für die Charaktere untereinander hervorbringt, aber man kann es auch benutzen, um Kontraste zu schaffen, als zum Beispiel, um dem Protagonisten zu zeigen, was aus ihm geworden wäre, wenn er vielleicht nur eine Entscheidung anders getroffen hätte – der metaphorische Spiegel, wenn man so will. Und natürlich, ein gemeinsamer Feind schafft eine hervorragende Verbindung.
Wie im realen Leben eigentlich. Wir tun uns ja auch gern mit Gleichgesinnten zusammen ;)
Ich persönlich mag es gerne, wenn sich Stück für Stück ein Bild ergibt und der Leser diesen „oh, ach so gehört das zusammen“-Moment hat. „Ineinander verwoben“ sagte ich bei mir aus dem Grund, dass bei mir ein paar Charaktere mehrere Verbindungen zueinander haben, die am Anfang nicht zu sehen sind, aber nach und nach klar werden und eben auch die Beziehungen der Charaktere untereinander beeinflussen.
Den Punkt Coverdesign haben wir schon angeschnitten. Welchen Wert hat ein Cover deiner Meinung nach für ein Buch?
Ein Wort? Unbezahlbar.
Ein Buchcover ist die Visitenkarte eines Buches und lockt den Leser an. Es zeigt, was man erwarten kann und deswegen ist es fatal, wenn das Cover ein falsches Genre kommuniziert. (An der Stelle möchte ich ganz frech auf meinen Zeichenratgeber verweisen, der da noch etwas mehr ins Detail geht.)
Ohne ein gutes Cover wird unter Umständen niemand das Buch kaufen, egal ob es der nächste Harry Potter oder Herr der Ringe ist.
Welche Tipps würdest du anderen Autor*innen weitergeben, die die Handlungen ihrer Antagonist*innen nachvollziehbar machen wollen?
Man muss immer sehen, dass der Antagonist der Protagonist seiner eigenen Geschichte ist. Entweder er ist überzeugt, dass er das Richtige tut, oder er tut etwas Falsches aus den richtigen Gründen. Im Grunde sollte man einen Antagonisten behandeln wie jeden anderen Charakter auch. Er hat eine Geschichte, die ihn zu dem machte, was er ist und er hat ein Ziel. Wenn es ein Antagonist ist, der seinen Verstand verloren hat, zeigt das und bringt Hinweise darauf, wie das passieren konnte.
Vor allem sollte jeder Antagonist etwas Menschlichkeit besitzen, denn das ist es, was den Leser dazu bringt, eine Beziehung zu ihm aufzubauen.
Würdest du uns eine besondere Anekdote aus deinem Schreiballtag erzählen?
Ich und Emmerilla hatten über die etwas angespannten und komplizierten Beziehungen von einer paar unserer Charaktere gesprochen. (Ein Gespann aus ihrem Buch und eines aus meinem.) Wir hatten gescherzt, dass die am Ende vielleicht sogar als ein paar der größten Shippings enden könnten und wir haben uns gegenseitig herausgefordert eine Fanfiction zum Pärchen des andere zu schreiben. Es war nicht gedacht, dass wir es wirklich tun, aber wir haben es beide. Das Ergebnis war mehr Satire als ersnt aber dennoch nicht schlecht.
Witzig, dass ihr gleich beide eine Fanfiction geschrieben habt! :D
Auf welche Erfahrung hättest du gerne verzichtet und gibt es eine Erkenntnis, die du im Nachhinein daraus ziehen kannst?
Ich habe 3 Bücher bis jetzt in den „bloß verstecken“-Ordner stecken müssen, weil schrecklich waren nicht mehr taugten. Das waren zusammen sicher knapp 150.000 Wörter allein an Text und ein anderer Roman mit 90.000 Wörter liegt auch noch da und ich weiß nicht, was ich jemals damit machen, weil ich so viel umschreiben muss, dass ich nicht sicher bin, ob sich das lohnt.
4 von den Büchern hatten eines gemeinsam: Ich wusste nicht, was mein Ende für sie sein wird und vor allem wie es dazu kommt. Das ließ mich ratlos und ohne Ziel zurück. Das hat mich gelehrt, immer wirklich einen Überblick über das zu behalten, was ich von der Geschichte erwarte.
Vielleicht lässt sich ja irgendwann noch was draus machen ... wer weiß das schon?
Welche Pläne hast du für die Zukunft?
Ich habe vor mein Buch zu Ende zu überarbeiten und dann vielleicht sogar zu veröffentlichen, bevor ich die anderen beiden Bände plane und schreibe.
Das wirst du auch schaffen, da bin ich mir sehr sicher!! ;)
Möchtest du sonst noch etwas sagen?
Lasst euch nicht von eurem inneren Kritiker entmutigen. Eine meiner besten Szenen bisher habe ich für einen Mist gehalten, aber als ein Freund sie in der Autorenrunde dann vorgelesen hat, war ich so überrascht wie alle anderen. Ein 1. Entwurf des Buches ist erst nur ein Skelett-Baukasten: Man bekommt nicht sofort jeden noch so kleinen Knochen an die richtige Stelle. Das muss alles gerichtet werden, da gibt es kaum Ausnahmen. Aber das ist nur der Rohbau, das Skelett und der Rest kommt alles beim Überarbeiten.
Wie mit ein Weiser Mensch immer sagt, wenn ich gerne meinen Kopf auf die Tastatur knallen würde, weil ich überzeugt bin, dass das besseren Text liefert als das, was ich habe, „man kann alles bearbeiten außer eine leere Seite.“
Danke für deine Zeit und die tollen Antworten, Roy - es hat mich sehr gefreut, dass du dabei warst!